Karin Fischer: Das war gestern Nacht schon eine Überraschung: Donald Trump gegen Schluss fahrig und unkonzentriert, Hillary Clinton staatsmännisch und überzeugend. Trump aggressiv und dünnhäutig, Clinton souverän und gelassen. Der Sieg im ersten von drei TV-Duellen geht nach übereinstimmender Meinung aller Beobachter an sie. Schmutzige Wäsche wurde kaum gewaschen, das heben sich die Kandidaten wohl für die nächsten Runden auf. Trotzdem stellte der republikanische Wahlkampfforscher Whit Ayres fest:
Whit Ayres: "Diese Präsidentschaftswahl erinnert mich viel mehr an eine Wahl in einem Land der Dritten Welt als eine Abstimmung in einer fortgeschrittenen industrialisierten Demokratie. In der Dritten Welt geht es um "meinen tollen Kerl gegen deinen tollen Kerl". Es dreht sich um die großen Kerle, oder in diesem Fall um den großen Kerl und das große Mädchen."
Fischer: Was haben wir da gesehen, ein Duell, das eventuell gar keins war? Oder einen harten Schlagabtausch, in dem es auch viel um Fakten ging? Die amerikanische Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam, habe ich vor der Sendung gefragt, wie sie den Abend erlebt hat.
Susan Neiman: Mich wundert nur an Ihrer Beschreibung, dass es eine Überraschung war. Es war überhaupt keine Überraschung. Dass Clinton souverän, erkenntnisreich und staatsmännisch wirkte, war ebenso unüberraschend wie die Tatsache, dass Trump genau das Gegenteil war. Das war überhaupt keine Überraschung, es war eine Erleichterung. Ich meine, im Grunde genommen müssen wir uns klar sein: Das war keine Debatte. Eine Debatte ist ein Austausch von Argumenten, wo jeder Gründe gibt, wo jeder erst mal eine klare Position beschreibt und dann Gründe dafür gibt. Wir wissen schon, dass Trump das nicht kann. Wir haben genug von ihm gesehen.
Fischer: Meine Überraschung, wenn ich das sagen darf, bezog sich auf die Tatsache, dass ja kurz vor diesem TV-Duell Trump in den Meinungsumfragen mit Clinton fast gleichauf lag.
Neiman: Ja, das ist die Überraschung.
Fischer: … während Sie schon im Juli gesagt haben, er sei nicht mal fähig, Bürgermeister einer Kleinstadt zu werden.
Neiman: Ja.
Fischer: Aber sind wir da nicht alle zu naiv?
Neiman: Was wirklich erschreckend, aber auch faszinierend ist an dieser Wahl: Es hat sich etwas grundsätzlich geändert. Es geht überhaupt nicht mehr um Wahrheit, und das ist natürlich das Zerstörende daran. Es ist völlig egal, wie oft man Trump Lügen vorwirft, wie oft man belegt, wie oft er gelogen hat. Das spielt im Bewusstsein seiner Wähler gar keine Rolle. Und da haben die US-Medien schon Riesenfehler gemacht. Das haben sie allerdings in den letzten paar Tagen angefangen zu korrigieren. Gott sei Dank ist es jetzt, soweit ich das schnell überblicken konnte, von den Medien gesagt, dass er verloren hat.
Irrationalismus nimmt zu
Fischer: Es gab eine Art Faktencheck, soviel ist auch klar, der Donald Trump tatsächlich dessen überführt hat, was Sie auch sagen, nämlich der Tatsache, dass er gelogen hat. Was sagen Sie zur Sprache in diesem TV-Duell? Dieser Mann, der mit seinen Sprüchen ja derart beleidigen, ausgrenzen, ja sogar seine eigene Partei spalten kann, er hat sich doch einigermaßen zurückgenommen.
Neiman: Einigermaßen. Wie man hört: Seine Tochter ist seine einzige wirkliche Beraterin. Sie ist vernünftig im Sinne von instrumenteller Vernunft. Anscheinend ist ihm eingeredet worden, er muss sich mäßigen. Das hat er gemacht, obwohl nicht nur. Aber er war nicht so grob, wie man ihn schon kennt, er hat sich zurückgehalten. Aber meine Güte, das qualifiziert ihn doch nicht für die Präsidentschaft.
Fischer: Sie haben gesagt, Frau Neiman, die Wahrheit kommt zu kurz in Deutschland. Wird dieser US-amerikanische Wahlkampf ja vor allem auch deshalb so intensiv beobachtet, weil wir bemerken, dass das Gefühl, die Emotionen, auch der Irrationalismus in den gesellschaftlichen Debatten auch bei uns zunimmt und Trump ist da so eine Art Kulminationspunkt. Man glaubt ihm nicht, aber gut, dass er mal so auf die Kacke haut, wenn ich das mal so salopp formulieren darf. In Deutschland hat im Moment die AfD eine solche Rolle.
Ängste werden instrumentalisiert
Neiman: Die AfD, so schlimm wie sie auch ist, ist nicht einmal so vulgär wie Donald Trump. Aber Sie haben schon Recht, dass eine Panikmache vor - wie hieß es gestern in der Zeitung? Da war dieser schreckliche Nazi-Begriff von Entfremdung, aber es war die Umvölkerung.
Fischer: Umvolkung.
Neiman: Umvölkerung.
Fischer: Nein, Umvolkung.
Neiman: Umvolkung, ja. - Das sind alles Signale, dass mit Ängsten, mit Vorurteilen statt mit Vernunft auch in Europa gearbeitet wird, und man sieht ja, wie der Brexit zustande kam.
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