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TV-Experiment "Terror"
Das Fernsehgericht hat gesprochen

Darf man eine Passagiermaschine mit 164 Menschen an Bord abschießen um 70.000 Leute zu retten? Darum drehte sich gestern Abend ein TV-Experiment, dass zeitgleich in Deutschland (ARD), Österreich, der Schweiz, Slowenien und Tschechien ausgestrahlt wurde. Die Zuschauer durften mit abstimmen. Das Urteil war eindeutig.

Von Brigitte Baetz |
    Die Schauspieler Hans-Werner Leupelt (-r), Mattias Schamberger, Moritz Dürr und Andreas Vögler proben im Staatstheater in Braunschweig (Niedersachsen) das Theaterstück "Terror".
    Das TV-Spiel "Terror- Ihr Urteil" entstand auf der Basis eines Stücks des Autoren Ferdinand von Schirach, das bereits im Theater aufgeführt wurde, hier im Staatstheater in Braunschweig. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    "Ich verkünde folgendes Urteil: Der angeklagte Lars Koch wird auf Kosten der Landeskasse freigesprochen". (Beifall)
    Und auch im Hart-aber-Fair-Studio wird geklatscht. Denn das Fernsehgericht in Person der ARD-Zuschauer hat gesprochen: Der Bundeswehrpilot Lars Koch wird nicht dafür verurteilt, dass er einen Lufthansa-Airbus mit 164 Menschen an Bord ohne Befehl abgeschossen hat. Dieses Flugzeug, so das fiktive Szenario, war von islamistischen Terroristen entführt worden, die entschlossen schienen, es in ein voll besetztes Münchener Fußballstadion abstürzen zu lassen. Als es nicht gelingt, das entführte Flugzeug abzudrängen, entscheidet sich Bundeswehrmajor Lars Koch auf eigene Faust zum Abschuss.
    Richter: "Sie haben gegen den ausdrücklichen Befehl Ihres Vorgesetzten gehandelt."
    Koch: "Ja, das habe ich."
    Richter: "Warum?"
    Koch: "Weil ich es für richtig gehalten habe. Ich habe es nicht fertig gebracht, 70.000 Menschen sterben zu lassen."
    Emotional verständlich, verfassungsrechtlich fragwürdig
    164 Menschen töten, um 70.000 Menschen das Leben zu retten. Darf sich ein Einzelner oder auch der Staat anmaßen, eine solche Abwägung vorzunehmen? Darf er morden, um noch mehr Tote zu verhindern? Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sagt Nein. Menschenleben dürfen nicht gegen Menschenleben aufgewogen werden. Die Fernsehzuschauer stimmten jedoch via Telefonanruf oder online "In dubio pro reo" ab. Sie wollten den Piloten lieber nach Hause zu Frau und Kindern schicken als ihn im Gefängnis sehen. Emotional verständlich, verfassungsrechtlich fragwürdig.
    Staatsanwältin: "Wir brauchen Prinzipien. Und diese Prinzipien haben wir bereits. Wir haben sie uns selbst gegeben, es ist unsere Verfassung. Jeder Einzelfall muss nach unserer Verfassung geprüft und entschieden werden. Nicht nach unserer Moral. Nicht nach unserem Gewissen und nicht nach einer anderen höheren Macht. Recht und Moral sind streng voneinander zu trennen. Das ist das Wesen des Rechtsstaats."
    Das Kammerspiel im fiktiven Gerichtssaal ließ keine Argumentation aus: Ob beispielsweise der Pilot des Flugzeuges noch hätte überwältigt werden können oder ob man das Stadion nicht noch hätte räumen können. Die Anklage plädierte auf Mord. Die Verteidigung und die Zuschauer wählten das eher im Angelsächsischen beheimatete Prinzip des kleineren Übels statt das Prinzip deutscher Rechtsstaatlichkeit.
    Im Theater stimmte das Publikum viel abgewogener
    Verteidiger: "Lars Koch hat abgewogen und er hat die richtige Entscheidung gefällt. Jeder, der einigermaßen bei Verstand ist, wird, kann und muss es einsehen. Den kein Prinzip der Welt kann wichtiger sein, als 70.000 Menschen zu retten. Punkt. "
    Der Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach gilt seit seinen Bestsellern "Verbrechen" und "Schuld" als der Vorzeigejurist der deutschen Literatur, dieses, sein durch die ARD verfilmtes Stück "Terror", ist der Theatererfolg der Saison. Dort stimmte das Publikum übrigens viel abgewogener ab als die Fernsehzuschauer. Nur knapp 60 Prozent der Theatergäste plädierten für Freispruch, bei den Fernsehzuschauern waren es 87 Prozent. Das TV-Event war jedoch von Anfang an umstritten. Effekthascherei, warf der Alt-Liberale Burkhart Hirsch der ARD vor, Fernsehkritiker monierten: eine Gerichtsentscheidung sei keine Meinungsumfrage.