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TV-Podcast von Niggemeier und Kuttner
"Es darf auch Trash sein"

Kein Mensch interessiert sich mehr fürs Fernsehen? Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier halten dagegen. In ihrem neuen Podcast "Das kleine Fernsehballett" sprechen die beiden über das bewegte Bild – im Fernsehen und im Netz. Ein Corsogespräch über die Lust am Trash, Nischenkanäle und Medienkritik.

Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier im Corsogespräch mit Christoph Reimann |
    Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier starten ihren neuen Podcast "Das kleine Fernsehballett" auf der Streamingplattform Deezer.
    Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier starten ihren neuen Podcast "Das kleine Fernsehballett" auf der Streamingplattform Deezer. (Deezer/Jasmina Striga)
    Christoph Reimann: Der Podcast-Markt boomt, zumindest in den USA. Deutschland dagegen ist in dieser Hinsicht ja noch ein Entwicklungsland. Aber große Streaminganbieter, die springen jetzt auch hier auf diesen Hype auf und produzieren eigene Sendungen. Heute startet ein neuer Podcast bei Deezer. "Das kleine Fernsehballett" heißt der und die beiden Macher sind Sarah Kuttner und Stefan Niggemeier. Hallo.
    Sarah Kuttner: Hallo.
    Stefan Niggemeier: Guten Tag.
    Reimann: In Ihrem Podcast, da reden Sie über das Fernsehprogramm, aber auch über Serien von On-demand-Diensten, vielleicht auch über Internetshows. Das legt ja auch der Name des Podcasts schon nahe. Was sich nicht ganz erschließt: Ja, warum reden Sie über sowas Visuelles als Podcast? Warum dieses Format?
    Kuttner: Weil so diverse Partygespräche dieser Tage beginnen. Man unterhält sich darüber. Man unterhält sich daüber: Hat man schon mal die neue Folge "Walking Dead" gesehen, wie findet man jetzt die letzte Staffel "House of Cards", wie furchtbar war eigentlich der Dschungel, und kennst du dieses YouTube-Ding, wo alle nackig Baumstämme durch die Gegend werfen? Es macht Spaß, darüber zu reden, es ist sehr aktuell, es ist eine Form von Popkultur irgendwie auch, und deswegen reden wir darüber.
    "Lineares Fernsehen spielt weniger eine Rolle"
    Reimann: Aber spielt denn TV überhaupt noch so eine große Rolle? Ich glaube, das lineare Fernsehen, vor allen Dingen für jüngere Leute, die erreicht man damit kaum. Warum jetzt über das Fernsehen noch reden?
    Niggemeier: Na, für uns ist Fernsehen ja all das andere auch, also wir nennen dann Netflix und Prime und YouTube. Was am Ende davon Fernsehen ist? So viele Leute gucken, glaube ich, auch inzwischen Fernsehen auf dem Laptop, dass das überhaupt keine Rolle mehr spielt, auf welchem Weg das daherkommt. Ich glaube auch, dass das lineare Fernsehen für jüngere Leute weniger eine Rolle spielt, tut es für uns inzwischen auch. Aber das andere ist natürlich auch Fernsehen. Also man sitzt vor irgendeinem viereckigen Gerät und guckt sich Unterhaltung an - und wir reden darüber.
    Reimann: In der Pilotsendung, die wir als Journalisten ja vorab hören konnten, geht es im Plauderton um Trash-Sendungen, manchmal aber auch um durchaus ambitionierte Sendungen und Serien. Im Pilot waren das aber durchweg Unterhaltungssendungen. Bleibt es so bei diesem Unterhaltungsgenre?
    Niggemeier: Ja. Also in einem ganz weiten Sinne, aber eigentlich: unser Thema sind Serien, ist Unterhaltungsfernsehen. Das darf auch Trash sein. Wir lassen uns gerne gut unterhalten. Wir haben keine Angst, uns unter unserem vermeintlichen Niveau zu unterhalten. Ja, aber das ist das Thema.
    "Es findet eine Unterhaltung statt"
    Reimann: Aber was ist das Ziel? Sind das Rezensionen, oder was soll es sein?
    Kuttner: Unterhaltung im Grunde.
    Niggemeier: Ich glaube, es findet ohnehin eine Konversation statt, das ist ja das Spannende an Fernsehen. Und ich glaube sogar am linearen, dass es das immer noch schafft, dass Leute sich unterhalten. Dieses Gemeinschaftsgefühl entsteht ja gar nicht unbedingt dadurch, dass man jetzt zusammen vor dem Gerät sitzen muss, sondern dass man darüber redet. Und im besten Fall schaffen wir es dann auch selbst wieder, eine gute Unterhaltung hinzukriegen, dass Leute Spaß haben, uns zuzuhören und am Ende vielleicht auch nicht dümmer rausgehen.
    Reimann: Aber Sie, Herr Niggemeier, betreiben die Seite "Übermedien", wo Sie kritisch auf Medien blicken. Reizt es Sie dann nicht auch manchmal zu sagen: nein, so - liebe Fernsehkollegen-, so nicht.
    Niggemeier: Ja, also mich reizt dann beides. Ich bin dann schon auch ein Berufsnörgler, der bin ich privat manchmal auch. Aber ich bin dann halt auch jemand, der sich gerne dann einfach auf das Sofa fallen lässt und mich dann auch in so eine Unterhaltungssituation reinfallen lasse. Ich muss dann jetzt nicht immer mitlaufen lassen, den Kritiker in meinem Kopf, der dann die ganze Zeit sagt: Hm, also diese Einstellung hätte man aber besser anders gemacht und die Botschaft, die da vermittelt wird. Das ist schon beides.
