Benedikt Schulz: Die Digitalisierung in deutschen Schulen wird seit Jahren gefordert, kommt aber eigentlich irgendwie wenig voran. Das knackige Schlagwort vom digitalen Klassenzimmer, das ist eigentlich schon fast wieder veraltet, bevor es in deutschen Klassenzimmern überhaupt angekommen ist. Es gibt zwar den Digitalpakt, anders gesagt, es gibt vom Staat versprochenes Geld für die digitale Ausstattung der Schulen. Aber bis da wirklich Geld kommt, müssen Bund und Länder ja noch ein bisschen über Details streiten. Man kann aber auch sehr niedrigschwellig mit digitalen Hilfsmitteln arbeiten, zum Beispiel mit einem Tool, das unkompliziert eigentlich allen zur Verfügung steht, nämlich Twitter. Tatsächlich wird Twitter inzwischen von einer wachsenden Zahl von Lehrerinnen und Lehrern genutzt für ihre tägliche Arbeit, unter anderem von Tobias Frischholz. Er ist Lehrer an einer Mittelschule in der Nähe von München und er berät Grund- und Mittelschulen in seiner Region, was das Thema Neue Medien angeht. Und jetzt ist er am Telefon. Herr Frischholz, hallo, ich grüße Sie!
Tobias Frischholz: Hallo, grüß Sie, Herr Schulz!
Austausch ohne hierarchische Strukturen
Schulz: Sie sagen von sich selbst, Twitter ist vor allem beruflich für Sie gar nicht mehr wegzudenken – warum?
Frischholz: Es ist eigentlich so, dass es bei mir mit Twitter losging vor zehn Jahren circa. Und da war es eigentlich so eher typisch, dass man so beschreibt, was man gerade macht oder vielleicht auch sogar irgendwelche Fotos von Essen postet. Das hat sich aber total gewandelt. Ich nutze eigentlich mittlerweile nur noch professionell dieses Netzwerk, und was so besonders daran ist, ist, dass unglaubliche viele Lehrkräfte in diesem Netzwerk sind. Das Tolle daran ist, dass man sich hier vernetzen kann mit Lehrkräften über Fächergrenzen hinweg, über Schulartgrenzen hinweg, über Ländergrenzen auch hinweg. Und das sind Lehrkräfte mit einer ganz unterschiedlichen Ausprägung und Erfahrung auch hinsichtlich der Medienaffinität und was sie im Unterricht so machen. Ich sehe es so als Ideenbörse, als Diskussionsplattform und vor allem auch, weil es hier sehr viele Best-Practice-Beispiele gibt. Wenn man das so vergleicht mit einer Fortbildung oder mit einer Tagung oder Konferenz, auf der man als Lehrkraft ist, dann sind eigentlich bei der Präsenz immer am interessantesten die Pausen, wo man sich dann so informell untereinander austauscht. Und genau das bildet eigentlich Twitter so wunderbar ab, dass man eben ohne hierarchische Strukturen – auch das Du ist recht weit verbreitet – mit anderen Kolleginnen und Kollegen sich vernetzen kann. Das reicht eigentlich auch von den Teilnehmern und Personen vom, ich sag's mal in Anführungszeichen, einfachen Lehrer bis hin zum Uniprofessor, wo man sich dann eben über zeitgemäßen Unterricht und digitale Medien im Unterricht auseinandersetzt.
Viele Ideen von anderen Lehrkräften
Schulz: Können Sie vielleicht ein konkretes Beispiel benennen, wo Twitter Ihnen oder Ihrem Unterricht weitergeholfen hat in den letzten Jahren?
Frischholz: Ja, es ist so, dass man sehr viele Ideen eben bekommt von Lehrkräften. Also, so als Beispiel: Das Arbeitsblatt, das wir ja nach wie vor im Unterricht einsetzen, dass man das zeitgemäßer macht – ich spreche hier vom Arbeitsblatt 2.0 –, dass man also QR-Codes in Arbeitsblätter mit einbindet, wo die Schülerinnen und Schüler dann mit einem Scan dann eben auf weiterführende Seiten kommen, wo sie sich zum Beispiel dann auch Videos ansehen. Oder ich denke an die Produktion von Stop-Motion-Trickfilmen zum Beispiel im Unterricht. Und für mich eigentlich ganz wichtig: Zentraler Bestandteil von einer zeitgemäßen Bildung ist, dass wir im Unterricht die Geräte der Schüler auch reinlassen. Seien es jetzt die eigenen Geräte, die sie mitbringen, oder dass wir auch mit Tablets arbeiten zum Beispiel. Da gibt es hin und wieder auch ganz witzige Diskussionen – da gibt es dann die einen Vertreter, die die interaktiven Tafelsysteme beispielsweise total befürworten oder die eben auch dieses angesprochene Modell mit den Tablets und den schülereigenen Geräten eben favorisieren. Und da findet dann ein Diskurs statt, und den finde ich immer sehr gewinnbringend.
