Sean Becker hat ein paar Minuten Zeit für ein Brötchen und eine kurze Verschnaufpause. Der Gong zur Mittagszeit bedeutet für den Elftklässler, wie auch für die meisten anderen Schüler am Schiller-Gymnasium in Köln, nicht etwa das Ende des Schultags, sondern gerade einmal Halbzeit:
"Wir sind Übergangsjahr, da ist es nicht so schlimm, aber in den unteren Klassen, die haben schon deutlich mehr Stressbelastung als wir jetzt. Die hatten jetzt Langtag über mehrere Tage und das ist dann schon ziemlich anstrengend. Und ein Hobby kann man auch nicht wirklich ausüben."
Stress und Zeitdruck gehören für viele Schüler in Nordrhein-Westfalen heutzutage zum Alltag. Umfragen zufolge glaubt die Mehrheit der Jugendlichen, wie auch ihre Eltern, dass der Grund dafür in der Umstellung von G9 auf G8 liege. Im Jahre 2005 hatte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung die neunjährige Schulzeit bis zum Abitur auf acht Jahre verkürzt. Der 17-jährige Sean Becker wünscht sich eine Rückkehr zu G9:
"Ja, ich denke schon. Also G9 wäre auf jeden Fall besser. Man kann nicht sagen, dass alle Probleme durch G9 wegfallen würden, aber ich meine, das zusätzliche Jahr, das tut nicht weh."
Ob es wehtut oder nicht, darüber ist seit diesem Frühjahr bundesweit eine hitzige Debatte entbrannt. Auslöser war die Entscheidung der rot-grünen Regierung in Niedersachsen, im nächsten Jahr komplett zu G9 zurückzukehren. Allerdings schwelt der Unmut - wie so oft beim ideologisch aufgeladenen Thema Schule - schon lange. Mal geht es tatsächlich um das Kindeswohl, oft genug aber auch um knallharte Lobbyinteressen. Das Stichwort "Turboabitur" ist für die Gegner zu einem Kampfbegriff geworden. Politiker, Eltern- und Lehrerverbände sowie Psychologen und Wissenschaftler ringen um die Meinungshoheit. Claudia Jakobs, die Vorsitzende der Schulpflegschaft am Schiller-Gymnasium, sucht nach einem Konsens. Die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder ist keine Freundin von G8:
"Ich hab den Eindruck, das Problem sind nicht die Lehrinhalte, und dass die dann zu dünn werden, sondern eher, dass den Schülern die Zeit für Wiederholungen fehlt. Also, ob man jetzt alles in der Breite abdecken muss, ist eine ganz eigene Frage, und die muss dann mit den Lehrplänen beantwortet werden, aber das zu vertiefen und sich das noch mal anzusehen, die Zeiten fehlen meiner Meinung nach."
G8 Schuld am Leistungsdruck?
Dass viele Abitur-Anwärter heute unter hohem Leistungsdruck stehen, ist weitgehend unstrittig. Doch ob allein die verkürzte Schulzeit daran schuld ist, steht infrage. Anni Schulz-Krause, Schulleiterin des Schiller-Gymnasiums und zugleich Sprecherin der Kölner Direktorenkonferenz, ist eine entschiedene Befürworterin von G8. Es gebe zwar viel zu verbessern, sagt die 59-Jährige, aber wer G8 per se infrage stelle, liege falsch. Zu viel Gedaddel am Computer und fehlende Familienstrukturen seien viel stärkere Stressfaktoren:
"Zunehmend haben wir Kinder, die über weite Teile des Tages in der Schule tatsächlich ihren Aufenthaltsort und auch ihren Lebensraum haben. Und natürlich ist ein Kind, das um 16 Uhr nach Hause kommt, müde! Das war es aber früher auch, wenn es einen Vormittag in der Schule verbracht hat und dann noch ein paar Stunden zuhause war und Aufgaben gemacht hat, dann war es auch müde. Und heute heißt es: 'Ja, mein Kind ist müde, weil es G8 hat.' Das ist viel zu kurzschlüssig gedacht.