    "Ich sende gerne auf Nischenkanälen"
    Reimann: Sie, Frau Kuttner, Sie haben ja eine große Vorliebe für Trash-Sendungen, das kommt ganz gut raus. Und haben dann auch so eine affirmative Haltung gegenüber zum Beispiel Formaten, wo dann so vermeintliche Prominente auftreten, in ein Haus gepfercht werden. Was fasziniert Sie denn so an diesem Trash?
    Kuttner: Also erst mal habe ich ja generell für das Glotzen, für Fernsehen, für Serien, viel amerikanische Serien und so, ein großes Faible, Trash ist nur so eine Farbe davon. Und ich glaube, dass mich das kriegt, was alle anderen Leute kriegt, dass man sich so aufregen kann über Leute, die doof sind oder sich doof benehmen. Echten Leuten bei irgendwas zugucken, das hat natürlich auch so ein bisschen was Voyeurmäßiges, so das Übliche.
    Reimann: Sie machen ja selber natürlich Fernsehen, ärgert es Sie nicht manchmal, wenn Sie Fernsehen gucken und denken: Meine Güte, dafür wird Geld ausgegeben, und ich sende hier auf diesen Nieschenkanälen?
    Kuttner: Ja, wobei ich ja gerne auf Nischenkanälen sende. Ich bin sehr speziell in dem, wie ich arbeite, in Sachen, die ich gut finde. Das hält nicht jeder aus, das kann nicht jeder senden, das will auch nicht jeder sehen. Ich würde gar keinen Sinn machen um 20:15 Uhr auf RTL, dafür ist auch das Publikum, was ich habe, zu speziell. Insofern bin ich da schon immer sehr glücklich gewesen, zumal mir da auch immer viele Freiheiten gewährt werden. Aber dennoch gucke ich natürlich auch manchmal Fernsehen und denke, wie doof ist diese Interviewfrage, wie schlecht ist der vorbereitet, wie holprig ist diese Moderation.
    Niggemeier: Aber wie oft musstest du die Moderation von "Wetten, dass..?" ablehnen?
    Kuttner: Wahnsinnig oft. Die Leute wollten dauernd, dass - jeden Tag hat jemand angerufen und gesagt: "Hier, Sarah, mach du doch endlich "Wetten, dass..?" Und ich so: nein. Ich habe auch nicht die Haare dafür.
    Kritik am deutschen Fernsehen
    Reimann: Wo wir gerade bei "Wetten, dass..?" sind: Knapp 50 Prozent der Deutschen wünschen sich "Wetten, dass..?" zurück. Kriegen Leute auch das Fernsehen, das sie verdienen?
    Kuttner: Ich glaube tatsächlich, dass Menschen das Fernsehen kriegen, was sie verdienen. Deswegen muss man es ja noch lange nicht bewerten. Wenn die das ernsthaft befriedigt und glücklich macht, dann gibt es auch eine Berechtigung dafür, dass das da ist. Es ist nur wichtig, dass auch andere Sachen da sein dürfen und das auch Geld für andere Sachen da ist.
    Reimann: Jetzt gibt es natürlich einen anderen großen Podcast bei einem anderen großen Streaminganbieter, die sind ein bisschen früher gestartet: Jan Böhmermann zusammen mit Olli Schulz. Sie machen da "Fest und Flauschig". Und gerade vor ein paar Tagen, da gab es eine Folge, da zog dann Jan Böhmermann ziemlich über das Fernsehen her, über das ZDF, über die Ausstrahlung der Goldenen Kamera. Und vor allen Dingen hat er da dem deutschen Fernsehen so eine Feigheit attestiert. Ist das deutsche Fernsehen denn so feige und deshalb vielleicht so langweilig, wie immer gesagt wird?
    Niggemeier: Ja und nein. Ich glaube, dass viel davon stimmt, was er gesagt hat. Aber das Mutige war ja an der Stelle, weil dann Joko und Klaas, die diese Veranstaltung torpediert haben. Also das heißt auch aus der Abwehr von dem, was blöd ist im Fernsehen, entstehen ja tolle Sachen. Es ist vielleicht so ein bisschen traurig, dass die spannendsten, kreativen Momente gerade eigentlich aus so einem Kampf gegen das Fernsehen im Fernsehen entstehen. Aber das, wirklich, was bei "Circus Halligalli" dann lief, war wirklich großes Fernsehen.
    "Wir suchen uns das gute Fernsehen, wo wir es finden"
    Reimann: Oder es läuft eben dann zu Zeiten, wo man eben - das innovative Fernsehen-, wo man eben dann eigentlich normalerweise schläft, vielleicht.
    Niggemeier: Ja, aber dann muss man sich das halt auch suchen. Ich bin auch irgendwie dafür, so Sachen nicht im Randbereich zu verstecken. Aber ich glaube auch, dass Leute ja irgendwie schlau sind, sowas zu finden und die Programme auch zu finden und sich zu suchen, nicht davon abhängig sind, dass sie um 20:15 Uhr direkt nach der "Tagesschau" dran bleiben können.
    Reimann: Ich merke schon, dass Sie beide so große Verfechter sind des Fernsehens. Was gucken Sie denn gerne?
    Kuttner: Entweder so Dokus, die auf den Dritten versteckt sind. Und die schönen, eher anspruchsvollen Sachen hole ich mir dann über Streamingdienste, sowas.
    Niggemeier: Natürlich wünschen wir uns auch mehr deutsche Serien. Das ist auch so eine Klage, die schon sehr lange geführt wird. Das halt wirklich diese aufregenden Sachen zu selten aus Deutschland kommen. Da passieren ja auch gerade ein paar zaghafte Versuche. Aber wir suchen uns dann das gute Fernsehen, wo wir es finden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.