Gut fünf Millionen Zuschauer sahen zu, als Nora Illi ihre Sicht auf die Welt erklärte. Ihre Sicht durch einen engen Schlitz - denn Illi war vollverschleiert, sie trug Niqab. Und erklärte, im Islam habe die Frau "ganz viele Rechte und Möglichkeiten, sich auszuleben". Der Niqab bedeute für sie Freiheit und Selbstbestimmung.
Es ist nicht ihr erster Medienauftritt, sehr wohl aber in Deutschland der erste vor so großem Publikum. Die 32-Jährige konvertierte mit 18 Jahren zum Islam. In der Schweiz bezeichnete die Boulevardzeitung "Blick" die Frauenbeauftragte des dortigen Islamischen Zentralrats mal als "umstrittenste Muslimin" des Landes. Und auch in Deutschland kennt man sie nun.
Die frühere baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) kommentierte auf Twitter: "Zustimmung. Provokation. Und Quote. Morgen redet jeder darüber. Medienkrise zu Zeiten von Talkshow-Overkill..."
Andere äußerten sich ähnlich: Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, schrieb auf Facebook, er brauche eine "hysterisierende und wie häufig oberflächliche Debatte mit fester Rollenverteilung bei Anne Will" nicht. "Dass man im Fernsehen dem radikalen Islam eine solche Plattform bietet, finde ich abenteuerlich!", twitterte der CDU-Bundestagsabgeordnete Sebastian Steineke. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte am Montag in Berlin: "Wenn eine Frau mit Nikab in der Sendung einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt als Frauenrechtsbeauftragte präsentiert wird, dann habe ich ein bisschen Sorge, dass man demnächst im deutschen Fernsehen Herrn Assad als Menschenrechtsbeauftragten ankündigt."
Auch verschiedene Medien kritisierten die TV-Macher: "Anne Will" verkomme zur Propagandasendung für den sogenannten Islamischen Staat, schrieb die Tageszeitung "Welt" online. Stern.de sprach von einem "Skandal". Die "Fankfurter Allgemeine" zeigte sich erleichert, dass zumindest während der Sendung der Widerspruch groß gewesen sei.
Illi verteidigt sich
"Es sind Seelenfänger unterwegs, die Versprechungen machen, die in der Realität nicht eingehalten werden", sagte CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach in der Talkrunde. Und auch der Islamismus-Experte und Psychologe Ahmad Mansour widersprach Illis' Thesen:
Illi gab sich am Tag nach der Livesendung unbeeindruckt von der Kritik – und deutete die Wirkung ihres Auftritts so: Offensichtlich habe sie das "bequeme, stereotype Bild der unterdrückten muslimischen Frau, die es nun zu befreien gelte, ins Wanken gebracht", schrieb sie auf Facebook. Mit ihrem in der Sendung diskutierten Essay über Reisen in den Dschihad habe sie nicht für das Thema werben, sondern es erklären wollen.
Bei "Anne will" hatte sie nicht eindeutig auf die Frage geantwortet, was sie jungen Leuten, insbesondere Mädchen, rate, die zur IS-Terrormiliz reisen wollen.
(bor/am)