Ann-Kathrin Büüsker: Ein Thema hat uns in dieser Woche erheblich beschäftigt, Hans Georg Maaßen, sein Interview nach den Ereignissen von Chemnitz und seine politische Zukunft. Er hat sich ja diese Woche äußern müssen vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages und vor dem Innenausschuss. Die Union vertraut ihm, die SPD hat große Zweifel. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz sagte, Maaßen habe maximalen Schaden angerichtet, indem er die Glaubwürdigkeit der Medien, der Augenzeugen und der Kanzlerin nicht nur in Frage gestellt hat, sondern von gezielter Fehlinformation gesprochen hat. Die SPD will deshalb, dass Maaßen geht. Ein erstes Treffen der Koalitionsspitzen ging ergebnislos zu Ende, das Thema wurde auf den kommenden Dienstag vertagt. Und Teile der SPD, unter anderem Juso-Chef Kevin Kühnert, denken jetzt laut über die Zukunft der großen Koalition nach, sollte Maaßen im Amt bleiben. Am Telefon ist jetzt Christian Ude, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von München, also aus dem Bundesland, in dem, wie wir gerade gehört haben, als nächstes gewählt wird. Guten Morgen, Herr Ude!
Christian Ude: Guten Morgen!
Büüsker: Herr Ude, hat die SPD plötzlich in der Bundesregierung ihr Rückgrat wiedergefunden?
Ude: Also ich denke nicht, dass man an einer Personalfrage festmachen sollte, ob eine Partei Rückgrat hat oder nicht. Es geht im Fall Maaßen um eine Diskussion, die öffentlich geführt werden muss, weil er selbst ja die Öffentlichkeit gesucht hat und die Öffentlichkeit verunsichert hat und am Ende restlos verwirrt hinterließ, weil an all seinen Ankündigungen nichts Wahres dran war. Und das ist das Thema, nicht die Glaubwürdigkeit der politischen Parteien, sondern die Eignung eines Mannes, der sich im Fall Chemnitz so falsch verhalten hat, wie man sich überhaupt nur verhalten kann.
Ein "Versuch der politischen Beeinflussung"
Büüsker: Höre ich da raus, dass Sie kein Vertrauen mehr in ihn haben?
Ude: Das können Sie deutlich heraushören. Ich meine damit nicht die Tatsache, dass er mit allen Bundestagsfraktionen geredet hat. Das ist wahrscheinlich ständiger Brauch. Ich meine damit seine Intervention, und zwar öffentliche Intervention im Fall Chemnitz, wo er die Auftritte von "Wir sind Adolf Hitlers Hooligans"-Gruppen verharmlost hat und Rechtsextremisten, die hinter Ausländern hergelaufen sind, um sie einzuschüchtern oder anzugreifen – da darf ein Verfassungsschutzpräsident nicht verharmlosend auftreten, wenn er in Wahrheit überhaupt nichts zu bieten hat. Das Video, das die Republik erschüttert hat, ist echt. Er hat nicht darlegen können, was er öffentlich angekündigt hat, dass dieses Video nicht authentisch sei. Und damit ist die ganze Intervention entlarvt als Versuch der politischen Beeinflussung. Und gerade ein Beamter, der sich auf die Rechte eines unpolitischen Beamten berufen will, darf sich derart nicht verhalten.
Büüsker: Herr Ude, Sie haben jetzt argumentiert, dass es hier um die Glaubwürdigkeit von Hans-Georg Maaßen geht, nicht um die Glaubwürdigkeit der Parteien. Aber müssen wir nicht auch darüber sprechen, wenn die SPD sich jetzt so klar positioniert und sagt, Maaßen muss auf jeden Fall entlassen werden und das dann am Ende nicht passiert, dann ist das doch ein enormer Glaubwürdigkeitsverlust.
Ude: Das ist zunächst einmal die Verdeutlichung einer Position. Dass der Bundesinnenminister den Mann unbedingt halten will, spricht auch für sich, und es spricht Bände. Aber ich sag noch mal: Eine Regierungsbeteiligung, die ja ohnehin schon schwer genug zustande zu bringen war, hängt nicht an einer Personalentscheidung. Es kann ja auch sein, dass diese Personalentscheidung zu einer politischen Auseinandersetzung führt im Parlament und in künftigen Wahlkämpfen, wo Unterschiede deutlich gemacht werden, die in einer Regierungskoalition in der Regel unter den Teppich gekehrt werden.
"Seehofer hat nichts geändert außer der Demontage der Kanzlerin"
Büüsker: Sie sagen jetzt, es ist eine Personalentscheidung, über die hier gerade geredet wird. Aber kann man das tatsächlich so vereinfachen? Geht es nicht tatsächlich auch einfach darum, dass die SPD sich mal wieder klar positionieren muss? Weil wenn wir zurückgucken, die Regierungskrise im Juli, wo sich die Union gezofft hat, wo es darum ging, ob es jetzt Grenzabweisungen geben soll, da war die SPD vollkommen außen vor gehalten, das haben die Unionsparteien untereinander ausgemacht, und die SPD musste dann am Ende schlucken, was dabei herumgekommen ist. Wäre es jetzt nicht umso wichtiger für die SPD, in dieser Situation, wo sie klar Position bezieht, das auch durchzuziehen?
