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Über schrumpfende Orden und leere Klöster
Der Schmerz der Umbruchzeit

Die religiösen Gemeinschaften befinden sich in einer Krise: Immer mehr Klöster in Deutschland stehen leer, und die Zahl der Ordensmitglieder nimmt drastisch ab. So ging die Zahl der Nonnen hierzulande zwischen 1994 und 2014 um mehr als die Hälfte zurück. Viele Konvente haben inzwischen ihre angestammten Sitze verlassen und sich mit anderen Klöstern zusammengeschlossen.

Von Ulrich Pick |
    Skulptur des Heiligen Augustinus am evangelischen Augustinerkloster in Erfurt in Thüringen
    Skulptur des Heiligen Augustinus am evangelischen Augustinerkloster in Erfurt in Thüringen (dpa / picture alliance / Rainer Oettel)
    "Wer also Gott wahrhaft nachfolgen will, muss sich von den Banden der leidenschaftlichen Anhänglichkeit an dieses Leben frei machen; dieses geschieht aber durch gänzliche Lostrennung und Vergessen der alten Gewohnheiten."
    (Basilius von Cäsarea, "55 ausführliche Regeln in Frage und Antworten")
    "Bei den Ordensmännern – um bei uns mal anzufangen – müssen wir im Vergleich zu 1977 einen Rückgang von 50 Prozent verzeichnen. Bei den Frauen ist es wesentlich dramatischer. Während es zum Beispiel im Jahre 1965 noch 100.000 Ordensfrauen gab, sind es heute genau noch 18.000 oder knapp 18.000."
    Professor Ulrich Engel beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der deutschen Orden. Die jüngste Entwicklung bezeichnet der Dominikanerpater aus Berlin als "historischen Traditionsbruch".
    "Wenn wir auf die Zahl der Novizinnen, also der Anfängerinnen in den kontemplativen Frauengemeinschaften schauen, dann müssen wir feststellen, dass es einen Rückgang um sage und schreibe 98 Prozent gegeben hat von 3500 Novizinnen im Jahr 1955 auf 62 Novizinnen für alle Frauengemeinschaften in Deutschland im Jahr 2013."
    Die Zahlen, die er nennt, sprechen für sich: Die geistlichen Gemeinschaften befinden sich zurzeit in einer Krise – daher hat Papst Franziskus erst Ende 2014 ein "Jahr der Orden" ausgerufen.
    Gleichwohl warnt Engel die katholische Kirche davor, in Panik zu verfallen. Weltuntergangs-Szenarien seien unangemessen und nicht hilfreich. Es gelte vielmehr, den Schrumpfungsprozess zahlreicher Orden nüchtern zu analysieren:
    "Man tut sich schwer, weil wir – mindestens in der deutschen Kirche – sehr institutionengläubig sind. Und dazu gehören eben dann auch Ordensinstitutionen. Wir geben an dieser Stelle Institutionen auf. Für das Kommen des Reiches Gottes braucht es die Orden letztendlich nicht; wie es die ganzen kirchlichen Strukturen natürlich nicht braucht. Das heißt, sie sind immer auch in gewisser Weise überflüssig. Und insofern ist natürlich das Sterben von Ordensgemeinschaften eigentlich ein ganz normaler Prozess."
    Das Sterben der Ordensgemeinschaften als "ganz normalen Prozess" zu bezeichnen, scheint vielleicht gewagt. Dennoch: Wenn diese Analyse stimmt, was sind die Gründe? Jesuitenpater Franz Meures, der innerhalb der deutschen Ordensobernkonferenz in Bonn das Ressort Bildung leitet, sieht im kirchlichen Gesamttrend eine der Ursachen für das Schrumpfen der Orden:
    "Die Bindung an die Kirche insgesamt hat nachgelassen. Volkskirche mit all ihren Ausfaltungen ist so nicht mehr zukunftsfähig. Das sehen Sie auch daran, dass zum Beispiel parallel die Seminaristen, die Priesterkandidaten in den Diözesen auch sehr stark gesunken sind auf ein niedriges Niveau, wie wir es sehr lange nicht hatten."
    Als Zweites nennt Meures eine eher psychologische Ursache: Die für das Ordensleben grundlegende Bindung auf Lebenszeit, so sagt er, schrecke immer mehr junge Menschen ab.
    "Man sieht es daran, dass seit dreißig, vierzig Jahren auch mehr jüngere Ordensleute wieder weggegangen sind, weil die merkten, es geht doch nicht. Aber dieses Element, ein Versprechen abzulegen auf Lebenszeit, lässt die Leute zögern."
    "Nachdem wir alles Urteil abgelegt haben, müssen wir bereiten und willigen Sinn haben, um in allem der wahren Braut Christi unseres Herrn zu gehorchen, die unsere heilige Mutter, die hierarchische Kirche ist."
