Gordon Feld ist seit 2019 Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter und hat damit eine der begehrtesten Forschungsförderungen in ganz Deutschland eingeworben. Zufrieden ist er dennoch nicht: "Ich bin jetzt 38 Jahre alt, immer noch auf einem befristeten Vertrag." Da Gordon Feld seit mittlerweile 12 Jahren immer nur befristet angestellt war, beklagt er auf Twitter, sein Wert sei damit "laut Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erschöpft."
"Also ich glaube, ich bin ziemlich gut in dem, was ich mache und man könnte mir, glaube ich, eine feste Perspektive geben. Das würde mich nicht dazu anhalten, die Füße hoch zu legen oder was da so immer erzählt wird. Ich glaube eher, ich würde dann befreiter arbeiten. Das ist wirklich frustrierend muss man sagen."
Gordon Feld ist Postdoc am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und einer von vielen Forschenden, die derzeit ihrem Frust auf Twitter Luft machen.
Ein Gesetz aus dem Jahr 2007 sorgt für Zwist
Ihre Kritik richtet sich gegen das seit langem umstrittene Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das seit 2007 festlegt, dass Forschende nur bis zu 12 Jahre bzw. in der Medizin 15 Jahre an einer staatlichen Hochschule oder Forschungseinrichtung befristet angestellt werden können. Danach müssen sie sich zum Beispiel über Drittmittel finanzieren.
Die Neuauflage der Diskussion unter dem Hashtag "ichbinhanna" geht zurück auf einen jetzt offenbar wiederentdeckten Erklärfilm auf der Homepage des BMBF von 2018, in dem der Sinn dieses Gesetzes anhand der Karriere einer Forscherin namens "Hanna" erklärt wird. Diese Regelung verhindere, dass eine Generation Forscher alle Stellen verstopfe, wird dort erklärt. Und dass die "Fluktuation" auf den Stellen die Innovationskraft fördere.
Kritiker bezweifeln, dass Unsicherheit die Kreativität fördert
Doch das Gegenteil sei der Fall, kritisiert Jana Lasser von der Technischen Universität Graz, die im Beirat von N² Square sitzt, Deutschlands größter Promovierendenvertretung: "Das merke ich extrem, dass insbesondere die sehr guten Leute sich dann auch ab einem gewissen Punkt denken: Naja, in Deutschland und Österreich wird nichts aus mir. Da sind die Möglichkeiten, eine Festanstellung zu kriegen, einfach zu gering und ich gehe ins Ausland und schaue, dass ich mich dort etabliere - und dann sind die Leute halt weg."
Aus dem BMBF heißt es hingegen in einer Stellungnahme gegenüber dem Deutschlandfunk: "Eine Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes würde nicht zu mehr unbefristeten Stellen führen. Vielmehr wären wissenschaftliche Qualifizierungen nur noch für einen sehr kleinen Personenkreis möglich - es gäbe also weniger Qualifizierungs- und Karrieremöglichkeiten."
Auch für die Diversität ist das Gesetz nicht förderlich
Doch genau das Gegenteil sei der Fall, argumentiert Jana Lasser. Akademiker mit Kindern und ausländische Forschende, deren Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsvertrag abhängt , könnten es sich kaum leisten, mit der Unsicherheit von Zeitverträgen zu leben und so gezielt eine Karriere in der Wissenschaft zu verfolgen. Das wirke sich negativ auf die Vielfalt in der Forschung aus.
"Und entsprechend selbst selektieren sich dann auch die Leute aus der Wissenschaft raus, was sehr schlimm ist, weil diese Perspektiven einfach fehlen. Weil man dann einfach vermehrt Leute in der Wissenschaft hat, die sich das leisten können und die anderen Perspektiven gehen verloren."
Nicht zuletzt sorge das Gesetz aber auch für Reibungsverluste, klagt Gordon Feld, der innerhalb von fünf Jahren eine eigene Arbeitsgruppe aufbauen soll. Die ständige Befristung der Mitarbeitenden mache Langzeitprojekte nahezu unmöglich: "Ich merke, was das für ein Kraftakt ist, die Leute dazu zu bringen, erst mal überhaupt produktiv zu arbeiten. Weil, die sind neu, das ist ganz normal. Und wenn ich dann schon die Horrorvorstellung habe: Mein Postdoc, der hat jetzt noch den Vertrag bis Ende nächsten Jahres, wenn der weg ist und ich jemand Neues anlernen muss, dann fängt das quasi von vorne an. Da macht überhaupt keinen Sinn."
"Das macht überhaupt keinen Sinn"
Nicht zuletzt beeinflusse das Zeitvertragsgesetz aber auch die wissenschaftlichen Fragen, mit denen sich Forschende beschäftigen, sagt Gordon Feld: "Wir sollten eigentlich, nicht darüber nachdenken: Ist das jetzt opportun? Bringt mir das jetzt meinen nächsten Drittmittelantrag? Wäre das etwas für eine Bewerbung auf eine Professur? Nein, wir sollten überlegen: Was ist denn jetzt das, was man als sinnvollen nächsten Schritt erforschen sollte, um ein Problem zu lösen? Und oft hakt sich das miteinander. Und da wird es halt ineffektiv."
Ob die Twitter-Aktion "ichbinhanna" das Problem nochmal in die politische Diskussion trägt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Klar ist aber schon jetzt: Sie schlägt höhere Welle als Initiativen wie die "95 Thesen" und die "Frist ist Frust"-Kampagne aus früheren Jahren.
Resonanz auf die Twitter-Aktion ist groß
Mehr als 22.000 Tweets gibt es inzwischen zu dem Thema, auch Professorinnen und Professoren gehören zu den Unterstützern. Damit hat die Aktion zumindest eine kleine Chance, etwas bei den Entscheidungsträgern zu bewirken, sagt Martin Grund. Er ist Doktorand am Max-Planck Institut für Kognitions und Neurowissenschaften in Leipzig und Vorsitzender des Wissenschaftsforum Mitteldeutschland.
"Und da würde ich mir wünschen, dass jetzt auch die Bundestagswahl Druck erzeugt. Dass die Parteien sich da positionieren, dass sie an diesem Thema nicht vorbeikommen. Gerade am Abflachen einer Pandemie, die ganz klar gezeigt hat, dass wir die nur so erfolgreich bestehen konnten, weil es Grundlagenforschung gibt. Labore, wie die von Christian Drosten beispielsweise, die haben auf Dauer eine gute Finanzierung. Und nur dort kann so eine Forschung entstehen, die qualitativ hochwertig ist - wenn eine Person auf lange Zeit forschen kann."