Am 22. Juni 2002 wird in einer entlegenen Gegend der pakistanischen Provinz Pungab eine Frau verurteilt, weil sie von mehreren Männern vergewaltigt worden war. Diese hatten sie dafür bestrafen wollen, dass ihr Bruder Umgang hatte mit einer Frau, die einer höheren Kaste angehörte. Hunderte von Zeugen gab es im Gerichtssaal, aber keine kam der Frau zur Hilfe. Im selben Jahr kam in Nigeria eine Frau vor Gericht, weil sie nach ihrer Scheidung ein uneheliches Kind erwartete. Das Urteil lautete: Sie sollte bis zum Hals eingegraben werden und die Mitglieder ihres Dorfes so lange mit Steinen nach ihr werfen, bis ihr Schädel zertrümmert war. Ein Jahr später hat ein Soldat, der in Fort Bragg, North Carolina, stationiert war, auf seine Frau 50-mal mit einem Kampfmesser eingestochen. Er sagte, er hätte es aus verzweifelter Liebe getan. Wir schreiben das 21. Jahrhundert.
Gewalt gegen Frauen, die in grausamer Missachtung und würdelosem Tod münden kann, hat es immer schon gegeben - in der Literatur und in der Wirklichkeit. Sie ist weder ungewöhnlich noch erstaunlich, manchmal sogar dramaturgisch erbauend. Sie führt von Eva, die im Buch Genesis vom Baum der Erkenntnis isst und somit den Sündenfall der Menschheit einläutet, zum perversen Serienmörder Jack the Ripper. Der hatte, um die sündhaften Töchter Evas zu bestrafen, Ende des 19. Jahrhunderts in London mehrere Prostituierte brutal ermordet und am Tatort aus ihren Gliedern groteske Körperskulpturen hinterlassen. Um so perfider, dass diese Misogynie immer auch ein zweites Gesicht trägt. Immerhin verklärt die Bibel die Bedrohung der weiblichen Sexualität im Bild der keuschen Mutter Maria. Zwei Seiten also einer Entmenschlichung der Frau: Mal Kultobjekt der Verehrung, mal Schandobjekt der Dämonisierung. Es lässt sich vermuten: Die Misogynie ist Teil jenes "Common Sense", der das Vorurteil als Norm deutet. Ein schrecklicher "Common Sense", der sich als roter Faden durch alle Weltreligionen und alle historischen Zeiten zieht.
Auch die Geschichte über den Frauenhass ist nicht neu. Seit Simone de Beauvoir "Das zweite Geschlecht" vor mehr als einem halben Jahrhundert veröffentlichte, wurde die Entmenschlichung der Frau in der feministischen Wissenschaft immer wieder festgestellt und mit klugen kritischen Kategorien erläutert. Wie kommt also der britische Journalist Jack Holland dazu, noch ein weiteres Buch zu schreiben über eine Verfolgung, die bis heute unsere globale Kultur kennzeichnet? Hat er neues Archivmaterial ausfindig gemacht? Hat er den Schlüssel für eine umfassende Erklärung entdeckt?
Das Bestechende an seiner Studie, die den schlichten Titel "Misogynie" trägt, ist tatsächlich nicht die Innovation. Es ist das Pathos einer ernüchterten Entrüstung, mit der er diese altvertraute Geschichte der Verachtung als Mann erzählt, eben weil sie von Männern erfunden wurde. Hollands Anliegen ist offenkundig aufklärerisch. Akribisch recherchiert entfaltet er nochmals vor unseren Augen die realen Konsequenzen jener kulturellen Praktiken, die über Jahrtausende die Frau nicht als Mensch, sondern als Projektionsfläche für Ängste und Wünsche verstanden haben wollten. Indem er ein verschwiegenes Vorurteil über die Minderwertigkeit der Frau als den ideologischen Kitt sichtbar macht, der die Gesellschaft zusammenhält, ermutigt er uns dazu nochmals darüber nachzudenken, warum sich im Verhältnis der Geschlechter eine solche Missachtung breitmachen konnte.