Beim Thema Schulzeit gleicht die Republik einem Flickenteppich: Das rot-grün regierte Hessen überlässt den Gymnasien die Entscheidung. Sachsen, vom Erfolg bei den Pisa-Tests verwöhnt, fährt seit jeher gut mit der zwölfjährigen Schulzeit. Anders Baden-Württemberg: Dort melden die G9-Schulen steigende Anmeldezahlen. In Bayern hat gestern ein zweiwöchiges Volksbegehren für eine Wahlfreiheit zwischen acht- und neunjährigem Gymnasium begonnen. Auch Hamburg plant im September ein Referendum. Schulleiterin Anni Schulz-Krause aus Köln hält davon gar nichts:
"Denn jeder - das ist meine Alltagserfahrung - ist natürlich in der Schule gewesen. Und jeder weiß natürlich auch immer - das meint er zumindest - was Lehrer falsch machen, und wie es besser zu machen ist. Und da würde ich mal sagen, keiner würde ins Cockpit gehen und einem Piloten sagen, dass er bitteschön die Turbulenzen anders zu umfliegen habe, sondern das akzeptiert man einfach, dass hier Sachkompetenz da ist. Und deswegen denke ich, dass ein Referendum aufgrund solcher Haltungen und Emotionen zu keinem sachkundigen Ergebnis führen wird."
Und was trägt der Bund zur G8-G9-Debatte bei? Schulpolitik ist zwar Ländersache, doch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, CDU, sprach sich erst Ende April in einem Zeitungsinterview deutlich für die achtjährige Gymnasialzeit aus. Eine Politik nach Umfragen halte sie für verkehrt. Das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen erhielt hingegen ein ausdrückliches Lob von der Christdemokratin Wanka, weil es bei G8 bleiben wolle. Dieses Kompliment brachte Schulministerin Sylvia Löhrmann allerdings in Bedrängnis, denn ausgelöst durch die Rückkehr Niedersachsens zu G9, steht auch NRW jetzt wieder vor der Frage, ob dieser Schritt nottut.
"Ja, dass ich mich jetzt mit den Folgen einer völlig überhasteten Einführung eines Konzepts rumschlagen muss. Durch die niedersächsische Entscheidung ist eben diese Unzufriedenheit mit dem Ganzen wieder aufgebrochen."
Löhrmann: Einfache Lösungen gibt es nicht
Ob Lehrpläne, Lehrbücher oder Lehrerfortbildung - nichts war richtig vorbereitet, als CDU und FDP vor neun Jahren die Schulzeitverkürzung in NRW einführten. Selbst CDU-Chef Armin Laschet warnt inzwischen davor, den Protest gegen G8 einfach abzubügeln. Einfache Lösungen gebe es indes nicht, warnt Sylvia Löhrmann:
"Die Sehnsucht nach diesem 'Wir drücken jetzt auf den Knopf, und alles ist wieder gut, was vielleicht an Schule schwierig ist', was so einfach klingt, eben so einfach nicht geht. Und das ist ja nicht so schön, wenn man weiß, es gibt keine einfache Lösung."
Löhrmann hat einen Runden Tisch einberufen, mit Eltern- und Lehrer-Verbänden, sowie Politikern und Wissenschaftlern. 45 Gegner und Befürworter von G8 erarbeiten jetzt bis zum Herbst Empfehlungen für den Landtag. Die Ministerin hofft, dass der Runde Tisch G8 nicht ganz kippt, und stellt vorsichtshalber klar:
"Die Gesetze in Nordrhein-Westfalen werden im Parlament gemacht und das Parlament entscheidet."
Der Runde Tisch berät unter anderem über einen Ausgleich zwischen Schul-und Freizeit und über Konzepte, die das Ministerium für die Lehrer erarbeitet hat, um die Schulzeitverkürzung im Alltag besser zu stemmen. Die Ministerin räumt offen ein, dass der Druck an den Schulen auch fast ein Jahrzehnt nach der Umstellung auf G8 gewaltig sei:
"Weil nicht überall daran gearbeitet wird, sehr schülerorientiert zu arbeiten. Weil wir natürlich dafür Fort- und Weiterbildungen brauchen, weil ein Wandlungsprozess von Schule etwas anderes ist, als wenn ich ein Auto in die Reparaturwerkstatt bringe. Schulentwicklung braucht Zeit!"
In Niedersachsen ist die Zeit abgelaufen für G8. Nach den Sommerferien 2015 wird es als erstes Bundesland flächendeckend zum Abitur nach neun Jahren Gymnasium zurückkehren, so hat es die rot-grüne Landesregierung im März entschieden. Der Unmut bei Schülern, Eltern und Lehrern über mehr Stress beim Lernen war von Beginn an groß.
