Sigrid Fischer: "Nicht in unserem Namen", sagen junge muslimische Aktivisten aus NRW, die mit sehr drastischen Live-Aktionen und Videos im Netz gegen Terror und Gewalt protestieren, die im Namen des Islam verübt werden. Und sehr vergeblich auf Unterstützung aus den eigenen Reihen, besonders von den muslimischen Dachverbänden warten. Stattdessen werden sie wüst beschimpft und erhalten Morddrohungen. "12th MemoRise" nennt sich die Gruppe, über die Till Schauder eine TV-Dokumentation gedreht hat und mit der Idee den ARD-Wettbewerb Top of the Docs gewonnen hat. Willkommen bei Corso, Till Schauder.
Till Schauder: Danke sehr.
Fischer: Ich schlage vor, wir hören direkt mal kur rein in diese Dokumentation "Glaubenskrieger" und zwar mit einem Ausschnitt, der mit einem Ausschnitt aus einem der Videos dieser Gruppe beginnt.
"Was ist nur mit euch Muslimen? Fast die ganze Welt fürchtet sich vor eurer Religion. Und sogar Muslime flüchten vor den muslimischen Ländern. Ist das euer Islam?"
"Unser Video ist eigentlich das mindeste, was man machen sollte."
"Wie haben mehrere islamische Dachverbände gefragt, warum wir nicht eine Demonstration gegen den IS, gegen den Terror veranstalten, weil die Muslime bisher geschwiegen haben. Wir müssen einmal zeigen, es gibt auch Muslime, die dagegen handeln. Die meinten zu uns, dass das unsere Brüder sind. Wir dürfen gegen sie nicht auf die Straße gehen."
Drohungen und Shitstorms im Internet
Fischer: Das klingt danach, dass diese Gruppe ein bisschen gefährlich lebt. Ist das so?
Schauder: Es ist teilweise so. Also je mehr Resonanz sie im Prinzip über ihre Aktionen erhalten in der Presse, desto mehr steigern sich die Drohungen und die Shitstorms im Internet vor allen Dingen. Es ist sogar so, dass der Hassan Geuad selber auch überfallen wurde oder angegriffen wurde ein, zwei mal. Also man muss sich schon ein bisschen um sie sorgen.
Fischer: Heute Abend wird der Film in der ARD ausgestrahlt. Möglicherweise dann noch mal so ein Aufmerksamkeitsschub, der auch dann negativ sich auswirken kann.
Schauder: Ich habe die Gruppe gestern gerade gesehen. Wir hatten noch eine Vorstellung in Düsseldorf - eine Kinovorstellung. Und da haben sie schon drüber gesprochen, wie sie sich da sozusagen schonmal präventiv gegen abhärten.
Schweigen aus Scham
Fischer: Haben Sie über die Arbeit an dem Film verstanden, warum es so wenig öffentliches Bekenntnis seitens der Muslime gibt gegen Terror und Gewalt im Namen des Islam?
Schauder: Mir scheint es so ein ziemlich komplexes Gemisch aus Gründen zu sein, warum, sagen wir mal, die breite Öffentlichkeit der Muslime sich weniger engagiert als wir das im Westen vielleicht erwarten würden. Das ist zum Teil einfach Scham. Also ich habe von vielen gehört, dass sie sich einfach schämen. Natürlich gibt's auch Leute die der Meinung sind, dass simplifiziert wird - was auch zum Teil stimmt. Also nur, weil irgendwo in der Welt ein Terrorangriff im Namen des Islam von einem Fehlgeleiteten durchgeführt wird, lässt sich ja nicht daraus schließen, dass die gesamte Religion das vertritt. Das ist natürlich auch ein berechtigter Grund.
Es sind verschiedene Gründe, und ich habe den Eindruck, dass es noch ein bisschen mehr Arbeit, Aktionismus im Sinne von solchen Gruppen wie von Hassan, aber auch anderen geben muss wahrscheinlich, um die breite Öffentlichkeit zu mobilisieren. Das ist ja eigentlich auch das Hauptanliegen der Gruppe. Jenseits von ihren Reformbestrebungen geht's vor allen Dingen darum, die Apathie zu bekämpfen, die besteht - und ich wünsche ihnen da viel Glück bei.
Wir haben noch länger mit Till Schauder gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Fischer: Die Aktionen sind ja schon krass, sagen die ja auch selber zum Teil in dem Film. Also die simulieren Hinrichtungen in der Fußgängerzone, die bieten Frauen auf dem Sklavenmarkt an, die lassen einen abgetrennten Kopf sprechen in der Fußgängerzone oder so was. Überzeugen Sie diese Methoden?
