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"Tutti Frutti" und "Der heiße Stuhl"

Vor 25 Jahren begann in Deutschland eine neue Ära. Die ersten privaten Fernsehsender strahlten ihre Programme aus und mischten die Medienlandschaft auf. Am 2. Januar 1984 ging RTL plus - von Luxemburg aus - auf Sendung. Heute ist RTL der erfolgreichste private Fernsehsender Deutschlands.

Von Jürgen Bräunlein |
    Fast schon bieder beginnt am 1. Januar 1984 in der Bundesrepublik die Ära des Privatfernsehens. Die "Programmgesellschaft für Kabel und Satellit", aus der später Sat1 entstehen wird, sendet zum Auftakt aus dem Kellerstudio eines Vororts in Ludwigshafen ausgerechnet Händels "Feuerwerksmusik", dargeboten vom Münchner Bach-Orchester.

    Origineller ist man da bei RTL plus. Am 2. Januar um 17:27 Uhr erscheint dort auf der Mattscheibe Rainer Holbe, den manche Fernsehzuschauer noch als früheren Starmoderator vom ZDF kennen. Jetzt trägt er einen weißen Chirurgenkittel und holt mit den Gesten des Geburtshelfers einen Fernseher hervor, auf dem in Leuchtschrift die Buchstaben RTL plus prangen.

    "Willkommen zu Ihnen direkt aus den Sternen, wie Sie ja gerade gesehen haben, ich möchte Sie erstmal beglückwünschen, dass Sie bei diesem Wetter schon zu Hause sind, ich nehme an, ganz entspannt sitzen Sie jetzt vor Ihrem Fernsehgerät und freuen sich auf das kommende Wochenende, freuen sich auf ein gutes Abendessen, freuen sich auf eine schöne Liebesnacht, wer weiß, freuen sich auf irgendwelche Spiele am heutigen Abend, aber freuen Sie sich auch auf unser Fernsehprogramm hier direkt frisch auf den Tisch, auf Ihren Tisch aus Luxemburg."

    So locker kommt RTL plus daher. Ganz anders als ARD und ZDF. In der Nachrichtensendung "7 vor 7" wird sogar im witzigen Plauderton über das Weltgeschehen berichtet. Das fünfstündige Programm mit Spielfilmen und Serien ist wie eine einzige Show strukturiert. Immer wieder purzeln die Buchstaben "RTL" ins Bild, unterlegt von Klang-Geplätscher wie im Supermarkt. Es gibt Gewinnspiele so kompliziert wie der einarmige Bandit und ausgedehnte Werbeblöcke für Pinkelpause und Biernachschub.

    Zu empfangen ist RTL plus über eine Zusatzantenne zunächst nur im Saarland, in Rheinland Pfalz und in Randzonen Nordrhein-Westfalens. Mit dem Privatsender, einem Ableger des französischen Kommerzsenders "Radio Television Luxemburg", sind große Hoffnungen verbunden. Der Gütersloher Medienriese Bertelsmann ist zu 40 Prozent an RTL plus beteiligt. Angestrebt wird ein Vollprogramm, das sich am Publikumsgeschmack orientiert. Helmut Thoma, damaliger Programmdirektor, unterstreicht das mit markigen Sprüchen:

    "Im Seichten kann man nicht ertrinken. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler."

    Medienkritiker fürchten, dass RTL plus bald billige Spielfilme und Softpornos zeigen wird. Dem entgegnet Helmut Thoma im April 1985:

    "Was die Filme betrifft, ja wir kaufen aus ähnlichen oder gleichen Quellen, wie es die ARD oder ZDF tun. Spielfilme stellen wir beide nicht her. Und die Serien kommen auch aus ähnlichen Quellen. Unsere ersten Serien waren Wiederholungssendungen des Bayerischen Rundfunks. Kann ja auch nicht so schlimm sein! Und ich glaube, Luxemburg ist auch ein wirklich konservatives, katholisches Ländchen, wenn man das so formulieren darf, und bevor von uns aus Luxemburg Pornosendungen kommen, dann sind die genauso unwahrscheinlich, wie wenn es von Radio Vatikan kommt."

    Ganz ohne Erotik geht es bei RTL plus dann doch nicht. Sexberaterin Erika Berger moderiert jahrelang die Sendung "Eine Chance für die Liebe", bei "Tutti Frutti" müssen sich die Kandidaten nackt ausziehen, und zeitweise hat man tatsächlich Softpornos im Programm. Auch sonst bricht der Privatsender, der seit August 1985 bundesweit zu empfangen ist, immer wieder Tabus. In der Diskussionsrunde "Der heiße Stuhl" dürfen sich die Gäste hemmungslos anbrüllen.

    1988 zieht RTL plus nach Köln, 1991 macht man erstmals Gewinne, und zwei Jahre später ist der Privatsender an ZDF und ARD vorbeigezogen. Für einige Jahre bleibt RTL, wie der Sender mittlerweile heißt, Marktführer.

    Mit umstrittenen Unterhaltungsformaten wie "Deutschland sucht den Superstar" oder "Bauer sucht Frau" gelingen RTL bis heute immer wieder verblüffend hohe Einschaltquoten. Mit "Wer wird Millionär" und dem seriösen Günther Jauch verfügt man zudem über ein Erfolgsformat, das fast schon Bildungs-TV ist.

    Dass Fernsehen hierzulande von einem hochkulturlastigen zu einem populärkulturellen Medium geworden ist, haben die Deutschen zu einem Großteil RTL zu verdanken.