"Wir haben ausschließlich heftige Kritik bekommen. Es gab wenige Befürworterinnen und Befürworter für das Abitur nach acht Jahren. Und ich denke, dass wir jetzt an die Ausgestaltung eines modernen, neuen Abiturs gehen in Niedersachsen."
Zauberwort lautet Entschleunigung
Kultusministerin Frauke Heiligenstadt ließ eine Expertengruppe grübeln, wie die Oberstufe des Gymnasiums verändert werden könnte. Das neue Zauberwort lautet Entschleunigung. Ein bloßes Zurück zu den alten Lehrplänen sei das nicht:
"Ich denke, wenn wir den Schülerinnen und Schülern mehr Zeit zum Lernen und Leben geben, dann dürfen wir nicht die neu gewonnene Zeit dazu benutzen, dann wieder zusätzliche Inhalte in den Kern-Curricula anzubringen."
Kritiker schmähen diese Reform der Reform als Rolle rückwärts. Die CDU spricht vom "endgültigen Abschied vom Leistungsgedanken". Von einer Pioniertat sprechen indes Befürworter wie Eberhard Brandt, der niedersächsische Chef der Lehrergewerkschaft GEW:
"Es geht darum, moderne Unterrichtsmethoden anzuwenden, die mehr auf selbstständiges Lernen setzen; Schüler darin zu befähigen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen."
Das altehrwürdige Gymnasium im Schloss im niedersächsischen Wolfenbüttel. Andreas Buchal, ein drahtiger Mittdreißiger konfrontiert seine Schüler mit allerhand komplizierten Berechnungen von Flächen und Mengen. Der Mathematiklehrer begrüßt grundsätzlich die Rückkehr zum G9, denn für vertieftes Lernen sei im rasenden Tempo des "Turboabiturs" kaum Zeit geblieben:
"Aus Lehrersicht ist das auch auf jeden Fall als positiv zu bewerten, denn wir kriegen das ja genauso mit, dass die Schüler sehr unter Druck stehen. Und das macht sich auch im Unterricht bemerkbar. Ein bisschen böse gesagt, war es ja bei der Umstellung von G9 auf G8 so, dass kaum etwas raus gestrichen wurde, sondern eigentlich alles zusammengepresst wurde und wir nicht wirklich viel weniger machen mussten."
Die heutigen Sechstklässler könnten die Ersten sein, die unter der neuen Regel ihr Abitur machen. Bosse Ahl und Adrian Rimschneider wissen schon, was sie mit der hinzugewonnenen Zeit machen wollen:
"Das Buch, was wir haben, das ist so vollgepackt, das schaffen wir meistens gar nicht durch. Und wenn man dann mehr Zeit hätte, könnte man nicht nur die Kernsachen machen, sondern vielleicht auch mehr Rollenspiele."
Adrian Rimschneider:
"Mit meinen Lehrern könnte ich mir vorstellen, dass so gerade in den Fächern Physik, Chemie, Biologie mehr Projekte gemacht werden, nicht nur so trocken aufs Papier, wie das gemacht wird, sondern dass man auch mal an die frische Luft geht und irgendwas untersucht."
Mehr Förderung für alle Schüler
Die rot-grüne Landesregierung verspricht den Gymnasien für jeden Schuljahrgang zwei zusätzliche Wochenstunden. Beginnend ab Klasse 5 soll es mehr Freiraum für individuelle Förderung geben. In der 10. Klasse sollen die Schüler besser unterstützt werden, die eine Klasse überspringen wollen. Die Schulen schätzen, dass jeder vierte Schüler eines Jahrgangs an solch einer Beschleunigung interessiert sein könnte, sagt Ulrike Schade. Sie leitet das Gymnasium im Schloss:
"Denen werden wir sicherlich Förderangebote anbieten: entweder, dass sie mit Auslandsaufenthalt dieses Jahr füllen oder vielleicht direkt ein Jahr überspringen und somit auch G8 machen. Darüber hinaus gibt es jetzt mehr Möglichkeiten, Schwerpunkte auch im Rahmen der Berufsorientierung zu setzen."
Das Gymnasium im Schloss bietet ein Schulleben jenseits des gewohnten Fachunterrichts am Vormittag. In eine Mensa wurde investiert. Werden ihre Schüler auch nach Rückkehr zu G9 und Unterrichtsende nach der sechsten Stunde die Angebote nutzen?
