Genaue Zahlen gibt es derzeit nicht. Dafür ist die Lage im Krieg zu diffus, erklärt auch Sophie Timmermann aus dem Faktencheck-Team des Recherchezentrums Correctiv im Deutschlandfunk. Sie und ihr Team überprüfen gerade den Wahrheitsgehalt vieler Inhalte im Netz. Hier gibt es einen Überblick. Ein ähnliches Angebot bietet die Online-Plattform Bellingcat.
Was dagegen klar ist: Gerade kursiert sehr viel Bildmaterial im Internet, das aus dem Kontext gerissen oder schlichtweg falsch ist. Denn im Krieg ist Desinformation auch immer eine Waffe um die Deutungshoheit. Massenweise irreführende Informationen sollen Verwirrung stiften und Vertrauen gegenüber seriösen Quellen schmälern, sagt Timmermann.
Journalistin Sophie Timmermann rät generell zu Vorsicht in sozialen Medien. Weil die Lage so unübersichtlich ist, könne aus Unwissenheit jeder und jede Falschinformation teilen. Daneben würden sowohl pro-israelische als auch pro-hamas und pro-palästinensische Kanäle strategisch Desinformationen streuen.
Besonders emotionales Bildmaterial muss kritisch beurteilt werden. Dabei helfen können frei zugängliche Werkzeuge, zum Beispiel sogenannte Open Source Intelligence Tools (OSINT). Dafür nutzen Medienschaffende frei zugängliche Daten, um Aussagen oder Bildmaterial zu überprüfen. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine konnten beispielsweise anhand von Satellitenbildern Orte von bombardierten Wohngebäuden lokalisiert werden.
Ganz einfach von Zuhause kann man leicht überprüfen, ob ein Bild aktuell oder womöglich schon viel älter ist oder ob es überhaupt zeigt, was es zeigen soll. Dafür gibt es verschiedene Anwendungen, die eine Bilder-Rückwärtssuche durchführen können. Besonders bekannt ist die Funktion Google Lens. Damit konnte ein vermeintlicher Gleitschirmangriff der Terrororganisation Hamas als Übung einer ägyptischen Militärakademie in Kario entlarvt werden.
Eine gute Nachricht: Derzeit kursiert noch relativ wenig Bild- und Videomaterial im Netz, das mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) erzeugt wurde, bestätigt auch die Journalistin Sophie Timmermann. Allerdings könne sich das im Verlauf des Krieges schnell wieder ändern. Dagegen herrsche eine allgemeine Verunsicherung darüber, was man glauben könne und was nicht.
Für besondere Verwirrung hat zu Beginn der Auseinandersetzungen ein Tweet von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu auf der Plattform X gesorgt. Zu sehen ist ein grausames Bild, das die verkohlten Überreste eines Säuglings zeigen soll. Allerdings bezweifelten kurz darauf zahlreiche Accounts die Echtheit des Bildes und beriefen sich dabei auf KI-Erkennungswerkzeuge. Diese sollen dabei helfen, derartige Deepfakes zu identifizieren, sie kommen aber immer wieder an ihre Grenzen.
Die Tools seien zwar in der Regel schon ziemlich genau, aber immer noch sehr fehleranfällig, erklärt Hany Farid, Professor an der Berkeley Universität und führender Experte für manipulierte Bilder, gegenüber 404 Media. Deswegen könnten solche Erkennungswerkzeuge nur ein Teil eines größeren Verifikationsprozesses sein: "Man kann nicht einfach auf einen Knopf drücken, um eine Antwort zu erhalten. So funktioniert das nicht. Es ist nicht CSI", so Farid.
Besondere Verantwortung haben in diesem Kontext Journalistinnen und Journalisten, sagt Sophie Timmermann von Correctiv. Sie fordert mehr Transparenz in Medienhäusern und ihrer Berichterstattung. Dazu gehöre auch, geduldig zu sein, "und nicht direkt auf aktuelle Sachen aufzuspringen, sondern zu warten: Welche Fakten gibt es, und welche Fakten gibt es nicht?"
Für besonders viel Aufmerksamkeit hat die Explosion an einem Krankenhaus in Gaza-Stadt gesorgt. Schnell hat die terroristische Hamas Israel beschuldigt. Viele Medien, darunter auch der Deutschlandfunk, haben diese Behauptung zunächst übernommen - fälschlicherweise. Abgesicherte Schlussfolgerungen gibt es derzeit noch nicht - auch weil eine Untersuchung vor Ort bisher nicht möglich ist. Die israelische Armee beschuldigt den Islamischen Dschihad.
Viele Parallelen nimmt Journalistin Sophie Timmermann gerade in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wahr. Auch dort wurden Falschinformationen verbreitet, Angriffe gezielt heruntergespielt und Misstrauen geschürt. Genau das wiederhole sich nun auf den gleichen Kanälen in Bezug auf den Nahen Osten, sagt Timmermann. Ziel sei dabei, Vertrauen zu schmälern und russische Interessen zu stärken. Dabei gehe es vor allem um antiwestliche und antiukrainische Narrative.