12. August 2019: Simone Biles - Das Thema in den Abendnachrichten des US-Fernsehsenders CBS: Die beste Turnerin der Welt habe am Wochenende doppelt Geschichte geschrieben.
Moderatorin Norah O'Donnell meinte damit sowohl die mentale Stärke als auch ihre sportliche Vorstellung: Der gehockte Doppelsalto mit drei Schrauben - Simone Biles ist die erste Frau, die diese Höchstschwierigkeit turnt. "Just keep making history Simone Biles", sagt der Reporter.
Der "Triple-Double". Simone Biles katapultiert sich dabei aus einem Flickflack kommend hoch in die Luft, dreht sich in atemberaubender Geschwindigkeit mehrfach um die eigene Achse. Während sie gleichzeitig einen Doppelsalto turnt. Für Laien mit bloßem Auge kaum zu erkennen.
Kraftvoll, stark, nahezu unbesiegbar
Dieser Sprung ist der vorläufige Höhepunkt in der Karriere der 22-Jährigen. Sie gewann vier Mal Olympisches Gold, war vier Mal Mehrkampf-Weltmeisterin, drei Mal holte sie den WM-Titel mit dem US-Team. Zahlreiche nationale Meistertitel kamen hinzu. Die erste Afro-Amerikanerin an der Weltspitze des Turnsports. Strahlendes Lächeln, Glitzeranzug, kraftvoll, stark und nahezu unbesiegbar. So das Bild von Simone Biles in der Öffentlichkeit.
Dahinter auch weniger Glanz und Gloria: Gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester wuchs Simone bei ihren Großeltern Ron und Nellie auf. Die adoptierten die Mädchen, weil die leibliche Mutter aufgrund von Drogen- und Alkoholproblemen nicht für sie sorgen konnte.
Biles Goßvater ist heute ihr Manager und mit seiner Frau bei jedem Wettkampf dabei. Großmutter Nellie sagte der ARD-Sportschau – auf die Frage nach den Lastern von Simone Biles: "Nach einem Wettkampf isst sie gerne Pizza oder mal ein Eis, aber nicht bevor der Wettkampf vorbei ist"
"Auch eine der Überlebenden"
Vielleicht ein Zeichen für die Denkweise im US-Turnteam. Dort war unter anderem die Kontrolle über das Essen jahrelang extrem. Vor allem im Trainingslager auf der berüchtigten Ranch des Ehepaars Karolyi.
Auf der Anlage in Texas wurde exzessiv trainiert und gehungert. Die Folge bei vielen Athletinnen: jahrelange Essstörungen. Für den Erfolg wurden auch Turnerinnen mit gebrochenen Knochen für gesund erklärt. Unter anderem davon erfuhr die Welt im Januar 2018 zum ersten Mal. Und zwar im Missbrauchs-Verfahren gegen den ehemaligen Arzt des US-Turnteams. Gegen Larry Nassar. Er hatte hunderte Turnerinnen über Jahrzehnte sexuell missbraucht.
Kurz vor dem Verfahren twitterte Simon Biles unter dem Hashtag MeToo: "Auch ich bin eine der viele Überlebenden, die Larry Nassar sexuell missbraucht hat."
Mehr als 150 Betroffene erzählten im Gerichtssaal, was Larry Nassar ihnen angetan hatte. Missbrauch unter dem Deckmantel einer sogenannten "Spezialbehandlung".
Richterin Rosemarie Aquilina verurteilte den Mann, den die Turnerinnen wiederholt als Monster bezeichnet hatten, zu 175 Jahren Haft. Aquilina sagte: "Sie haben nichts verstanden. Sie sind und bleiben eine Gefahr und sollten nie wieder aus dem Gefängnis entlassen werden."
Kurz nach dem Urteil äußerte sich Simone Biles erstmals öffentlich. In der Today Show des US-Fernsehsenders CNN erläuterte sie, wie sie das alles überstanden habe: "Wir können sehr gut verdrängen, wir möchten nicht, dass es jemand bemerkt und wir wollen auch nicht darüber nachdenken. Wir möchten mit ganzem Herzen unseren Wettkampf machen und unser Land vertreten."
"Ihr konntet uns nicht beschützen"
Sie sei in Therapie, erzählte Simone Biles später im US-Fernsehsender ABC, nehme Mittel gegen ihre Angststörung. Vor den Olympischen Spielen in Rio hatte Biles Medikamente gegen ADHS eingenommen. Das hatte eine Hackergruppe bekanntgemacht.
Und auch knapp zwei Jahre nach dem Prozess begleitet die sexuelle Gewalt durch Larry Nassar das Leben der Olympiasiegerin. Fragen dazu auch bei den US-Meisterschaften im August, dort also, wo ihr der "Triple Double" gelang. Es sei nicht leicht, anzutreten. Jeder Tag erinnere sie an das, was sie durchgemacht habe. An den US-Turnverband gerichtet sagte sie:
"Wir hatten ein Ziel. Wir haben alles getan, was sie von uns verlangten, auch wenn wir es nicht wollten. Und ihr hattet nur einen verdammten Job und konntet uns nicht beschützen".
"Hebt den Sport auf eine andere Ebene."
All das wird, Simone Biles nicht vollständig ausblenden können, wenn sie jetzt bei den Weltmeisterschaften in Stuttgart antritt. Sie wird die sein, auf die sich alle Blicke richten. Auch die der Konkurrentinnen wie Elisabeth Seitz. Die beste deutsche Turnerin war beim Weltcup in Stuttgart vor wenigen Monaten gegen Simone Biles angetreten und sagte damals der ARD:
"Es ist einfach mega toll zu sehen, was sie macht und wie sie es macht und wie sie den Sport nochmal ein bisschen hervorhebt und auf eine andere Ebene bringt."
Wenn Simone Biles den "Triple Double" auch in Stuttgart steht, wird er gemäß Regelwerk des Internationalen Turnverbandes ihren Namen bekommen. Die 1,45 m große Athletin wird strahlend im Mittelpunkt stehen. Sie wird lächeln und Erfolge feiern. Und sie wird ihre Geschichte fortschreiben, die viele glanzvolle Höhepunkte hat, aber wohl auch eine traurige ist.