Vorteile der Filterblase
Schulz: Diskussionen im Internet sind ja nicht unproblematisch immer, es gibt ja auch Trolle, die dort sich tummeln. Haben Sie auch solche Erfahrungen gemacht, oder ist das in dieser, so nenne ich es jetzt mal, Community einfach nicht so verbreitet?
Frischholz: Das ist natürlich auch eins der Probleme von Twitter, genauso wie auf allen sozialen Netzwerken. Aber ich bin der Meinung, dass hier die Filterblase dem auch zugute kommt, weil man folgt eben bestimmten Leuten. Und das ist bei mir natürlich ganz klar jetzt beruflich abgesteckt. Deswegen rutscht eigentlich in meine Timeline diese Hate-Speech zum Beispiel oder diese Trolle gar nicht rein, und da kommt es eigentlich an mich persönlich jetzt nicht so ran.
Schulz: Sie begeben sich trotzdem als Lehrer damit natürlich irgendwie in eine digitale Öffentlichkeit. Ist das völlig unproblematisch?
Frischholz: Es ist natürlich so, dass man als Lehrkraft und als Staatsbediensteter ja eine gewisse Vorbildfunktion hat. Und es ist natürlich auch klar, dass der Dienst ja nicht um 13 Uhr, wenn der Gong ertönt und die Schülerinnen und Schüler nach Hause gehen, dann endet, dessen muss man sich natürlich bewusst sein. Manche Kollegen machen das auch so, dass sie dann ins Profil reinschreiben, dass es ein privater Account ist, dass sie also drauf hinweisen, dass das, was sie schreiben, eben nicht der Meinung des Dienstherren beispielsweise entspricht. Ich persönlich hab das jetzt nicht gemacht, aber ich bin mir schon dessen bewusst. Und man überlegt sich dann natürlich schon immer auch, was man jetzt hier schreibt. Oder bei Twitter gibt es ja auch die Funktion eines Retweets, das heißt, dass andere Personen einen Tweet absetzen und man selbst veröffentlicht den dann quasi wieder, drunter steht aber der ursprüngliche Urheber. Da überlegt man sich natürlich dann schon: Ist das jetzt etwas, was man auch als Lehrkraft so in der Öffentlichkeit von sich geben würde, oder sollte man das schlicht lieber dann unterlassen.
Smartphone im Unterricht? Liegt im Ermessen des Lehrers.
Schulz: In Frankreich wurden ja jetzt in den meisten Schulen alle internetfähigen Geräte, sprich auch Smartphones, aus den Schulen verbannt. Halten Sie das als Lehrer, der Netz und Twitter jetzt für seinen Unterricht nutzt und ja auch Schulen dahingehend berät, halten Sie das für sinnvoll? Sie unterrichten ja in Bayern, wo es ja ebenfalls recht strenge Regeln gibt.
Frischholz: Zunächst mal haben wir in Bayern eigentlich gar nicht so strenge Regeln, sondern es gibt natürlich im bayrischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz einen Paragrafen, der wird manchmal immer missverständlich als Handyverbotsparagraf beschrieben. Aber der sagt ja nur aus, dass Telefone oder Smartphones oder Tablets der Schülerinnen und Schüler natürlich dann genutzt werden dürfen, wenn die Lehrkraft das im pädagogischen Ermessen sieht. Natürlich heißt es im ersten Satz, dass diese Geräte abzuschalten sind im Unterricht. Aber es liegt dann in der persönlichen Entscheidungsfreiheit der Lehrkraft, das dann für unterrichtliche Zwecke zuzulassen. Ähnlich ist es eigentlich auch in Frankreich. Also so ein generelles Verbot gibt es ja nicht, sondern die Lehrkraft kann das doch immer noch auch selber bestimmen. Ich bin aber der Meinung, wenn wir Medienkompetenz, Medienerziehung, Medienethik und vor allem den richtigen Umgang mit diesen Geräten vermitteln wollen, dann dürfen wir in der Schule nicht die Augen verschließen vor der Realität und sagen, das ist verboten, sondern wir müssen – bin ich der festen Überzeugung – diese Geräte auch im Unterricht zulassen und dann eben einen verantwortungsbewussten und einen sinnvollen Umgang mit diesen Geräten zu schulen. Weil es bringt ja nichts, wenn wir ein Arbeitsblatt machen, und da stehen dann fünf Punkte drauf, was wir in Social Media beispielsweise nicht machen sollen oder wie man Fake News oder so erkennt, sondern das muss man ja wirklich mit diesen Geräten dann auch authentisch machen, um die Kinder dann auch auf die Zukunft und eigentlich auch auf die Gegenwart schon, es ist ja schon da, vorzubereiten.
Schulz: Sagt Tobias Frischholz. Er ist Lehrer an einer Mittelschule in der Nähe von München und außerdem Medienberater, was das Thema Neue Medien an Grund- und Mittelschulen angeht. Herr Frischholz, danke schön!
Frischholz: Ich danke Ihnen!
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