Schauder: Einerseits ja, andererseits nein. Also sicherlich überzeugen sich im Sinne von Aufmerksamkeit schaffen. Das ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen. Also zum Beispiel die allererste Aktion, die sie wirklich mit 120€ oder noch weniger finanziert haben, wo sie eben diese Scheinhinrichtung in Essen gemacht haben. Die hat innerhalb von einem Tag 120.000 Klicks gehabt, und das war im Prinzip überhaupt sozusagen das Entrée der Gruppe, weil danach eine unglaubliche Resonanz kam. Die waren also überall in der Presse. Das funktioniert. Was aus meiner Sicht nicht immer funktioniert, ist, tatsächlich ihre Message zu formulieren, dass sie jeder Autonormalverbraucher versteht. Also ich habe selber am Anfang nicht verstanden. Ich habe sie auch immer wieder gefragt.
Die Mittel der Gegner nutzen
Fischer: Ja, vor allen Dingen, die sind ja auch inspiriert von IS-Videos, die vermutlich auch viele Klicks kriegen. Also sie reproduzieren also genau diese Bilder, die Angst machen, und man ist dann verwirrt vielleicht, vor allem die Passanten in den Fußgängerzonen, kapieren nicht direkt: Huch, was ist jetzt hier gerade? Es kann kontraproduktiv sein, das meine ich.
Schauder: Das ist für mich als Filmemacher natürlich interessant. Da ist auch so eine gewisse Medienkritik oder Selbstanalyse drin, weil: Die haben ja die ISIS-Videos genau studiert, Hassan und seine Crew. Hassan ist übrigens abgesehen von Germanistik auch Medienstudent. Der hat die also genau analysiert und überlegt, wie funktionieren die eigentlich, diese ISIS-Videos? Und kam dann zu dem Schluss, dass die eben wie Spielfilme inszeniert sind, und er merkte dann eben, dass die den Zuschauer emotional ansprechen und hat sich überlegt: Genau das will ich auch machen. Aber mit einem Schockeffekt, wo man also nach einer gewissen Verunsicherung merkt: Aha, die Botschaft dieses Videos ist aber eben nicht die des ISIS, sondern genau das Gegenteil. Das fand ich natürlich ganz interessant, diese Herangehensweise - wie er sich die Mittel seiner Gegner zu Nutzen macht und versucht, sie mit ihren eigenen Mitteln im Prinzip zu schlagen.
"Das repräsentiert unseren Glauben nicht"
Fischer: Sie spielen ja auch ganz schön damit. Und was ich auch gut finde, dass sie ja ganz nebenbei zeigen, dass es einen friedliebenden Islam von jungen Muslimen auch gelebt gibt. Die beten ja alle, die sind alle unheimlich gläubig. Wir hören dauernd auch Allahu Akbar in diesem Film, eben innerhalb der Gebete. Die Frauen und Mädchen tragen Kopftuch. Die wollen alle keinen Sex vor der Ehe. Das heißt das ist ja nicht alles zwangsläufig mit Gewalt natürlich verbunden, aber wie kriegt man diese Verbindung aus den Köpfen raus? Darum geht's eigentlich?
Schauder: Das ist auch genau das Anliegen der Gruppe. Dass sie also sagen: Nicht in meinem Namen, nicht in unserem Namen. Das repräsentiert unseren Glauben nicht, und das muss endlich mal deutlich gesagt werden. Und zwar nicht von Deutschen oder Westlern, sondern das muss aus der muslimischen Gemeinde selbst kommen, diese Kritik.
Fischer: Das Erste zeigt ihre "Glaubenskrieger" heute abend um 23:15 Uhr. Finden sie das eine angemessene Uhrzeit dafür?
Schauder: Nein, das ist natürlich schade. Der war ursprünglich etwas früher terminiert. Ich wohne in den USA und da gilt sozusagen als Primetime natürlich ein Sendeplatz, der wesentlich früher ist.
Primetime im Dokumentarbereich: nach den Tagesthemen
Fischer: In Deutschland auch, durchaus. 20:15 Uhr.
Schauder: Bei dem Wettbewerb hieß es ja: Man kriegt dann einen Primetime-Slot. Irgendwann habe ich mich dann aufklären lassen, dass Primetime im Dokumentarbereich so ungefähr nach den Tagesthemen heißt. Das ist schade, vor allen Dingen, weil man sieht ja, wenn irgendwas passiert, irgendein Terroranschlag, dann ist das links und rechts und auf jedem Kanal, ganz egal welche Uhrzeit es ist. Jetzt kommt ein Film, der sich also damit etwas ausführlicher und nuancierter auseinandersetzt - und der läuft dann um 23:15 Uhr.
Fischer: Da sehen sie es wieder: Die Medien lieben dann doch eher die schweigenden Muslime, die nichts tun dagegen. Es wäre wichtig, die Gruppe auch mit medialer Öffentlichkeit zu unterstützen, natürlich.
Schauder: Selbstverständlich, also das ist eine Wechselwirkung.
Fischer: Ja, okay. Es gibt immerhin die Mediathek. Da kann man sich den auch morgen früh noch mal angucken. "Glaubenskrieger" - die Dokumentation von Till Schauder. Wirklich sehr, sehr sehenswert. Vielen Dank.
Schauder: Danke Ihnen.
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