    (Ignatius von Loyola: "Geistliche Übungen")
    Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Orden sich als Konkurrenz ansahen. Bei aller Gemeinsamkeit grenzten sie sich immer wieder voneinander ab. Angesichts der dramatisch rückläufigen Mitgliederzahlen allerdings, ist dieser – positiv ausgedrückt – innerkirchliche Wettbewerb beinahe komplett zum Erliegen gekommen. Inzwischen vernetzen sich viele benachbarte Konvente sogar. Zudem legen Gemeinschaften verschiedene Standorte zusammen, sagt Arnulf Salmen, der Sprecher der deutschen Ordensobernkonferenz.
    "Große Ordensprovinzen wie zum Beispiel bei den Jesuiten, auch bei den Franziskanern, da findet ein solcher Konzentrationsprozess statt, dass der Orden sich überlegt, an welchem Ort ziehen wir uns zurück, um vielleicht an anderer Stelle besonders präsent zu sein und dort unsere Kräfte zu konzentrieren."
    Verfügen Konvente nur über wenige Standorte, schließen sie sich oft größeren Orden an, die in ihrer Nähe sind. Sie versuchen dabei allerdings – soweit es möglich ist – ihre Identität zu behalten.
    "Zum Beispiel sind im Laufe des vergangenen Jahres die Klarissen aus Paderborn zu den Franziskanerinnen von Salzkotten gezogen, leben dort jetzt innerhalb des Klostergeländes der Franziskanerinnen. Es gibt ein anderes Beispiel für alt gewordene Ordensgemeinschaften bei den Cellitinnen in Köln, die ein Altenheim haben, in dem mehrere Ordensgemeinschaften leben, verschiedene Ordensgemeinschaften unter einem Dach, aber jede mit einem eigenen Trakt, in dem sie ihre jeweils eigene Ordensspiritualität weiterleben können."
    Egal, welchen Weg die schrumpfenden Konvente nehmen, die Zahl der Orden in Deutschland dürfte auf absehbare Zeit weiter zurückgehen. Zudem wird sich die Art ihrer Unterbringung ändern. Denn für den Dominikaner Ulrich Engel, der die Geschichte der Ordern erforscht, ist eines bereits jetzt klar:
    "Wir kennen große Abteien, also Gebäude, wo man sich Hunderte von Leuten drin vorstellen kann. Diese Repräsentationsbauten, was sie ja auch immer waren, die wird es nicht mehr geben."
    Momentan jedoch gibt es diese großen Repräsentationsbauten noch. Einige von ihnen sind nach wie vor durch intakte Gemeinschaften bewohnt, viele andere aber stehen bereits leer. Und hier wartet eine weitere Schwierigkeit in der momentanen Ordenskrise. Was soll mit den traditionsträchtigen, alten Gebäuden geschehen? Sollen sie verkauft, und dann möglicherweise zweckentfremdet werden?
    Immerhin waren die Klostergebäude Lebensraum von Frauen und Männern, die ihr Leben in den Dienst ihres Glaubens stellten. Viele waren über Jahrhunderte hinweg auch wichtige kulturelle Zentren – wie etwa die bayerischen Klöster Wessobrunn oder Benediktbeuern. Und so betont Jesuitenpater Franz Meures:
    "Das tut natürlich weh, wenn die Mönche oder Schwestern dann entscheiden müssen: Es geht nicht mehr, wir gehen hier weg. Und insofern wird doch zunehmend sehr viel Sorgfalt darein gelegt, die Nachnutzung gut zu besprechen und sich damit Zeit zu lassen. Das ist ja jetzt nicht nur eine Frage 'Dieses Kloster, dem geht die Puste aus', sondern, es ist dann eine gesellschaftliche Frage, eine kirchliche und gesellschaftliche Frage: Was wird aus diesem Ort werden?"
    Ähnlich sieht es auch Arnulf Salmen. Der Schritt, einen alten, angestammten Klosterstandort aufzugeben, so der Sprecher der Ordensobernkonferenz, sei nämlich keineswegs nur das Ergebnis kühler Abwägungen. Nicht zu unterschätzen sei vor allem auch die emotionale Komponente einer solchen Entscheidung...
    "... die häufig auch bei den Menschen, die in der Umgebung des Klosters leben, auf ein großes Erschrecken stößt, wenn sie hören, dass dieses Kloster, das seit unter Umständen vielen hundert Jahren von Ordensleuten belebt worden ist, nun plötzlich der Menschen beraubt ist, die dort eben das Leben geprägt haben. Umso wichtiger ist es, dass man dann auch nicht nur als Ordensgemeinschaft eine Entscheidung trifft, sondern gemeinsam mit den Akteuren, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen können, schaut, wie könnte eine Nachnutzung aussehen."
    Wie plane ich die Zukunft meines Ordens? Wie verkaufen wir unser Kloster? Wer Antwort auf diese Fragen sucht, geht zu Ralf Olbrück. Er ist der wohl erfahrenste Ansprechpartner für Ordensleute. Er ist Geschäftsführer der Firma Pro Secur in Köln, die sich seit 1990 um personelle und finanzielle Entwicklung von geistlichen Gemeinschaften kümmert. Dazu gehört auch die Betreuung ihrer Immobilien.