Wie verschiedene Zimmer in einem Schauerkabinett öffnet jedes Kapitel eine Szene bizarrer Fantasiegebilde. Im antiken Mythos entspringt der Büchse der Pandora alles Übel der Welt, löst Helenas Schönheit den furchtbaren Trojanischen Krieg aus. Körperliches Begehren und Tod werden seither gern zusammengedacht. Doch auch die weibliche Tugend ist vor Gewaltfantasien nicht gefeit. Im Falle der Lukretia trifft diese die Frau gleich doppelt: Zuerst wird sie vergewaltigt, dann bestraft sie sich selber mit dem Selbstmord. Zwar gehörten Frauen zur entscheidenden Kraft bei der Verbreitung des frühen Christentums. Doch bereits im Mittelalter rückte deren sündhafte Körperlichkeit wieder in den Vordergrund. Die Inquisition ließ über 200 Jahre tausende mutmaßliche Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Denn die sexbesessenen Fantasien der Richter und Pfarrer schrieben der fleischlichen Begierde des Weibes ungeheure Mächte zu: Vom Teufel besessen konnten Frauen auf einem Besen durch die Luft fliegen, den Penis eines Mannes verschwinden lassen und natürlich Satans Brut gebären. Wieder gibt es das Gegenbild: Zu dieser Zeit wächst der Kult um die Himmelskönigin Maria, verklären Dante und Petrarca die auf ein Podest erhobene unerreichbare Geliebte. Und selbst in Zeiten der aufgeklärten Moderne bleibt jenes Doppelbildnis, welches eine Vergötterung der Frau mit deren Verteufelung verschränkt: Die sexbesessene Nymphomanin, die mal als Libertin an aristokratischen Höfen, mal als Hysterikerin in den Kliniken der Großstädte, und schließlich als Femme Fatale auf der Kinoleinwand den Mann betört. Auf der anderen Seite der häusliche Engel, zu dem der Mann aus dem harten Arbeitskampf oder vom Schrecken der Front zurückkehrt. Ihr einziges Glück besteht darin, sich um ihn zu sorgen. Eine eigenständige Sexualität kennt sie nicht.
Als Journalist weiß Holland, wie man solche Hingespinste leicht lesbar wiedergibt. Doch man hört auch seine eigene Erschütterung darüber, dass diese sich so hartnäckig über Jahrhunderte gehalten haben. Einen Schlüssel zu den Ursprüngen der Misogynie entnimmt er dem judeo-christlichen Schöpfungsmythos. Erinnern wir uns: Evas Wissensdrang ruft auch alle Beschränkungen des irdischen Lebens hervor. Aus dem Paradies verbannt müssen Adam und Eva sich fortan einem Kampf ums Überleben stelle,: jeglichen körperlichen Gebrechen sowie der schrecklichen Kränkung, die der Tod bedeutet. Daraus folgert Holland, weil Eva es war, die Adam aus seinem paradiesischen Schlaf aufweckte und zwang, sich der Vergänglichkeit der Welt zu stellen, muss das weibliche Begehren in Fantasien entweder zurückgewiesen oder vergeistigt werden. Im Akt der Überwältigung der Frau verwandelt sich jene Machtlosigkeit, die auch dem männlichen Begehren unweigerlich eingeschrieben ist, in eine vermeintliche Macht.
Eine Antwort auf die Frauenverachtung gibt es nicht. Doch das Nacherzählen, das unseren Blick hartnäckig auf diese älteste Diskriminierung lenkt, hat dennoch Sinn.
"Die Geschichte der Frauenverachtung. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jede Form von Selbstbild einer Frau. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jeden Mann, seine kulturelle Rolle reflektieren zu können. Diese Geschichte zu kennen, heißt den schrecklichsten Teil der Geschichte überhaupt begreifen zu müssen. Das ist Schwerarbeit. Das ist unerträglich. Sich aus diesem Wissen sofort mit Hilfe der Verdrängung herauszustehlen nur allzu verständlich. Trotzdem. Diese Geschichte der Frauenverachtung. Sie kann nicht oft genug erzählt werden."
Empörung muss immer wieder neu geweckt werden. Sonst geht ein Bewusstsein für die realen Konsequenzen dieser Verachtung immer wieder verloren.
Holland hat durchaus eine Hoffnung. Seine Reise durch die Geschichte der Misogynie geht von einer Gleichberechtigung der Geschlechter aus. Mit ergreifender Selbstverständlichkeit setzt er eine kluge und gerechte Gesellschaft voraus. Seine Erschütterung darüber, das sich diese noch immer nicht durchgesetzt hat, reicht auf eine entscheidende Weise über eine reine Anklageschrift hinaus. Er kann eine Welt ohne Frauenverachtung denken und ermutigt uns, dies auch zu tun. Damit wäre auf der Ebene der Vorstellungen jene Bedingung geschaffen, die eine kulturelle Veränderung bewirken könnte. Es bleibt natürlich eine Wette. Aber eine Veränderung unserer Weltanschauung ist immer noch die beste Hoffnung, die wir für eine Veränderung der politischen Realität haben.
