"Wir haben entschieden, politische Werbung weltweit zu stoppen", schrieb Dorsey am Mittwoch auf Twitter. In weiteren Tweets erläuterte er die Motive seines Unternehmens: Reichweite für politische Botschaften müsse man sich verdienen und nicht erkaufen; es gehe nicht um freie Meinungsäußerung, sondern darum, dass bezahlte Reichweite "Konsequenzen auf die demokratische Infrastruktur" habe.
Der Thread verbreitete sich schnell und wurde inzwischen millionenfach gelesen und kommentiert. Das Wahlkampfteam von US-Präsident Donald Trump kritisierte den Vorstoß als "weiteren Versuch, konservative Stimmen zu unterdrücken". Die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, ein aufsteigender Polit-Star der Demokraten, lobte hingegen die "ethische Entscheidung". Auch sonst fielen die Reaktionen überwiegend positiv aus.
Direkter Angriff auf Facebook?
Die Forderung nach einem Verbot politischer Werbung ist nicht neu. Zuletzt war vor allem Facebook deshalb immer mehr in die Kritik geraten. Der Konzern hatte erklärt, Anzeigen mit politischen Inhalten grundsätzlich nicht von den Faktencheck-Partnern des Online-Netzwerks prüfen zu lassen; außerdem wolle man etwas gegen falsche oder irreführende Informationen von Politikern unternehmen.
Und so sehen Beobachter in der aktuellen Ankündigung von Dorsey auch einen indirekten Angriff auf die Konkurrenz. Twitter fordere so Facebook und Google heraus, es dem Kurznachrichtendienst gleichzutun, kommentierte das Portal Netzpolitik.org. Von einem "Kampf um die moralische Überlegenheit" spricht die FAZ in ihrer Analyse über "Zwei Internetgiganten auf Kollisionskurs".
Dürfen Zeitungen noch politische Artikel bewerben?
Darüber hinaus werfen die Pläne von Twitter aber auch inhaltliche Fragen auf. Beispielsweise betonte Datenanalyst Luca Hammer, der ein Tool zur Bewertung von Twitter-Accounts entwickelt hat, gegenüber dem Deutschlandfunk: Wie sich das Vorhaben in der Praxis auswirken wird, sei noch unklar. Streng genommen sei alles politisch, gibt Hammer zu bedenken.
Auch Unternehmen könnten über ihre Produktwerbung recht konkret politisch sein, wenn sie Inhalte wie Klimawandel oder Netzneutralität aufgriffen. Er frage sich zum Beispiel, ob es Zeitungen erlaubt bleibe, Artikel über politische Themen zu bewerben. Grundsätzlich aber begrüße er den Schritt, unterstrich Hammer.
Ein Vorteil für etablierte Politiker?
Der als Trump-Kritiker bekannte US-amerikanische Journalistik-Professor Jeff Jarvis hat andere Bedenken. Er warnte, "wenn wir preiswerte und effizient ausgerichtete politische Werbung unterbinden, dann bleiben uns Kampagnen des großen Geldes im Fernsehen". Ohne preiswertes und effizientes Targeting wären neue soziale Bewegungen im Nachteil. Als konkretes Beispiel nannte Jarvis Alexandria Ocasio-Cortez: "Hätten wir sie ohne Social-Media-Werbung?"
Auf den Vorwurf, ein Werbe-Stopp bevorteile Amtsinhaber, war Twitter-Chef Dorsey bereits in seiner Ankündigung eingegangen. Und entgegnete: "Wir sind Zeugen geworden, wie viele politische Bewegungen ein massives Ausmaß ohne jegliche politische Werbung erreichten".
Der Kurznachrichtendienst kam nach letzten vergleichbaren Zahlen auf rund 330 Millionen aktive Nutzererinnen und Nutzer. Inzwischen gibt Twitter nur noch bekannt, wie viele Menschen die Firma mit ihrer Werbung erreichen kann - zuletzt waren das 145 Millionen.