"Ganztagsschule für uns heißt mehr als Unterricht am Nachmittag, sondern heißt Schule für die Schülerinnen und Schüler zum Lebensraum zu machen. Wo kann man zusätzlich eine Fremdsprache lernen? Wo macht man so etwas wie Nähen oder Roboterbauen? Dass wir die Schule auch am Nachmittag mit Leben füllen, das wird unsere Herausforderung sein!"
G8 sei in Niedersachsen überhastet eingeführt worden, klagt Schade. Auch die Umsetzung der neuen Reform werde ein Kraftakt sein, prophezeit die Schulleiterin. Die Umstellungen raubten den Pädagogen viel Zeit, die sie besser nutzen könnten, um ihre Schüler zu unterstützen:
"G8 ist eingeführt worden und wir haben es, glaube ich, sehr erfolgreich umgesetzt. Das Abitur ist ja nicht schlechter gewesen. Der pädagogische Sinn hat sich uns (ja) nie so richtig erschlossen."
Interessant sei, dass in Bundesländern wie Sachsen kaum jemand gegen das G8-Abitur angehe, sagt Schade:
"Es gibt dort einige Stimmen, aber es gibt nicht die Kraft der Masse der Eltern, die dafür sorgt, dass auch dort neu gedacht wird."
G8 in Sachsen gilt als Erfolg
Das mag daran liegen, dass in Sachsen eigentlich niemand einen Anlass sieht für neues Denken. Das G8 gilt hier seit 1992 – und es gilt als Erfolg.
Ende Juni, der Sächsische Lehrerverband hat zur Diskussion geladen. Etwa 200 Lehrer sind gekommen, sowie die Kultusministerin Brunhild Kurth von der CDU und die bildungspolitischen Sprecher aller demokratischen Fraktionen im Landtag. Jens Weichelt ist Landesvorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes:
"Sachsen hat in Studien immer wieder Spitzenplätze belegt. Darin wird auch immer wieder deutlich, dass die Stetigkeit, wie wir sie im sächsischen Bildungssystem seit 1992 haben, auch ein wichtiger Grund ist, warum Sachsen vordere Plätze in den Vergleichsstudien einnimmt."
Wenn Weichelt von Stetigkeit im sächsischen Bildungssystem spricht, meint er vor allem das G8. Kultusministerin Brunhild Kurth stimmt zu:
"Die Kontinuität, die seit 1990 in unserem Schulsystem an der Tagesordnung ist, wird von allen ausnahmslos allen andern Bundesländern, von den Lehrerinnen und Lehrern ausdrücklich gelobt. Weil man nicht von einer Reform in die andere stolpert."
Die Opposition im Land übt zwar viel Kritik an der Schulpolitik, dem Gezerre um neue Lehrer, den Stundenausfällen. Aber in diesem Punkt ist sie mit der Ministerin einig: Kontinuität nützt Schülern und Lehrern gleichermaßen. Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag:
"Es ist im Bildungsbereich nicht sinnvoll, ständig neue Modelle zu fahren. Bildung, das wissen sie genauso gut wie ich, muss Stabilität haben."
Niemand hier stellt ernsthaft das Abitur nach Klasse 12 infrage, egal ob Bildungspolitiker, Lehrer oder Schüler. Wenn es um den Erwerb der Hochschulreife geht, soll es keine Experimente geben. Und Sachsen hat Erfolg damit: Regelmäßig belegt der ostdeutsche Freistaat die vorderen Plätze bei den PISA-Tests. Im vergangenen Dezember nahmen sächsische Schüler im Bildungstest des ländereigenen Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen der Berliner Humboldt-Universität sogar den ersten Rang bei Mathe-Kenntnissen und den Naturwissenschaften ein. Axel Gehrmann ist Professor für Schulpädagogik an der TU Dresden, der auch die Durchschnittsnoten und die Bestehensquote analysiert hat:
"Die Leistungsstände sind sichtbar nicht schlechter als in anderen Kontexten. Insofern profitiert Sachsen da eher von der Zentralisierung und Vergleichbarkeit."
Kontinuität statt konstanter Reformen
Die Kontinuität reicht bis zur Wiedervereinigung zurück. Damals ging es bei der Entscheidung für das zwölfjährige Abitur auch um ein Stück ostdeutsche Identität.
"Als das Schulgesetz verabschiedet wurde, das war 1992. Da war man persönlich dauernd im Umbruch. Da wurden Arbeitsverhältnisse obsolet."
