Rainer Brandes: Bernd Hüttemann ist der Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland. Das ist ein Zusammenschluss von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden, von politischen Parteien, politischen Stiftungen, und sie wird auch vom Auswärtigen Amt gefördert. Bernd Hüttemann ist jetzt live am Telefon. Schönen guten Abend.
Bernd Hüttemann: Guten Abend, Herr Brandes.
Brandes: Herr Hüttemann, auch Sie haben die Debatte verfolgt. Die Themen, die angesprochen wurden, die hat ja gerade unser Korrespondent genannt. Waren denn das auch die Themen, die aus Ihrer Sicht die drängenden Fragen sind?
Hüttemann: Ja, sicherlich sind das die Themen, die die Menschen auch bewegen, allen voran Migration und neuerdings natürlich auch der Klimaschutz. Das ist alles etwas, was natürlich europaweit sogar auch zieht. Insofern gibt es europaweite Themen, die diskutiert werden müssen und dann auch werden.
"Natürlich geht es um Personalisierung"
Brandes: Das Problem ist: Die meisten europäischen Spitzenkandidaten kennt ja keiner. Und dann wird diese Debatte auch noch auf einem Spartensender in Deutschland übertragen, auf Phönix. Auch nicht gerade die Breite der Bevölkerung wird da erreicht. Ist dieses Format denn überhaupt geeignet, die breiten Bevölkerungsschichten anzusprechen?
Hüttemann: Ich gehe mal rein in die Diskussion, wie spannend Kanzlerduelle sind. An Steinbrück und Merkel kann ich mich gut erinnern. Das wird vielleicht gesehen, aber es ist auch nicht sehr spannend. Natürlich geht es um Personalisierung. Das ist etwas, was man erreichen muss bei allen Wahlkämpfen, um den Streit, die Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Positionen zu haben. Das geht natürlich auch nur über Personen.
Dass die Sprache da immer eine schwierige Rolle spielt, mag sein, ist aber sicherlich auf Dauer auch aufhebbar. Ich glaube, dass tatsächlich dieser Wettstreit der Ideen und der Inhalte kommen muss. Es ist schon erstaunlich spannend gewesen, spannender als manch ein Kanzlerduell.
Brandes: Aber solche Wahlkämpfe und solche Duelle leben ja auch davon, dass die Menschen dort die Politikerinnen und Politiker sehen, die am Ende dann auch Spitzenposten ergattern können.
Hier haben wir immer noch das Problem: Zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel will gar nicht zusichern, dass nach der Wahl dann auch tatsächlich der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion auch Kommissionspräsident wird. Formal können die Regierungschefs da ja auch jemand anders draufhieven. Erweist sie damit der europäischen Demokratie einen Bärendienst?
Hüttemann: Da gehen wir einfach mal den Zeitplan durch. Wir haben jetzt die Wahl. Danach gibt es zwar ein informelles Treffen; wir können aber nicht davon ausgehen, dass dieses informelle Treffen der Staats- und Regierungschefs tatsächlich einen ersten Vorschlag ergibt. Die Staats- und Regierungschefs müssen auf ihrem Gipfeltreffen quasi im Lichte der Ergebnisse der Europawahl eine Entscheidung treffen, und das ist überhaupt nicht ausgemacht, dass das gegen das Europäische Parlament überhaupt möglich ist.
Es geht hier um Demokratie. Es geht um Parlamentarismus, und ich glaube nicht, dass es so einfach ausgemacht ist, dass man sich gegen das Spitzenkandidaten-Modell wenden kann von den Staats- und Regierungschefs. Der Juni-Rat am 20. Juni wird einen ersten Vorschlag machen können und dann geht das eigentlich sowohl im Europäischen Rat, im Gipfeltreffen, als auch im Europäischen Parlament nicht wirklich gegen die EVP-Fraktion, gegen die Christdemokraten und die Sozialdemokraten. Da muss es einen Kompromiss geben und ohne Parlament wird das nicht laufen.
"Wichtig ist, dass man das Grundprinzip versteht"
Brandes: Margrethe Vestager, die liberale Spitzenfrau, die hat in der Debatte einen interessanten Satz gesagt, wie ich finde. Sie hat gesagt, wir benutzen oft Formeln, Abkürzungen, die keiner versteht, als wollten wir etwas geheim halten. Warum ist Europapolitik oft so?
Hüttemann: Mit den Abkürzungen haben es die Deutschen, glaube ich, auch. Da können wir, glaube ich, Dlf sagen und alles Mögliche, ARD.
Brandes: Stimmt! Dlf kennt auch keiner, da haben Sie Recht.
Hüttemann: Irgendwann ist das mit den Abkürzungen dann doch eingeführt, siehe Dlf, aber das ist etwas, was wir im Deutschen wirklich sehr gut kennen. Das hat mit Europapolitik rein gar nichts zu tun.
Schwieriger sind solche Sachen, dass ich immer gerne anführe: Wir haben Richtlinien und Verordnungen und der Verfassungsvertrag hat vorgesehen, der zu 98 Prozent jetzt auch gilt.
Im Lissabon-Vertrag stand damals drin, es gäbe Rahmengesetze und Gesetze. Das ist das gleiche, jeder Jurist wird Ihnen das bestätigen. Das Europäische Parlament beschließt Rahmengesetze und Gesetze. Da hätte Frau Vestager vielleicht drauf anstoßen können und sagen können, da gibt es Problematiken, aber auch andere Problematiken, Europäischer Rat, Rat, Europarat.
Brandes: Aber vielleicht müsste sie das irgendwie in einer eingängigeren Sprache tun.
Hüttemann: Aber auch das, wissen wir, ist natürlich immer wieder für jeden Politiker schwierig. Und wenn er es dann tut, kriegt man den Vorwurf oftmals, dass er Worthülsen spricht.
Wichtig ist, dass man das Grundprinzip versteht: Es werden in Europa Gesetze gemacht, die werden vom Europäischen Parlament mit entschieden. Wenn man das weiß, dann kann man sich auch tatsächlich bei der Europawahl anders entscheiden und so entscheiden, wie man es gerne möchte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.