Jack Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses
Aus dem Englischen von Waltraud Götting
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt 2007
406 Seiten, 19,90 Euro
Gewalt gegen Frauen, die in grausamer Missachtung und würdelosem Tod münden kann, hat es immer schon gegeben - in der Literatur und in der Wirklichkeit. Sie ist weder ungewöhnlich noch erstaunlich, manchmal sogar dramaturgisch erbauend. Sie führt von Eva, die im Buch Genesis vom Baum der Erkenntnis isst und somit den Sündenfall der Menschheit einläutet, zum perversen Serienmörder Jack the Ripper. Der hatte, um die sündhaften Töchter Evas zu bestrafen, Ende des 19. Jahrhunderts in London mehrere Prostituierte brutal ermordet und am Tatort aus ihren Gliedern groteske Körperskulpturen hinterlassen. Um so perfider, dass diese Misogynie immer auch ein zweites Gesicht trägt. Immerhin verklärt die Bibel die Bedrohung der weiblichen Sexualität im Bild der keuschen Mutter Maria. Zwei Seiten also einer Entmenschlichung der Frau: Mal Kultobjekt der Verehrung, mal Schandobjekt der Dämonisierung. Es lässt sich vermuten: Die Misogynie ist Teil jenes "Common Sense", der das Vorurteil als Norm deutet. Ein schrecklicher "Common Sense", der sich als roter Faden durch alle Weltreligionen und alle historischen Zeiten zieht.
Auch die Geschichte über den Frauenhass ist nicht neu. Seit Simone de Beauvoir "Das zweite Geschlecht" vor mehr als einem halben Jahrhundert veröffentlichte, wurde die Entmenschlichung der Frau in der feministischen Wissenschaft immer wieder festgestellt und mit klugen kritischen Kategorien erläutert. Wie kommt also der britische Journalist Jack Holland dazu, noch ein weiteres Buch zu schreiben über eine Verfolgung, die bis heute unsere globale Kultur kennzeichnet? Hat er neues Archivmaterial ausfindig gemacht? Hat er den Schlüssel für eine umfassende Erklärung entdeckt?
Das Bestechende an seiner Studie, die den schlichten Titel "Misogynie" trägt, ist tatsächlich nicht die Innovation. Es ist das Pathos einer ernüchterten Entrüstung, mit der er diese altvertraute Geschichte der Verachtung als Mann erzählt, eben weil sie von Männern erfunden wurde. Hollands Anliegen ist offenkundig aufklärerisch. Akribisch recherchiert entfaltet er nochmals vor unseren Augen die realen Konsequenzen jener kulturellen Praktiken, die über Jahrtausende die Frau nicht als Mensch, sondern als Projektionsfläche für Ängste und Wünsche verstanden haben wollten. Indem er ein verschwiegenes Vorurteil über die Minderwertigkeit der Frau als den ideologischen Kitt sichtbar macht, der die Gesellschaft zusammenhält, ermutigt er uns dazu nochmals darüber nachzudenken, warum sich im Verhältnis der Geschlechter eine solche Missachtung breitmachen konnte.
