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Tusk-Leitlinien für den Brexit
"Es geht um Schadensbegrenzung"

Die EU will den Brexit in zwei Schritten verhandeln - zuerst die Trennung, dann die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit Großbritannien - aber das Königreich ist dagegen. Auf dieser Abfolge beharrt EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem neunseitigen Entwurf der Leitlinien für die zweijährigen Verhandlungen, die am Freitag in Brüssel bekannt wurden.

Von Jörg Münchenberg |
    Donald Tusk zeigt die Scheidungspapiere von Premierministerin Theresa May - jetzt hat der EU-Kommissionspräsident seine Vorstellungen von Verhandlungen in Leitlinien gepackt.
    Donald Tusk zeigt die Scheidungspapiere von Premierministerin Theresa May - jetzt hat der EU-Kommissionspräsident seine Vorstellungen von Verhandlungen in Leitlinien gepackt. (imago/Xinhua)
    Die Verhandlungsposition der EU bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen nimmt langsam Gestalt an. EU-Ratspräsident Donald Tusk präsentierte einen Entwurf für die Leitlinien, der zunächst von den 27 Mitgliedstaaten abgesegnet und Ende April auf einem Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs formal beschlossen werden soll. Aus Sicht der EU wird es dabei klare Prioritäten geben, die möglichst schon bis Herbst abgearbeitet werden sollen:
    "Unsere Pflicht ist es, die Verunsicherung und Behinderungen so weit wie möglich zu minimieren, die durch die Brexit-Entscheidung in Großbritannien bei unseren Bürgern, Unternehmen und Mitgliedstaaten entstanden sind. Kurz, es geht um Schadensbegrenzung."
    60 Milliarden Euro an offenen Rechnungen und weitere Pflichten
    Vorrangig will die EU der 27 deshalb den künftigen Status der gut drei Millionen Bürger in Großbritannien sowie der eine Million Briten auf dem Festland klären. Zudem muss es eine Verständigung über die noch offenen Rechnungen und Verpflichtungen geben – im Raum stehen 60 Milliarden Euro. Ein Rechtsvakuum für Unternehmen muss ebenso vermieden werden wir eine Gefährdung des Friedensprozesses in Nordirland. In all diesen Bereichen müsse es substanzielle Vereinbarungen geben, stellte Tusk heute klar:
    "Erst wenn wir hier wirkliche Fortschritte erreicht haben, können wir über unsere zukünftigen Handelsbeziehungen reden. Parallele Verhandlungen in allen Bereichen, wie von manchen in Großbritannien gefordert, wird es nicht geben".
    Zwischenbilanz der Verhandlungen im Herbst
    Im Herbst wollen die Staats- und Regierungschefs eine Zwischenbilanz ziehen. Von der hängt dann wiederum der weitere Verlauf der Gespräche ab. Damit wollen die Staats- und Regierungschefs sicherstellen, dass sie in jeder Phase der Verhandlungen Herr des Geschehens bleiben. Zudem ist die Botschaft an London unmissverständlich: Nur bei konstruktiven Verhandlungen kann die britische Regierung auf Fortschritte bei den künftigen Handelsbeziehungen hoffen. Es werde harte Gespräche geben, aber keinen Krieg, betonte der amtierende Ratsvorsitzende, der maltesische Ministerpräsident Joseph Muscat:
    "It will be a tough negotiation, but it will not be a war."
    Wobei abzuwarten bleibt, ob sich die britische Seite tatsächlich so konstruktiv verhalten wird wie im Brexit-Schreiben angekündigt. Auch die EU weiß um das Risiko. Weshalb Tusk heute erneut die unverhohlene Warnung wiederholte, der Status der EU-Bürger dürfe nicht Verhandlungsmasse werden. Das gelte im Übrigen auch für die innere wie äußerliche Sicherheit.
    "Sicherheitspolitik ist keine Verhandlungsmasse"
    So wird im Scheidungsschreiben aus London ein Zusammenhang zwischen den künftigen Handelsgesprächen sowie der Kooperation in Sicherheitsfragen hergestellt, was einige in Brüssel durchaus als Drohung interpretiert haben. Doch an dieser Stelle beschwichtigte heute der Ratspräsident:
    "Terror und Sicherheit sind unserer gemeinsames Problem. Ich kenne Theresa May gut genug; ich kenne ihre Haltung in dieser Frage. Deswegen weise ich diese Interpretation und Spekulation zurück, dass die Sicherheitspolitik als Verhandlungsmasse genutzt werden könnte. Das muss ein Missverständnis sein."
    Und doch kann derzeit niemand seriös vorhersagen, wie die nächsten Monate verlaufen werden. Das sei seine erste Scheidung, meinte Tusk noch, und hoffentlich auch seine letzte. Aber er habe nun einmal in diesen Dingen keinerlei Erfahrung – was sich problemlos auf die gesamte EU übertragen lässt.