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Über Fake News - zweiter Teil
Was sind eigentlich "Fake News"?

"Fake News" sind so alt wie die Menschheit. Sie betreffen alle Bereiche unseres Lebens. Und sie sind potentiell Massenvernichtungswaffen. Hier der zweite Teil der Antwort aus der Nachrichtenredaktion zu Fragen der Hörer und Nutzer zum Phänomen "Fake News".

    Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler (l) schaut mit Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels am 14. März 1938, einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich, vom Balkon des Hotels Imperial in Wien am Schwarzenbergplatz auf die ihm zujubelnde Menge, die sich vor dem Hotel versammelt hat.
    Joseph Goebbels und Adolf Hitler bauten ihre mörderische Schreckensherrschaft auch mit täglichen "Fake News" auf. (picture alliance / dpa / apa Brandstätter-Verlag)
    Von Marco Bertolaso
    Auf die Frage, was "Fake News" sind, haben wir zwei kurze und eine längere Antwort für Sie. Im Sommer 2016 gab es Berichte darüber, dass falsche Nachrichten, die aber wie Nachrichten wirkten und von vielen geglaubt wurden, den US-Wahlkampf beeinflussten. Diese wurden dann "Fake News" genannt. Angeblich wurde einiges davon gegen Geld auf dem Balkan fabriziert und in den digitalen Umlauf gebracht. Es hieß oft, dies begünstige den Kandidaten Donald Trump, der ebenfalls über Twitter und in Reden "Fake News" verbreite.
    Trump gelang es dann, den Begriff in Teilen umzudeuten. "Fake news" sind für ihn nun die Berichte, die ihm nicht passen. Außerdem nahm er eine sprachliche Erweiterung hin zu "Fake News media"vor, als die er sein Feindbild bestehend aus CNN, New York Times etc. beschimpft.
    Versuch einer Systematisierung

    Nach einer Betrachtung der letzten Monate nun zu einem systematischen Blick: Claire Wardle hat vor kurzem für "First Draft" "sieben Arten von Miss- und Desinformaton" unterschieden. Sie reichen von argloser Satire, die aber dennoch gutgläubige Menschen täuschen kann, über Berichte, die einen falschen Zusammenhang herstellen, bis hin zur Manipulation mit Täuschungsabsicht.

    Nun zur längeren Antwort, die mit einem geschichtlichen Exkurs beginnt.
    "Es bleibt immer etwas hängen"
    "Semper aliquid haeret", es bleibt immer irgendwas hängen. Die magische Wirkung von Gerüchten kannten schon die Römer – und nicht erst sie. Seit Anbeginn der Menschheit wird das Prinzip in allen Lebenslagen eingesetzt. Etwa in der Politik. Wer dem Pharao oder Perikles schaden wollte, der brachte Geschichten über sie in Umlauf. Und wenn Cäsar oder Karl der Große Gegner bekämpften, dann machten es die Herrscher ihrerseits genauso. Nicht nur weltliche Herrscher, auch die Kirchen aller Art haben sich des Mittels über viele Jahrhunderte reichlich bedient.
    Von der Konstantinischen Schenkung zur Dolchstoßlegende
    Zu den erfolrgeichsten "falschen Nachrichten" der Geschichte zählt die "Konstantinische Schenkung". Ein angeblicher Kaisererlaß aus dem vierten Jahrhundert, auf den die Päpste lange ihren Anspruch auf weltliche Herrschaft basiert haben. Wie man heute weiß, wurde das Dokument vermutlich um das Jahr 800 fabriziert. Von anderer Art, aber mit ähnlich gewaltiger Wirkung war die Propagandalüge, die man noch heute "Dolchstoßlegende" nennt. Die Idee, Deutschland habe "im Felde unbesiegt" durch das Handeln feiger Politiker den Ersten Weltkrieg verloren, traf auf offene Ohren und trug mit zur Diskreditierung der Weimarer Republik bei.
    Lügen als Massenvernichtungswaffen
    Die schlimmsten Auswüchse im politischen Bereich haben wir in Diktaturen erlebt, den allerschlimmsten im mörderischen Nazi-Deutschland, als der Tod von Millionen von Menschen durch Verleumdungen vorbereitet und begleitet wurde. In Diktaturen gibt es wenig Korrektive. Auch heute.
    Lügen können zu Massenvernichtungswaffen werden. Deshalb haben die Alliierten übrigens nach 1945 den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland aufgebaut, den manche nun für überflüssig halten oder zumindest im Netz begrenzen wollen. Aber das nur am Rande.
    Alltag auch jenseits der Politik
    Gezielte Rufschädigung, das ist auch im Wirtschaftsleben ein Klassiker – im Kleinen wie im Großen. Beginnt das Gerede über die Qualität des Bäckers um die Ecke, dann muss der um seine Existenz fürchten. Wird ein Konzern mit Gerüchten konfrontiert, dann sinkt der Absatz, die Aktienkurse purzeln und Arbeitsplätze sind bedroht.
    Ob Sport oder Kultur, ob Kirche oder Wohlfahrtsverbände – es gibt keinen Bereich der Gesellschaft, in dem das, was man gerade modisch "Fake News" nennt, nicht schon immer eine Rolle spielte. Es geht manchmal um mangelndes Wissen, es geht oft um handfeste Interessen.
    Menschliches, Allzumenschliches
    Und das alles hat viel mit uns Menschen zu tun. Hand aufs Herz, wer hat sich nicht schon mal an Klatsch und Tratsch beteiligt oder Gerüchte weiter erzählt? Weil es irgendwie interessant war, weil man imponieren wollte oder einem anderen ein wenig, nur so ein klein wenig, schaden. Oder wir haben eine Geschichte verbreitet, weil sie uns gut in den Kram passte. Schließlich wusste man ja immer schon, dass der Nachbar ein Doppelleben führt, dass die Kollegin nicht vertrauenswürdig ist, dass Putin der Größte ist oder die CIA uns alle ruinieren wird.
    Lügen, Halbwahrheiten, hartnäckige Vorurteile, gezielt oder unbeabsichtigt in die Welt gesetzt oder weiter gegeben, all das ist eine Konstante. Aufklärung, demokratischer Rechtsstaat, kritischer Journalismus sind dagegen neueren Datums beziehungsweise auch rarer auf der Welt. Der Nährboden für das, was man "Fake News" nennt, ist also ernst zu nehmen. Erst recht angesichts der fast unbeschränkten Verbreitungsmöglichkeiten im Zeitalter von Facebook und Co. Es gibt Grund, besorgt zu sein. Wir können aber auch alle bei uns anfangen, bei dem was wir bereit sind, zu glauben und weiter zu verbreiten.
    In den kommen Tagen gehen wir auf weitere Hörerfragen ein, die sich zusammenfassen lassen mit:
    • Haben Internet und soziale Medien "Fake News" groß gemacht?" (Teil drei)
    • Hat Donald Trump denn wirklich immer Unrecht? (Teil vier)
    • Was können die Medien gegen "Fake News" tun? (Teil fünf)
    • Was unternehmen die Deutschlandfunk-Nachrichten? (Teil sechs)
    • Was bedeuten "Fake News" für die Gesellschaft und was kann ich als einzelne(r) dagegen tun? (Teil sieben)

      Bereits veröffentlicht haben wir: Über Fake News - Ein Gespenst geht um, nicht nur in Europa (Teil eins)