Wie verschiedene Zimmer in einem Schauerkabinett öffnet jedes Kapitel eine Szene bizarrer Fantasiegebilde. Im antiken Mythos entspringt der Büchse der Pandora alles Übel der Welt, löst Helenas Schönheit den furchtbaren Trojanischen Krieg aus. Körperliches Begehren und Tod werden seither gern zusammengedacht. Doch auch die weibliche Tugend ist vor Gewaltfantasien nicht gefeit. Im Falle der Lukretia trifft diese die Frau gleich doppelt: Zuerst wird sie vergewaltigt, dann bestraft sie sich selber mit dem Selbstmord. Zwar gehörten Frauen zur entscheidenden Kraft bei der Verbreitung des frühen Christentums. Doch bereits im Mittelalter rückte deren sündhafte Körperlichkeit wieder in den Vordergrund. Die Inquisition ließ über 200 Jahre tausende mutmaßliche Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Denn die sexbesessenen Fantasien der Richter und Pfarrer schrieben der fleischlichen Begierde des Weibes ungeheure Mächte zu: Vom Teufel besessen konnten Frauen auf einem Besen durch die Luft fliegen, den Penis eines Mannes verschwinden lassen und natürlich Satans Brut gebären. Wieder gibt es das Gegenbild: Zu dieser Zeit wächst der Kult um die Himmelskönigin Maria, verklären Dante und Petrarca die auf ein Podest erhobene unerreichbare Geliebte. Und selbst in Zeiten der aufgeklärten Moderne bleibt jenes Doppelbildnis, welches eine Vergötterung der Frau mit deren Verteufelung verschränkt: Die sexbesessene Nymphomanin, die mal als Libertin an aristokratischen Höfen, mal als Hysterikerin in den Kliniken der Großstädte, und schließlich als Femme Fatale auf der Kinoleinwand den Mann betört. Auf der anderen Seite der häusliche Engel, zu dem der Mann aus dem harten Arbeitskampf oder vom Schrecken der Front zurückkehrt. Ihr einziges Glück besteht darin, sich um ihn zu sorgen. Eine eigenständige Sexualität kennt sie nicht.
Als Journalist weiß Holland, wie man solche Hingespinste leicht lesbar wiedergibt. Doch man hört auch seine eigene Erschütterung darüber, dass diese sich so hartnäckig über Jahrhunderte gehalten haben. Einen Schlüssel zu den Ursprüngen der Misogynie entnimmt er dem judeo-christlichen Schöpfungsmythos. Erinnern wir uns: Evas Wissensdrang ruft auch alle Beschränkungen des irdischen Lebens hervor. Aus dem Paradies verbannt müssen Adam und Eva sich fortan einem Kampf ums Überleben stelle,: jeglichen körperlichen Gebrechen sowie der schrecklichen Kränkung, die der Tod bedeutet. Daraus folgert Holland, weil Eva es war, die Adam aus seinem paradiesischen Schlaf aufweckte und zwang, sich der Vergänglichkeit der Welt zu stellen, muss das weibliche Begehren in Fantasien entweder zurückgewiesen oder vergeistigt werden. Im Akt der Überwältigung der Frau verwandelt sich jene Machtlosigkeit, die auch dem männlichen Begehren unweigerlich eingeschrieben ist, in eine vermeintliche Macht.
Eine Antwort auf die Frauenverachtung gibt es nicht. Doch das Nacherzählen, das unseren Blick hartnäckig auf diese älteste Diskriminierung lenkt, hat dennoch Sinn.
"Die Geschichte der Frauenverachtung. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jede Form von Selbstbild einer Frau. Sie zu kennen ist eine Voraussetzung für jeden Mann, seine kulturelle Rolle reflektieren zu können. Diese Geschichte zu kennen, heißt den schrecklichsten Teil der Geschichte überhaupt begreifen zu müssen. Das ist Schwerarbeit. Das ist unerträglich. Sich aus diesem Wissen sofort mit Hilfe der Verdrängung herauszustehlen nur allzu verständlich. Trotzdem. Diese Geschichte der Frauenverachtung. Sie kann nicht oft genug erzählt werden."
Empörung muss immer wieder neu geweckt werden. Sonst geht ein Bewusstsein für die realen Konsequenzen dieser Verachtung immer wieder verloren.
Holland hat durchaus eine Hoffnung. Seine Reise durch die Geschichte der Misogynie geht von einer Gleichberechtigung der Geschlechter aus. Mit ergreifender Selbstverständlichkeit setzt er eine kluge und gerechte Gesellschaft voraus. Seine Erschütterung darüber, das sich diese noch immer nicht durchgesetzt hat, reicht auf eine entscheidende Weise über eine reine Anklageschrift hinaus. Er kann eine Welt ohne Frauenverachtung denken und ermutigt uns, dies auch zu tun. Damit wäre auf der Ebene der Vorstellungen jene Bedingung geschaffen, die eine kulturelle Veränderung bewirken könnte. Es bleibt natürlich eine Wette. Aber eine Veränderung unserer Weltanschauung ist immer noch die beste Hoffnung, die wir für eine Veränderung der politischen Realität haben.
Jack Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses
Aus dem Englischen von Waltraud Götting
Verlag Zweitausendeins, Frankfurt 2007
406 Seiten, 19,90 Euro