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Typen und Individuen

Der in einen Sessel gesunkenen Dichter Mallarmé, die glutäugige Berthe Morisot oder der junge, seifenblasende Léon: Edouard Manet malte intime Porträts. In London sind nun Werke von ihm zu sehen.

Von Hans Pietsch |
    "Berthe Morisot mit Veilchenstrauss" entstand 1872. Auf dem Kopf der jungen Frau sitzt keck aufgetürmt ein schwarzer Hut, braune Haarsträhnen fallen heraus. Aus dem Kragen des schwarzen Kleids tritt ein blasses Gesicht heraus, dunkle Augen glühen den Betrachter an. Die Blumen, die dem Frauenporträt den Titel geben, schmücken den Ausschnitt des Kleids.

    Die dargestellte Malerin war Manets Schwägerin. Die wenigsten seiner Porträts waren Auftragsarbeiten. Der Spross einer reichen Familie mit einem gesicherten Einkommen hatte es nicht nötig, sich als Porträtmaler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und so malte er seine Familie, vor allem seine Mutter, seine holländische Frau Suzanne Leenhoff und deren unehelichen Sohn Léon. Und Freunde wie seine Vertraute, die schöne Isabelle Lemonnier, oder den Dichter Victor Hugo, der ihm gegen seine Kritiker die Stange hielt. Einige dieser ungemein intimen Porträts verkaufte er, vieles verblieb in seinem Atelier, oft unvollendet oder nur flüchtig skizziert, Fragmente wie der Junge auf dem Fahrrad, von dem ein Großteil weggekratzt ist.

    Seine Modelle, ob Professionelle oder Freunde, steckte er in die neueste Mode, immer auf der Höhe der Zeit. Auch in Kostüme für seine Genreszenen, in denen er das moderne Paris darstellte. Am schönsten in dem 1862 entstandenen "Musik in den Tuilerien", ein 'kulturelles Selbstporträt', ganz im Sinne eines holländischen Gruppenporträts von Menschen mit gemeinsamen Werten. Der Maler selbst orchestriert vom linken Bildrand aus das bunte Getümmel, die Dichter Charles Baudelaire und Théophile Gautier nehmen ebenso an dem Ausflug teil wie der Komponist Jacques Offenbach und der Malerkollege Henri Fantin-Latour. Mit rapiden Pinselstrichen bringt Manet dieses relativ kleine Bild zum Pulsieren.

    Eine ganze Reihe der Genreszenen bleiben rätselhaft, etwa "Das Mittagessen" von 1868. Der junge Léon Leenhoff lehnt sich an einen abgegessenen Tisch und starrt geradeaus, links von ihm eine Bedienstete mit Kaffeekanne, rechts am Tisch sitzend ein älterer Mann. Was hat die drei, neben dem Essen, in diesem Raum zusammengebracht? Neben ihnen auf einem Stuhl liegen ein Schwert und ein Helm, Symbole des Krieges, gleichzeitig aber Requisiten in einem Maleratelier. Was will Manet damit andeuten?

    Enigmatisch auch das letzte Bild der Schau, "Die Eisenbahn" von 1872. Vor einem schwarzen Metallzaun sitzt eine junge Frau, ein aufgeschlagenes Buch und ein schlafendes Hündchen auf dem Schoß, der Blick nach vorne gerichtet. Mit dem Rücken zum Betrachter starrt ein kleines Mädchen durch das Gitter auf die Rauchwolken eines vorbeifahrenden Zuges. Blickt der Künstler hier mit den Augen des Kindes in die Zukunft?

    Die junge Frau ist Victorine Meurent, Manets Lieblingsmodell, die ihm für sieben seiner großen Werke Modell stand. Die rothaarige Frau mit den ausdrucksvollen Augen ist die skandalöse nackte Olympia und die nackte Frau auf dem "Frühstück im Freien", aber auch die Weintrauben essende "Straßensängerin".

    Die Schau ist weder eine Retrospektive, obwohl sie Arbeiten aus Manets gesamter kurzen Schaffensperiode zeigt, von seinen Anfängen bis zum frühen Tod 1883 im Alter von nur 51 Jahren. Noch ist sie eine vollständige Übersicht seines Porträtschaffens. Zu viele bedeutende Werke fehlen, vor allem aus französischen Museen, wie das anrührende Doppelporträt seiner Eltern von 1860.

    Auch der Versuch der Kuratoren, durch ihre thematische Gliederung der Schau - Familie und Freunde, kulturelle Zirkel, offizielle Porträts, Modelle - eine Art Kohärenz zu schaffen, gelingt nicht so ganz. Doch man hat ja die einzelnen Gemälde, vor denen man staunend steht. Natürlich vor der "Musik in den Tuilerien" und dem "Frühstück im Freien", aber auch vor dem in einen Sessel gesunkenen Dichter Mallarmé oder der glutäugigen Berthe Morisot. Und dem jungen, seifenblasenden Léon. Das Bild hat dieselbe Leichtigkeit wie die schwerelos schwebende Seifenblase, die gerade aus dem Strohhalm ausgetreten ist.


    Ausstellungsinfos:
    Manet - Potraying Life. Royal Academy, London. Bis 14. April 2013. Internet: www.royalacademy.org.uk