Dirk-Oliver Heckmann: Telefonisch zugeschaltet ist uns Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sie ist dort Leiterin des Programms Frankreich und deutsch-französische Beziehungen. Schönen guten Abend!
Claire Demesmay: Guten Abend.
Heckmann: Frau Demesmay, Sie haben sich die Debatte auch bis zum jetzigen Zeitpunkt angeschaut.
"Le Pen schaute ständig in ihre Unterlagen"
Demesmay: Ja.
Heckmann: Wer hat denn aus Ihrer Sicht mehr Punkte gemacht, Le Pen oder Macron?
Demesmay: Ich gehe davon aus, dass das eine Frage des Blickes ist, und für Sympathisanten von Le Pen kann ich mir vorstellen, dass viele gejubelt haben. Ich fand Macron viel überzeugender, weil er klar argumentiert hat. Er hat Fakten genannt, er hat Zahlen genannt, er war gut vorbereitet. Und Le Pen wirkte, wie Ihre Korrespondentin in Paris schon sagte, oft nicht gut vorbereitet. Sie schaute ständig in ihre Unterlagen, jetzt immer noch und sucht nach Informationen. Sie wirkte oft verwirrt und verwirrend.
"Sie lügt ganz viel, erzählt Sachen, die nicht ganz stimmen"
Heckmann: Die beiden schenken sich nichts, gehen einigermaßen aggressiv miteinander um. Ist das typisch für eine solche Begegnung zwischen den beiden?
Demesmay: Ja, es geht um vieles bei diesem Duell, und so ist es auch normal, dass der Ton relativ hart ist. Aber diesmal war es etwas Besonderes. Noch nie war der Front National in einem solchen Fernsehduell, wirklich kurz vor der Stichwahl vertreten. Chirac damals, vor 15 Jahren, als Jean-Marie Le Pen, der Vater von Marine Le Pen, in die Stichwahl gekommen war, hatte es abgelehnt, mit ihm eine Diskussion zu führen, und er meinte damals, keine Debatte ist mit der rechtsextremen Partei möglich. Und man sieht jetzt, wie schwierig in der Tat das ist, mit Le Pen zu debattieren. Das ist keine Diskussion. Sie lügt ganz viel, sie erzählt Sachen, die nicht ganz stimmen. Es gibt ganz viele Unterstellungen und Macron versucht, da zu kontern, indem er sagt, lügen Sie nicht, das ist nicht die Wahrheit, aber er muss sich ständig rechtfertigen und das ist natürlich eine gefährliche Lage.
"Schwer, zwischen Wahrheit und Lügen zu unterscheiden"
Heckmann: Das würde Le Pen sicherlich auch behaupten, dass andere Politiker nicht die Wahrheit sagen beziehungsweise lügen. Mit Recht auch zum Teil?
Demesmay: Na ja. Es gibt Fakten, die man ziemlich einfach prüfen kann. Wenn sie zum Beispiel sagt, dass Macron Wirtschaftsminister war, als ein bestimmtes Unternehmen Probleme hatte – es gibt ein bestimmtes Jahr, einen bestimmten Monat -, dann prüft man und das stimmt nicht. Sie verwechselt, ich nehme an mit Absicht, mit einer anderen Frage, mit einem anderen Unternehmen zu einem anderen Zeitpunkt. Und es sind diese Unwahrheiten, die Journalisten gut prüfen können, und es gibt auch Seiten, zum Beispiel auf der Homepage von der Tageszeitung Le Monde, wo Journalisten diese Fakten neu oder ins rechte Licht stellen. Aber für Leute, die nicht unbedingt das prüfen wollen, ist das schwer, zwischen Wahrheit und Lügen zu unterscheiden.
"Das Wort präsidiabel ist in Frankreich sehr wichtig"
Heckmann: Frau Demesmay, Frau Le Pen, die hatte in den letzten Tagen Schlagzeilen damit gemacht, dass sie einen Teil einer Rede des radikalen Linken Mélenchon Wort für Wort kopiert hat. Le Pen hat anschließend die Verantwortung dafür übernommen, aber von einem bewussten Akt gesprochen. Kann ihr das schaden?
Demesmay: Bei ihren Sympathisanten, denke ich, nicht. Das war eine Rede von Francois Fillon und ich denke, sie will damit zeigen, dass sie auch Ideen von Francois Fillon vertritt, und das ist auch eine klare Botschaft, das ist ein Signal an die Wähler von Fillon, um ihnen zu sagen, aha, ihr habt mich gehört und gedacht, ich sei nicht die richtige, aber ich sage eigentlich das gleiche wie euer Kandidat damals. Ich denke, das war bewusst, und sie könnte bei einem bestimmten Teil der Wählerschaft Stimmen gewinnen. Aber gleichzeitig könnte sie auch Stimmen verlieren bei Leuten, die auf die Seriosität des Kandidaten beziehungsweise der Kandidatin achten, und das ist in Frankreich sehr wichtig. Das Wort präsidiabel, wer kann Präsident werden, wer hat das Zeug dafür. Das heißt, man muss souverän auftreten, seriös wirken, und da hat sie genau das Gegenteil gemacht.
Macron brauche eine große Mehrheit
Heckmann: Sicher, es war eine Rede von Francois Fillon. Sie haben völlig Recht. Zu Jean-Luc Mélenchon wollte ich nämlich jetzt kommen.
Demesmay: So weit ist das mit Fakten.
Heckmann: Mélenchon, der hatte ja vor Le Pen in diesen Tagen gewarnt, aber nicht zur Wahl Macrons aufgerufen. Umfragen, die sagen jetzt, dass zwei Drittel der Anhänger von Mélenchon nicht zur Wahl gehen wollen. Könnte das am Ende den Ausschlag geben?
Demesmay: Die Enthaltung wird natürlich eine große Rolle spielen. Der Unterschied zwischen beiden Kandidaten ist ziemlich groß laut Umfragen, aber Macron, auch wenn er gewinnt, wenn er die Wahl gewinnt, braucht eine große Mehrheit. Es gibt eine psychologische Hürde, eine psychologische Grenze, und die liegt für Le Pen bei 40 Prozent. Wenn sie über 40 Prozent liegt, dann wäre das schon ein Sieg für sie, und Macron wäre auch dann in den nächsten Wochen und Monaten auch als Präsident geschwächt. Der Kampf geht weiter. Er muss dann als Präsident, falls er die Wahl gewinnt, noch in die Parlamentswahl gehen und da auch Stimmen gewinnen. Das heißt, er braucht diese Dynamik, und deswegen ist auch das Ergebnis von der Wahl entscheidend. Und wenn ein Politiker, der viel Erfolg hatte – Mélenchon hatte fast 20 Prozent der Stimmen bekommen bei dem ersten Wahlgang -, wenn eine solche Person keine Wahlempfehlung gibt, dann kann das natürlich einen Einfluss auf das Ergebnis haben.
Heckmann: Ganz kurz zum Schluss noch. Was denken Sie, wie wird das ausgehen am Sonntag und wäre es tatsächlich so schlimm für Europa und für Frankreich, wenn Marine Le Pen Präsidentin würde?
Demesmay: Ja. Ich denke, das wäre sowohl für Frankreich als auch für Europa sehr schlimm, weil ihr Programm vollkommen gegen die EU ist, und es würde zu einer großen Destabilisierung von der ganzen Europäischen Union führen.
Heckmann: Claire Demesmay war das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Herzlichen Dank für das Interview zu dieser Stunde.
Demesmay: Danke.
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