Uschi Kruse, die stellvertretende Vorsitzende der GEW in Sachsen, ist seit 1990 bei der Gewerkschaft und hat die Diskussion seit der ersten Stunde mitverfolgt:
"Dann haben wir uns gefragt, was ist denn übrig geblieben? Da blieb das grüne Ampelmännchen und das Abitur in der 12. Klasse. In der Lehrerschaft war dann der Eindruck: Das ist was, das wir jetzt übernehmen."
Außerdem war niemand zuvor 13 Jahre zu Schule gegangen. Damit wusste auch niemand, dass man auch entspannter zur Hochschulreife kommen kann. Denn das kurze Modell hat seinen Preis - mit weit über 30 Wochenstunden plus Hausaufgaben haben die Schüler ein Pensum zu bewältigen, das dem eines erwachsenen Arbeitnehmers mit 40-Stundenwoche entspricht. Das sagt zumindest Tom Beyer vom Landesschülerrat. Er geht in die 11. Klasse des Gymnasiums Engelsdorf in Leipzig:
"Ich hab 35 Stunden in der Woche. Das heißt, ich hab Montag und Freitag sechs Stunden. Ansonsten acht Stunden. Dann bin ich so um drei zu Hause. Dann mache ich noch anderthalb Stunden Hausaufgaben, lerne für Klausuren. Manchmal hab ich Wochen, da hab ich drei Klausuren."
Doch auch beim Landesschülerrat fordert niemand ernsthaft eine Schulzeitverlängerung. Unzulänglichkeiten könne man auch nach der Schule ausgleichen, sagt Tom Bayer:
"Da wird immer die Persönlichkeitsbildung angesprochen. Es wird gesagt, dass Abiturienten mit 18 Jahren noch nicht reif genug sind für die Uni. Früher gab es den Zivi."
Westdeutsche Politiker schauen nach Sachsen
Heute könnten Schulabgänger stattdessen ein Freiwilliges Soziales Jahr oder Bundesfreiwilligendienst leisten. Als Alternative kann die Hochschulreife nach 13 Jahren an einem beruflichen Gymnasium erworben werden. Ist Sachsen stolz auf sein Abi nach Klasse 12 - bei all den Problemen bei der Umstellung in anderen Ländern?
"Stolz? Ein Stück weit ja. Wenn man von KMK-Beratungen zurückkommt, da sagt man manchmal, uns geht es doch gut in Sachsen."
Rainer Heinrich ist Abteilungsleiter für Gymnasien im Kultusministerium:
"Es gibt gegenwärtig die Tendenz, die Vergleichbarkeit der Abschlüsse zu erhöhen. Unter anderem ist ja Sachsen mit anderen Ländern dabei, mit Niedersachsen, mit Bayern, gemeinsame Abituraufgaben zu stellen. Die setzen natürlich ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit voraus."
Dass in Sachsen funktioniert, womit sich andere Bundesländer schwertun, hat nach Ansicht von Heinrich damit zu tun, dass alle zusammenarbeiten. Zudem sei Sachsen auf die langen Schultage vorbereitet gewesen, die das 12-jährige Abitur mit sich bringt. Angelockt vom Erfolg schauen sich nun auch westdeutsche Bildungspolitiker im Freistaat um:
"Wir sind ständig in Kontakt. Da gibt es die Arbeitsgruppe Gymnasien in der KMK, die ich für Sachsen vertrete. Und da wird auch über die Gestaltung des G8 gesprochen. Wir haben beispielsweise besprochen, dass die Kollegen aus NRW mal Mitte Juli hier her kommen und auf Arbeitsebene schauen, wie wir das G8 organisieren."
Doch auch Sachsen hat Probleme. Es mangelt vor allem an Personal. Anfang Juni warteten Eltern vergeblich auf die Bescheide, an welcher Schule ihr Kind die fünfte Klasse besuchen wird. Es mussten erst noch ein paar Lehrer eingestellt werden, bis alle Kinder versorgt waren. Bildungsforscher Gehrmann von der TU Dresden beobachtet diese Entwicklung mit Sorge:
"Wenn das so weitergeht, werden wir uns umschauen, ob wir die Güte der Schule in Sachsen überhaupt so halten können. In den kommenden fünfzehn Jahren werden zwei Drittel der derzeit beschäftigten Lehrer in den Ruhestand gehen. Dann muss Kultusministerin Kurth beweisen, dass sie rechnen kann, um genügend Nachwuchs zu finden."