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TV-Piraterie
Das Milliardengeschäft mit illegalen Streams

TV-Piraterie ist ein Milliardengeschäft. Die organisierte Kriminalität verdient, den Schaden haben Rechtehalter, TV-Sender und Streamingdienste sowie der Staat. Technisch ist dieses Problem lösbar, aber es fehlt der juristische Rahmen.

Von Piet Kreuzer |
TV-Kameramann filmt am Spielfeldrand während der Live-Übertragung eines Spiels der Fußball-Bundesliga
TV-Kameramann bei einem Spiel der Fußball-Bundesliga (Sven Simon / picture alliance)
Fast sechs Millionen Menschen in Deutschland haben im vergangenen Jahr illegal Live-Fernsehen geschaut. Der volkswirtschaftliche Schaden wird auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt. In der EU plus Großbritannien sogar fast das Doppelte (3,2 Milliarden Euro).
Der Verlust der betroffenen Medienunternehmen liegt bei 1,1 Milliarden Euro. Ein Betrag, der auch an anderer Stelle Folgen hat: Dem deutschen Staat entgehen dadurch 390 Millionen Euro an Steuern und Sozialabgaben. Zu diesen Ergebnissen kommt eine vom Verband Privater Medien, kurz Vaunet, in Auftrag gegebene Studie.

Verbrauchern nicht immer klar, was sie nutzen

Dabei dürfte Verbrauchern nicht immer klar sein, was sie da nutzen. „Die entsprechenden Angebote wie werbefinanzierte Web-, TV-Streams oder Abonnenten-Dienste täuschen legale Angebote vor", sagt Oliver Pribramsky. Er ist der Verantwortliche für Rechtemanagement bei der Deutschen Fußball-Liga. Er vergleicht das beschriebene System mit einem Baum. Die Wurzeln des Übels seien die Personen, die sich auf illegale Weise Zugang zu Liveübertragungen verschaffen und diese auf dem Schwarzmarkt zum Kauf anbieten. Der Baumstamm seien die Wiederverkäufer, die mehrere dieser Angebote kaufen, zu Bündeln zusammenfassen und weiterverkaufen. Die daraus entstehenden Plattformen mit zahlreichen Liveübertragungen und hochwertigen Filmproduktionen seien nach diesem Bild die Verästelungen und Blätter einer Baumkrone.

Angeboten mit Risiken: Datenklau, Kreditkartenbetrug und Viren

Diese Plattformen mit ihren vielfältigen Angeboten wirken oft für den Endnutzer wie ein legales Angebot. „Die dahinter anliegenden Anbieter sind also mindestens teilweise der organisierten Kriminalität zuzuordnen. Abgesehen von der Tatsache, dass Piraterie dem Sportrechteinhaber direkt finanziell schadet, geht sie aber auch für die Nutzer illegaler Angebote mit Risiken wie Kreditkartenbetrug, Viren, Datenklau und weiterem einher.”
Für die DFL ist es enorm wichtig, Piraterie aufzudecken. Denn die Live-Übertragungen machen laut Oliver Pribramsky bis zu 80 Prozent der Medienerlöse aus. Im Schnitt werden laut der Studie an jedem Spieltag der Bundesliga 10.000 illegale Uploads beziehungsweise Live-Streams erkannt. In diesem Zusammenhang hat sich die DFL an einem Start-up beteiligt, das flächendeckend illegale Streams in sozialen Netzwerken, im Web und Internet-basierten Fernsehen überwacht und dadurch entdeckt, meldet und im besten Fall beendet.
„Entscheidend für uns bei der Bekämpfung von Piraterie sind schnelle und wirksame Maßnahmen, sodass die geraubten Inhalte unverzüglich entfernt werden”, sagt der DFL-Rechte-Experte. Aber „unverzüglich“ ist ein dehnbarer Begriff, erläutert Mark Lichtenhein, Vorstand der Sports Rights Owner Coalition. Einer Organisation, die mehr als 50 internationale Sportverbände, Ligen und Veranstalter repräsentiert. „Wenn Sie wissen, dass jemand Ihre Inhalte illegal verbreitet, können Sie eine Plattform auffordern, die Inhalte zu entfernen und nach den geltenden Vorschriften muss dies zügig geschehen. Allerdings ist nicht definiert, was unter 'unverzüglich' zu verstehen ist, das heißt, wie lange es dauert. Es ist also offen für Interpretationen, ob es sich um ein paar Minuten handelt, was wir natürlich bevorzugen würden, oder um einen Tag oder eine Woche.“

Schwächen in der Strafverfolgung

Gegen die Schwächen in der Strafverfolgung haben sich Rechtehalter, Medienunternehmen und andere Interessengruppen auf internationaler Ebene verbündet. So haben mehr als 100 Organisationen im November vergangenen Jahres die Europäische Kommission aufgefordert, Gesetze zum Schutz des kreativen Sport- und Kultursektors in das Arbeitsprogramm 2023 aufzunehmen. Aber statt dieser rechtlich verbindlichen Maßnahme gab es nur eine Empfehlung, gegen Piraterie vorzugehen. „Das finden wir erstaunlich, denn es gibt keinen Zweifel daran, dass wir richtig liegen, und es gibt viele Beweise, die zeigen, dass die Größe dieses Pirateriemarktes enorm ist, wahrscheinlich 50 Prozent der Größe des legalen Marktes. Und wir wissen, dass unser Inhalt eindeutig nachweisbar ist", sagt Mark Lichtenhein.

In Europa fehlen noch rechtliche Grundlagen gegen Piraterie

Seine Kollegin Sheila Cassels von der Audiovisial Anti-Piracy Alliance verweist da auf schärfere Maßnahmen außerhalb der EU: „Andere Länder, Australien, Kanada und so weiter, haben dynamische Sperrverfügungen eingeführt, die hilfreich sind, aber nicht die vollständige Lösung. In einigen asiatischen Ländern ist die Gesetzgebung zur Verhinderung des Verkaufs von Geräten, die einen illegalen Zugang zu Inhalten ermöglichen, ziemlich streng.” In Europa und auch in Deutschland müssen in dieser Hinsicht noch dicke Bretter gebohrt werden. Denn bisher fehlen hier noch die rechtlichen Grundlagen, um effektiv gegen die Piraterie vorzugehen. Und bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich das in absehbarer Zeit ändert.