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Turnen mit Kreuzbandriss
"Es war ärztlich vertretbar"

Trotz Kreuzbandriss turnte Athlet Andreas Toba bei den Olympischen Spielen am Pauschenpferd weiter - und das recht erfolgreich. "Das fordert mir unglaublichen Respekt ab", sagte Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turnerbundes, im DLF. Zugleich betonte er, dass für den Gang ans Gerät letztendlich immer die Einschätzung des Arztes ausschlaggebend sei.

Rainer Brechtken im Gespräch mit Matthias Friebe | 08.08.2016
    Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turnerbundes
    Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turnerbundes (dpa/Friso Gentsch)
    Matthias Friebe: Genau diese Frage nach der Fürsorgepflicht, die habe ich vor der Sendung Rainer Brechtken gestellt. Hier die Antwort des Präsidenten des Deutschen Turnerbundes.
    Rainer Brechtken: Nein, wir haben ja vor Ort immer sofort einen Arzt dabei, der ist ja Teil der Mannschaft. Das ist ja eines unserer Grundprinzipien, dass ein Arzt dabei ist. Und am Ende des Tages entscheidet der Arzt über die Sache. Also ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass er im Hinblick auch auf die Schmerzen, die so ein Kreuzbandriss verursacht, noch einmal ans Gerät geht. Aber er hat es gemacht nach Rücksprache mit dem Arzt, und der Arzt sah keine zusätzliche Gefährdung, nachdem ja das Pauschenpferd ein ganz spezifisches Gerät ist und klar war, wie der Abgang aussieht, der ja bei ihm so ist, dass er vertretbar war.
    Friebe: Sie haben gesagt, der Arzt trifft die letzte Entscheidung, aber so ein Athlet, der dann vielleicht auch voll von Adrenalin ist und der sich vier Jahre darauf vorbereitet hat, der möglicherweise ja alles dafür tun würde, auf jeden Fall noch mal starten zu wollen, oder?
    Brechtken: Ja, sicher, aber die Rechtslage ist völlig eindeutig. Nicht der Athlet entscheidet. Über die Frage des Starts entscheidet der Verband, ganz prinzipiell. Der Verband bedient sich des Arztes in der Frage der Beurteilung, also in dem konkreten Fall natürlich der Cheftrainer vor Ort. Und wenn der Arzt Bedenken erhebt, dann gibt es keinen Start, auch wenn der Athlet dies will. Ich mache Ihnen ein anderes Beispiel, jetzt nicht so dramatisch. Wir hatten bei der Rhythmischen Sportgymnastik den Fall, dass die Athletin unbedingt turnen wollte, und der Arzt hat erhebliche Bedenken gehabt. Ich war dabei, bei der Mannschaft, habe dann offiziell den Arzt befragt. Der Arzt hat mir mitgeteilt, er hat Bedenken. Daraufhin habe ich den Start untersagt respektive die Nominierung zurückgezogen, und damit war die Sache klar. Also, am Ende entscheidet immer der Verband. Natürlich ist der Athlet als Selbstständiger ein wichtiges Entscheidungskriterium, aber letztlich entscheidet dann der Arzt in Form seines fachlichen Gutachtens, ob dies noch vertretbar ist oder nicht.
    Friebe: Das heißt, der Arzt ist auch absolut unabhängig in seiner Entscheidung. Es ist nicht so, dass er irgendwie dann sagt, in Rücksicht auf Verbandsinteressen, auf ein Finale und mögliche Dinge, die dann folgen, wie Sportförderung oder so, entscheidet man da auch mal mit Augenzudrücken?
    Brechtken: Nein, um Gottes willen, das wäre verhängnisvoll. Nein, nein, der Arzt hat ausdrücklich, und das haben wir auch schon mehrfach durchgespielt, ausdrücklich die völlig freie Entscheidung, unter seinem ärztlichen Gesichtspunkt uns gutachterlich zu sagen, ich halte es für vertretbar oder für nicht vertretbar, und danach entscheiden wir. Wie gesagt, wir bedienen uns da des Arztes, und der ist unabhängig. Alle übrigen Dinge sind natürlich nicht mehr möglich, das ist klar. Eine zusätzliche Belastung konnte dem Knie nicht zugemutet werden, sonst hätte es möglicherweise eine Vergrößerung der Verletzung gegeben.
    "Das fordert mir unglaublichen Respekt ab, was er geleistet hat"
    Friebe: Als Olympia-Turner steht man ja ziemlich im Rampenlicht, ist natürlich auch für viele junge Turner Vorbild. Machen Sie sich da Sorgen, dass so was dann auch einreißen könnte?
    Brechtken: Nein, da mache ich mir gar keine Sorgen. Sehen Sie, hier hat einer entschieden in einer spezifischen Situation. Wie gesagt, es war ärztlich vertretbar. Das fordert mir unglaublichen Respekt ab, was er geleistet hat. Aber wir sorgen schon dafür und sind auch in unseren Stützpunkten etwa bei allen unmittelbaren Wettkampfvorbereitungen sind immer Ärzte dabei, sodass wir dort genau entscheiden, keine Risiken einzugehen, die unvertretbar sind. Und ich glaube, dass diese Situation so spezifisch ist, dass daraus keine Vorbildwirkung entsteht. Vorbildwirkung heißt, ich kämpfe drum, ich tue alles. Aber es muss natürlich auch vertretbar sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.