Vom Fragen als solchem lässt sich sagen, dass es nicht nur unter Journalisten und Journalistinnen einen guten Ruf genießt. Denn es ist ja richtig, was das Titellied der "Sesamstraße" behauptet: "Wer nicht fragt, bleibt dumm." Einerseits. Andererseits birgt das Fragen Risiken.
Der Fußball-Trainer Jürgen Klopp herrschte den ZDF-Moderator Jochen Breyer einst an: "Auf doofe Fragen kann ich schon auch doof antworten." Patsch! Eine Klatsche für Breyer - der hinterher zugab, tatsächlich eine "dämliche Frage" gestellt zu haben. Und so etwas kann nerven, wenn man kein Klopp ist, der im Zweifel rüstig zurückblafft.
Nicht umsonst heißt ein Werk des Psychoanalytikers Aron Bodenheimer "Von der Obszönität des Fragens". Es geht darin um die Beschämung, "welche durch das Fragen im Befragten erzeugt wird".
Viel Kritik an Tina Hassels Frage
Ob Tina Hassel, die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios, Bodenheimer kennt oder nicht - im ARD-Sommerinterview wollte sie die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock offenbar beschämen, etwa indem sie, vom Blatt ablesend, die vertrackt-impertinente Frage stellte: Wie würde Baerbock es ihren Kindern erklären, wenn durch die vermeidbaren Fehler ihrer Mutter die Grünen die Chance verspielen, in der Regierung für wirksamen Klimaschutz zu sorgen?
Hassels Problem: Baerbock, mittlerweile frei von Kloppschem Aggro-Stil, wahrte mit leichtem Schlucken die Fassung. Die Kritiker aber gingen auf die Moderatorin los. "Unterirdisch. Frauenfeindlichkeit pur", twitterte 'varanasi'. 'knistelfitz' seufzte: "Das war richtig journalistisch schlimm." "Geschmacklos, unverschämt, höchst deplatziert und unfassbar unfair", meinte 'icko221'. Das Magazin Cicero juxte, unfreundlicher als Hassel hätte "auch ein Julian Reichelt auf Bild-TV nicht formulieren können".
Und es behauptete, die Moderatorin habe hartnäckig versucht, "ihren Ruf als Grünen-Verehrerin" loszuwerden. Der geht auf Hassels Huldigungs-Post nach der Wahl von Baerbock und Habeck zur Grünen-Doppelspitze 2018 zurück.
Slomka: "Schämen Sie sich"
Kurz: Was als Baerbock-Beschämung gedacht war, endete in Spott und Fremdscham für Hassel.
Wortwörtlich noch forscher, jedoch mit anderem Ergebnis: Das Interview, das Marietta Slomka im "Heute-Journal" mit Bundesaußenminister Heiko Maas zu Afghanistan geführt hat: "Schämen Sie sich als Mitglied der Bundesregierung?" wollte Slomka angesichts bedrückender Bilder aus Kabul wissen. Maas wich aus und erging sich in Phrasen, Slomka jedoch grätschte im Tonfall der Betroffenheit dazwischen.
Und die Reaktionen? Zumeist euphorisch. "Journalistisch brillant. Rhetorisch ausgezeichnet. Und in der Sache hartnäckig", twitterte micha_ela. Politisch nicht restlos korrekt, aber nett zu lesen – der Kommentar von Hansch TV: "Die Slomka ist die Flintenuschi des Journalismus." Die NDR-Journalistin Eva Diederich bekannte ergriffen: "Wenn ich groß bin, möchte ich so cool sein wie Marietta Slomka."
Was Fragen über die Fragenden verraten
Wären die Interviews ein TV-Fernduell gewesen, Slomka hätte Hassel haushoch besiegt. Aber lässt sich daraus mehr ableiten, als dass der Tonfall auch beim Fragen-Stellen die Musik macht? Der Schriftsteller Nagib Mahfus meinte, ob ein Mensch klug ist, erkenne man an seinen Antworten, ob er er weise ist, an seinen Fragen.
Das klingt pfiffig. Und würde angesichts der Reaktionen des Publikums bedeuten: Marietta Slomka ist bereits eine Weise, Tina Hassel muss noch tüchtig üben.