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Turkmenistan
Offiziell gibt es hier kein Corona

Turkmenistans Präsident Berdimuhamedow führt das Land mit harter Hand. Obwohl Nachbarländer wie Usbekistan steigende Covid-19-Zahlen melden, gibt es in Turkmenistan keinen einzigen offiziell registrierten Fall. Beobachter dagegen berichten von schlimmen Zuständen. Seit einem Besuch der WHO im Land gilt Maskenpflicht.

Von Thielko Grieß |
Der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhamedov posiert mit der dreijährigen Akhal-Teke-Stute Berghkan, Siegerin des jährlich stattfindenden Internationalen Pferde-Schönheitswettbewerbs in Ashgabat. ((Turkmen President Gurbanguly Berdimuhamedov poses with an ancient Akhal-Teke breed three years old studhorse, Begkhan, that won an Inernational Annual Horse Beauty contest in Ashgabat on April 23, 2016. (Photo by IGOR SASIN / AFP))
Präsident Berdimuhamedov posiert mit einer dreijährigen Akhal-Teke-Stute beim Internationalen Pferde-Schönheitswettbewerb in Ashgabat. (AFP / Igor Sasin)
Turkmenistans Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow lässt sich regelmäßig als treffsicherer Schütze, als erfolgreicher Angler oder trainierter Sportler ablichten. Anfang Juni eröffnet er in der Hauptstadt Aschgabat ein Denkmal zu Ehren des Radsports. Musiker tanzen in Gruppen, tausende Radfahrer ohne Maske und ohne soziale Distanz fahren durch die Hauptstadt – der Präsident vorneweg.
Was bizarr, bisweilen komisch wirken mag, steht jedoch für die faktische Unantastbarkeit, mit der dieser Präsident sein Land führt. Über das Coronavirus wird nicht gesprochen. Bis heute gibt es keinen einzigen offiziell registrierten Covid-19-Erkrankten. Gegen Fieber hülfen traditionelle Kräuter, hieß es lange.
Die umliegenden Länder jedoch, wie etwa Iran, Usbekistan, Kasachstan, melden steigende Infektionszahlen. Tausende Turkmenen arbeiten in diesen Nachbarländern, aber auch zum Beispiel auf Baustellen in der Türkei oder im Dienstleistungsgewerbe in Russland. Etliche durften in ihr Heimatland zurückkehren, bevor es die Grenzen schloss.
Beobachter: "Situation außer Kontrolle"
Gegen die Behauptung der Regierung sprechen auch die Informationen, die Exil-Journalisten zusammentragen. In dem stark abgeschotteten Land selbst gibt es keine freie Presse. Verlässliche Kontakte müssen langfristig aufgebaut werden; die Weitergabe von Erkenntnissen ist nur vertraulich, oftmals sogar nur anonym möglich.
Ruslan Mjatijew ist einer dieser Journalisten; er lebt in den Niederlanden. "Sowohl Ärzte, als auch einfache Leute und hohe Beamte erkennen an, natürlich nur in privaten Gesprächen, dass die Situation schon lange außer Kontrolle geraten ist. Dass das Gesundheitssystem dem nicht gewachsen ist. Dass täglich, wenn nicht Hunderte, so doch sicher Dutzende sterben. Auf unserer Seite Turkmen.News haben wir eine inoffizielle Gedenktafel eingerichtet."
Kranke kommen in Quarantäne-Zonen
Als Todesursache werde oftmals Lungenentzündung angegeben. Aus verschiedenen Quellen, die aus und über Turkmenistan berichten, fügt sich das folgende Bild: Etliche Krankenhäuser, ohnehin schlecht ausgestattet, seien überfüllt. Es fehle an allem. Es gebe zu wenige Tests. Und die, die es gebe, stammten aus Russland, und deren Fehlerquote sei hoch.
Der Staat habe inzwischen sogenannte Quarantäne-Zonen eingerichtet. Gemeint sind eilig eingerichtete, einfache Krankenhäuser, in die die Patienten abgeschoben würden. Mediziner, die sich selbst kaum schützen könnten, würden in diese Zonen zum Zwangsdienst befehligt.
"Es ist eine politische Frage, des politischen Images. Das zählt mehr als das Schicksal und das Leben von Menschen. Es ist so wie AIDS, das es bei uns ja auch nicht geben soll. Das ist Feigheit. Bei uns ist die Corona-Lage jetzt wie in Italien. Turkmenisches Italien, ganz ehrlich", sagt Mjatijew.
WHO äußert sich erstaunlich verhalten
Die Weltgesundheitsorganisation entsandte nach monatelangen Verhandlungen eine Delegation ins Land. Sie besuchte unter anderem Krankenhäuser und Laboratorien. Exil-Journalisten schreiben aber, die Reise sei minutiös vorbereitet worden, um den Gästen nur saubere Orte und gesunde Menschen vorzuführen. Die Mitglieder der Delegation hätten sich nicht frei bewegen können.
Catherine Smallwood von der Weltgesundheitsorganisation appellierte in einer Pressekonferenz: "Die WHO rät dazu, in Turkmenistan die entscheidenden Maßnahmen für die öffentliche Gesundheit zu aktivieren – als ob Covid-19 zirkulieren würde." Man empfehle breites Testen, die Begrenzung sozialer Kontakte und verständliche Informationen für die Menschen. Deutlicher wurde sie nicht.
Gurbangul Owlijagulowa aus dem turkmenischen Gesundheitsministerium blieb bei der offiziellen Haltung: Man lerne von den Erfahrungen anderer für den Fall, dass das Virus ins Land komme.
Auf einmal doch Maskenpflicht
Das war Mitte Juli. Seit diesen Tagen allerdings vollzieht das Land nun doch eine Art Kehrtwende, ohne sie zu thematisieren: Masken sind vorgeschrieben, Restaurants und Einkaufszentren geschlossen, Bus- und Zugverkehr unterbrochen – jedoch nur bis Anfang August. Selbst der Präsident wurde beim Angeln mit Maske gefilmt. Gleichzeitig verbreiteten die Staatsmedien Bilder, wie aus Flugzeugen ein chlorhaltiges Gemisch auf Felder gesprüht wurde. Vielleicht, so hieß es, werde ein Virus über den Wind und den Staub ins Land getragen – daher seien die Masken zu tragen.
"Entschuldigen Sie, aber wir leben schon das ganze Leben in einem Land, das zu 80 Prozent aus Sand besteht. Und jetzt erzählen sie uns was von Staub in der Luft", kritisiert der in den Niederlanden lebende Journalist Ruslan Mjatijew.
Der Großteil der Bevölkerung könne es sich ohnehin nicht leisten, der Arbeit lange fernzubleiben – zu niedrig sind die Löhne, zu gering die Rücklagen. Der Präsident hingegen, so berichten es die Staatsmedien, erholt sich bei Spaziergängen und beim Angeln in den Bergen.