Richard Tuttle hat das Alphabet nochmal erfunden: ein visuelles Alphabet. "Formal Alphabet" heißt die neue Werkreihe, die direkt aus seinem Atelier kommt und mit ärmsten Materialien arbeitet, mit Pappkarton nämlich. Seit den 1960iger Jahren hat er das bereits mehrmals gemacht: eine Sprache erfinden, die die formalen Möglichkeiten des Sagbaren, des Zeigbaren erkundet. Umriss, Linie, Farbe, Form, manchmal Volumen.
Im ersten Saal gibt es die Flachware, geometrische Grundformen, die sich zu gezackten Gesichtern, bauchigen Vasen, bananen- oder bumerangförmigen Kurven weiten. Aber das sind schon (unsere) Projektionen - wichtig ist, dass hier mit einfachsten Möglichkeiten und billigstem Material ein Zauber entfacht wird, der wirkt wie hochabstrakte Höhlenmalerei auf weißer Museumswand. Die ausgeschnittenen und in sich perfekten Pappen sind nämlich mit zarten Farbschlieren versehen, eine Andeutung von Malerei, die auch Tuttles Zweifel an diesem Medium sichtbar macht. Die Objekte wirken wie lakonische Monde, Gestirne an der Wand: ein Zeichen sind wir, deutungslos.
"Es war ja fantastisch, das zu erleben. Zu Beginn kam diese kleine Kiste mit diesen Pappkartons. Die liegen da und sind so unscheinbar. Und sobald man einen oder zwei an der Wand hat, wird das richtig magisch, wie die den Raum in Beschlag genommen haben", sagt Kurator Dieter Schwarz. In einem zweiten Saal treten dann die Formen aus der an der Wand angebrachten Papp-Fläche heraus, Karton-Skulpturen, die durch kleinste Veränderungen das Entstehen des Körperhaften untersuchen: eine abgeknickte Ecke, ein ausgeschnittenes oder herausgewölbtes Halbrund, eine herausgestreckte ovale Zunge.
Im ersten Saal gibt es die Flachware, geometrische Grundformen, die sich zu gezackten Gesichtern, bauchigen Vasen, bananen- oder bumerangförmigen Kurven weiten. Aber das sind schon (unsere) Projektionen - wichtig ist, dass hier mit einfachsten Möglichkeiten und billigstem Material ein Zauber entfacht wird, der wirkt wie hochabstrakte Höhlenmalerei auf weißer Museumswand. Die ausgeschnittenen und in sich perfekten Pappen sind nämlich mit zarten Farbschlieren versehen, eine Andeutung von Malerei, die auch Tuttles Zweifel an diesem Medium sichtbar macht. Die Objekte wirken wie lakonische Monde, Gestirne an der Wand: ein Zeichen sind wir, deutungslos.
"Es war ja fantastisch, das zu erleben. Zu Beginn kam diese kleine Kiste mit diesen Pappkartons. Die liegen da und sind so unscheinbar. Und sobald man einen oder zwei an der Wand hat, wird das richtig magisch, wie die den Raum in Beschlag genommen haben", sagt Kurator Dieter Schwarz. In einem zweiten Saal treten dann die Formen aus der an der Wand angebrachten Papp-Fläche heraus, Karton-Skulpturen, die durch kleinste Veränderungen das Entstehen des Körperhaften untersuchen: eine abgeknickte Ecke, ein ausgeschnittenes oder herausgewölbtes Halbrund, eine herausgestreckte ovale Zunge.
Sound des Materials reichte Tuttle nicht
Das klingt jetzt alles abstrakt und vielleicht auch esoterisch, eine in sich geschlossene Welt, zu der man Zugang findet oder auch nicht. Aber wenn man zurückgeht in die 1960iger Jahre, wird man verstehen, was hier passiert. Der Minimalismus hatte das Material absolut gesetzt – Carl André etwa platzierte quadratische Stahlplatten auf dem Boden, und das war’s. Der Sound des Materials reichte Tuttle aber nicht, er brauchte dann doch das Zeichenhafte, die Illusion einer Bedeutung, die aber unklar bleibt, die jeder für sich selbst herstellen muss. Dieter Schwarz nennt es die Transzendenz:
"Es gibt nichts, was schon feststeht, es gibt keine Begriffe. Kein Wissen, keine Urteile. In der Begegnung mit dem Werk muss man wissen, was das ist. Deshalb kann er auf einen Wertekanon verzichten."
Der Titel "Kalllirroos", griechisch für "schön fließend", bezieht sich nicht nur auf die - zu fließenden Ensembles angeordneten - Tuttle-Werke, er bezieht sich auf das Konzept des Kurators, der hier quasi drei Ausstellungen ineinander übergehen, ineinanderfließen lässt. Das geht gut auf. Ausgangspunkt ist der deutsch-französische Dichter Hans Arp, der seine Skulpturen ebenfalls als Poesie, als Sprache empfand. In diesen Räumen sehen wir, wie bei Arp zunächst die Fläche zum Relief wird und wie er in den 1930iger Jahren dann diese glatten, biomorphen abstrakten Körper schafft.
"Es gibt nichts, was schon feststeht, es gibt keine Begriffe. Kein Wissen, keine Urteile. In der Begegnung mit dem Werk muss man wissen, was das ist. Deshalb kann er auf einen Wertekanon verzichten."
Der Titel "Kalllirroos", griechisch für "schön fließend", bezieht sich nicht nur auf die - zu fließenden Ensembles angeordneten - Tuttle-Werke, er bezieht sich auf das Konzept des Kurators, der hier quasi drei Ausstellungen ineinander übergehen, ineinanderfließen lässt. Das geht gut auf. Ausgangspunkt ist der deutsch-französische Dichter Hans Arp, der seine Skulpturen ebenfalls als Poesie, als Sprache empfand. In diesen Räumen sehen wir, wie bei Arp zunächst die Fläche zum Relief wird und wie er in den 1930iger Jahren dann diese glatten, biomorphen abstrakten Körper schafft.
Kleinstformen aus Karton bringen die Wände zum Leuchten
Als Kontrapunkt wird der in die USA ausgewanderte englische Bildhauer William Tucker eingeführt, der in seinem Spätwerk den Übergang von der ungestalteten Form, quasi vom Lehmklumpen zum anthropomorphen Körper untersucht. Diese gewalttätigen Bronzen stehen in einer ganz anderen Tradition, in der von Rodin und Henry Moore, sie sind stahlgewordenes, wildes Fleisch, jedenfalls in den monomentalen, raumfüllenden Großformaten. Und dagegen setzt der Kurator dann die bescheidenen, postminimalistischen Kleinstformen aus Karton, mit denen Richard Tuttle die Wände zum Leuchten bringt.
"Tuttle hat seine skulpturale Arbeit einst mit feinen Drähten begonnen, den 'Wire Pieces'. Das zerbrechliche Alphabet, das er uns nun bietet, ist ähnlich reduziert, eine visuelle Zeichensprache, die wir nicht hören, lesen, dechiffrieren können. Sie ist nur zum Sehen gemacht, in seiner reinsten Form."
"Tuttle hat seine skulpturale Arbeit einst mit feinen Drähten begonnen, den 'Wire Pieces'. Das zerbrechliche Alphabet, das er uns nun bietet, ist ähnlich reduziert, eine visuelle Zeichensprache, die wir nicht hören, lesen, dechiffrieren können. Sie ist nur zum Sehen gemacht, in seiner reinsten Form."