Ude: Was hat denn die SPD geschluckt, was sie nicht hätte schlucken dürfen? Es gibt doch überhaupt keine Regelung, die Horst Seehofer durchsetzen konnte. Es gibt Formelkompromisse, mit denen er versucht, sein Gesicht zu wahren. Aber ich denke nicht, dass die SPD irgendetwas akzeptiert oder geschluckt hat, was sie nicht hätte schlucken dürfen. Das war ein Selbstzerfleischungsprozess der beiden Unionsparteien auf hell erleuchteter Bühne, der auch Unionsparteien schwerstens geschadet hat. Die SPD war sicherlich gut beraten, sich da nicht mit in den Streit hineinziehen zu lassen, nachdem Seehofer ja überhaupt keine Lösung hatte anbieten können, die das Thema des Zuzugs aus Herkunftsländern, die bereits ein Verfahren eröffnet hatten, drastisch reduzieren könnte. Wo ist denn die politische Veränderung, die die SPD nicht vertreten könnte? Mir ist keine bekannt. Seehofer hat nichts geändert außer der Demontage der Kanzlerin.
Büüsker: Und doch fällt ja auf, dass in dieser Situation die SPD auffällig still gewesen ist, deshalb noch mal meine Frage an Sie, ob in dieser Situation – auch wenn Sie sagen, es geht jetzt um eine Personalentscheidung, und die darf nicht allesentscheidend sein –, wäre jetzt nicht der Moment für die SPD, zu zeigen, das ist unsere Position, von der weichen wir nicht ab, komme, was wolle?
Ude: Das hat es noch nie gegeben, höchstens in der Weimarer Zeit, wo man mit lächerlichsten Gründen, die heute kein Mensch mehr versteht, mal eine Regierung verlassen hat. Das ist doch jetzt nicht Frage, ob die Koalition fortbesteht oder nicht. Eine Alternative gab es zum Zeitpunkt ihres Abschlusses nicht, und ich sehe sie heute auch nicht. Es geht jetzt um eine Personalfrage, wo man Farbe bekennt und den Unterschied der politischen Parteien deutlich macht. Und je länger die Union an Herrn Maaßen festhält, desto länger hat sie ein qualvolles Thema am Backen.
Lage der SPD: Kein Anlass zur völligen Ratlosigkeit
Büüsker: Sie sagen, es gibt keine politische Alternative zur großen Koalition. Letztlich zeigt sich aber auch an den aktuellen Umfragewerten, dass die SPD in keiner Art und Weise von ihrer Regierungsbeteiligung profitiert, eher im Gegenteil. Die Umfragewerte werden immer schlechter. Das könnte man jetzt auch als Zeichen deuten, dass man was ändern müsste.
Ude: Dass man etwas ändern muss, wenn man derart Vertrauen eigener Wähler verliert, ist vollkommen klar. Die Frage aber ist, warum verliert man Wählerstimmen. Und das liegt nicht an einer wenige Tage alten Personalie, denn der Prozess hat vorher schon stattgefunden. Deswegen sollte man beim Wesentlichen bleiben und sich nicht beim Unwesentlichen in die Büsche schlagen.
Büüsker: Also Sie glauben nicht, dass die Beteiligung an der großen Koalition der SPD schadet?
Ude: Sie ist eine besondere Schwierigkeit. Aber die Frage ist doch, zwei Drittel der SPD-Mitglieder haben diese Entscheidung mitgetragen. Soll man die wegen einer Personalie in die Tonne treten? Oder gilt das, was man über die Verantwortung fürs Land und die Interessen unterer Einkommensgruppen gesagt hat, auch heute noch? Ich denke, es gilt auch heute noch.
Büüsker: Aber in Demokratien – oder das Gute an Demokratien ist ja auch, dass sie imstande sind, aus Fehlern zu lernen. Man könnte jetzt auch als SPD sagen, okay, wir haben jetzt ein paar Monate in der großen Koalition regiert, es funktioniert eigentlich nicht so richtig, wir streiten uns nur, und zwar nicht über Inhalte, sondern über Symbolthemen – dann versuchen wir es anders.
Ude: Gestritten haben die Unionsparteien miteinander, und zwar monatelang, quälend im Frühsommer dieses Jahres. Und das ist aber nun leider die Parteienkonstellation, die von der Wählerschaft die meisten Stimmen erhalten hat. Und auch das gehört zur Demokratie, dass man Wählerentscheidungen zur Kenntnis nimmt und versucht, das Beste daraus zu machen. Daraus muss mehr werden. Dass die SPD jetzt in den Umfragen wieder bei den 20 Prozent liegt, über die sie bei den letzten Bundestagswahlen noch zu Recht erschüttert war, das ist deprimierend, aber kein Anlass, jetzt völlige Ratlosigkeit auszulösen.
Büüsker: Sagt Christian Ude, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister von München. Herr Ude, vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.