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Über Körper und Seele

Emilio de' Cavalieri schuf zum Heiligen Jahr 1600 seine "Rappresentatione di anima et di corpo". Das Werk besteht aus Statements allegorischer Figuren: Körper und Seele streiten, wo die Vereinigung mit Gott erlangt werden kann – im Himmel oder auf Erden. An der Berliner Staatsoper hat Achim Freyer das Werk neu inszeniert.

Von Georg-Friedrich Kühn | 09.06.2012
    Man taucht mit dieser Musik zurück in die Anfänge der Oper. Die Trennung Oratorium-Oper gab es noch nicht. Diese musikalische Großform war ja der Versuch, das antike Theater der Griechen wieder zu gewinnen. 1600 in Rom ist Emilio de‘ Cavalieris Oratorium "Rappresentatione di anima et di corpo" entstanden, wenige Monate bevor man in Florenz die Oper "erfand". Oratorio war der Name für den Betsaal einer römischen Bruderschaft, die dort eine neue Form der Andacht suchte: dialogisch in der Zwiesprache von Geistlichem und Gemeinde, nicht als liturgisches Zeremoniell in lateinischer Sprache, sondern muttersprachlich italienisch.

    Im Mittelpunkt stand das Bibelwort, musikalisch umrahmt, und mit dieser neuen Form des Gottesdienstes wollten Teile der Römischen Kirche reagieren auf die Fragen, die Luther aufgeworfen hatte und die dann im 1563 beendeten Konzil von Trient erörtert worden waren.

    Cavalieris Oratorium über "Das Spiel von Körper und Seele", so der Titel in Deutsch, entstand auf einen Text des der laienkirchlichen Reform-Bewegung nahestehenden Agostino Manni. Verteilt auf mehrere allegorische Figuren wird da zwischen anima (Seele) und corpo (Körper) die Frage erörtert, ob das irdische oder das himmlische Leben mehr Erfüllung biete.

    Zur optimalen Textverständlichkeit bedient sich Cavalieri eines neuen homophonen chorischen Stils, den er allerdings rhythmisch und instrumental sehr vielfältig auflockert. Mit der "Rappresentatione" zum Heiligen Jahr 1600 wollte Papst Clemens VIII die auch vom Tridentiner Konzil geforderten Prinzipien einer neuen Kirchenmusik repräsentativ umgesetzt wissen.

    Musikalisch gelingt der Berliner Staatsoper im Schillertheater unter René Jacobs eine fast mustergültige Aufführung – auch wenn man sich etwa für die Sängerin der "anima" eine etwas biegsamere Stimme wünschen könnte als sie Marie-Claude Chappuis zu Gebote steht.

    Achim Freyers Bühne ist ein schwarzes, leicht schräg-perspektivisch ansteigendes Einheitsspielfeld mit aufgemalten Nummernkästchen. Schon zu Beginn liegen dort einzelne Requisiten wie ein roter Ball, Schachfiguren, ein Stierschädel, eine Party-Glitzerkugel.

    Sänger, Chor und Instrumentalisten sind rund um das Spielfeld platziert. Im Mittelteil, wenn die diversen Lüste verhandelt werden, kann Freyer seine ganze Ikonographie weiß-behandschuhter Figuren von einem Heiligen Sebastian bis zum Spring-Teufelchen entfalten. Dazu regnet es Seifenblasen vom Bühnenhimmel, und vielfarbig beleuchteter Dampf steigt auf.

    Das Ende markiert ein prachtvoll das überirdische Leben preisender gemeinschaftlicher Chor. Danach entschwindet die Figur des "Intellekts" langsam und stumm nach hinten, eine Freyersche Pointe.

    Ob dies Oratorium eine szenische Umsetzung braucht, ob es einst szenisch oder halbszenisch uraufgeführt wurde, steht dahin. Aber nachdem man die Oratorien Händels mehr und mehr wieder für die Bühne entdeckt, ist diese Art musiktheatralischer Spurensuche legitim – und Freyer hat vor 30 Jahren mit seinem "Messias" an der Berliner Deutschen Oper selbst wesentlich dazu beigetragen. Das Publikum applaudierte dieser 90-minütigen pausenlosen Aufführung am Ende anhaltend.