    "Unsere Hauptaufgabe sind die Ordensgemeinschaften, die etwa zwischen 20 und 100 Mitglieder noch haben, weil, dort kann ich und muss ich im Moment eben auch die Zukunft in diese Richtung – Geld und Immobilie – angehen. Ich kann heute schon Weichen stellen für den Punkt, wenn es dann eben mit der Mitgliederzahl stärker zurückgeht. Ich hab vor allen Dingen eben die Zeit zum Planen. Das fehlt vielen Gemeinschaften, die einfach zu lange warten."
    In den vergangenen Jahren haben Ralf Olbrück und seine Mitarbeiter mindestens zwei Dutzend Klöster verkauft – darunter auch kulturgeschichtlich bedeutende wie im oberpfälzischen Pilenhofen oder im oberbayerischen Altenhohenau. Trotz dieser Erfolge – Olbrück will die Probleme nicht klein reden:
    "Es ist und bleibt eine Spezialimmobilie. Und es ist insofern schwierig, weil diese Klöster eigentlich immer darauf aufgebaut sind, dass sie ursprünglich einmal immer zu klein waren. Tatsächlich haben wir schon Pflegeheime in Klöstern untergebracht. Wir haben in Bayern eine Schule in einem Kloster untergebracht mit einem Internat. Und bei der weltlichen Lösung sind es in aller Regel, dass Bauträger und oder Leute, die sich auf denkmalgeschützte Gebäude spezialisiert haben, dass die halt auch tatsächlich daran denken, hochwertigen Eigentumswohnungsbau dort dann zu realisieren."
    Ziel der Veräußerung von Klöstern ist es – wenn möglich – eine einvernehmliche Lösung zu finden, bei der der betroffene Orden ebenso eingebunden ist wie das Dorf, die Stadt, die Region, die mit diesem Kloster verbunden sind. Es kann dauern, bis es zu einer Lösung kommt – auch mal drei Jahre wie in Mainz-Bretzenheim.
    "Dort hatte ein männlicher Orden ein Exerzitien- und Seminarhaus. Hatte zum damaligen Zeitpunkt noch fünf Patres vor Ort. Die Seminare gingen prozentual weiter zurück, so dass das Haus defizitär war. Hinter dem Haus gab es wie üblich bei Klöstern einen großen Garten. Wir haben also zunächst einmal mit der Stadt Mainz gemeinsam einen Bebauungsplan entwickelt für das Gelände hinter dem Kloster. Wir haben dann anschließend mit den Patres besprochen, dass wir ihnen auf dem Gelände ein neues Gebäude erstellen. Ein modernes Gebäude, multifunktional. Also, dass es später einmal umgewandelt kann in Geschosswohnungsbau, aber schon heute auch als Kloster genutzt wird mit Kapelle, mit Refektorium, mit allem, was man in einem Kloster braucht. Und wir haben dann das große Glück gehabt, dass das Exerzitienhaus tatsächlich vom Caritas-Verband angekauft worden ist, weil man dort eben zum damaligen Zeitpunkt einen zentralen Standort suchte, um verschiedene Büros aus der Stadt Mainz zusammenzuführen."
    Heute wird das Exerzitienhaus und die dazu gehörende Kirche vom Caritasverband genutzt. Die Ordensleute wohnen dort nach wie vor und haben mittlerweile neue Nachbarn. Denn das Siedlungswerk baute Einfamilienhäuser auf dem Klostergelände. In diesem Fall, sagt Ralf Olbrück, hätten alle Seiten profitiert. Aber das ist nicht immer so.
    "Erneuerung des Ordenslebens heißt: ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse."
    (Aus dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens)
    Die stark rückläufigen Mitgliederzahlen und der Verkauf von traditionsreichen Klöstern haben die geistlichen Gemeinschaften vor erhebliche Probleme gestellt. Zahlreiche Aufgaben, die man früher bewältigen konnte, sind heute nicht mehr zu leisten. Anna Maria Kofler, die Oberin der Steyler Missionsschwestern in Mainz, sieht in der Krise eine Chance.
    "Ich meine, wir leben in einer Zeit, wo durch die Veränderungen vieles deutlicher wird. Und wo die Rückbesinnung auf das Eigentliche wieder mehr zum Zuge kommt. Und vieles was drum herum aufgebaut worden ist, jetzt einfach abfällt, und da sehe ich eine große Chance."
    Um sie zu nutzen, empfiehlt die Ordensfrau, den Blick auf die christliche Tradition zu richten. Denn dort könne man lernen, dass es kein Nachteil sein muss, wenn geistliche Gemeinschaften deutlich kleiner werden:
    "Wenn man in der Geschichte zurückschaut, die Wüstenväter und die Wüstenmütter im dritten Jahrhundert – das waren kleine Bewegungen. Und meine Vorstellung ist, dass wir dahin wieder zurückgehen. An den Ursprung. Und da ist natürlich jede Ordensgemeinschaft herausgefordert, da die Frage, wie wirkmächtig ist ein Ordensleben, wenn es in diesen kleinen Zellen geschieht."
    "Kleine Zellen" – das scheint ein Schlüsselwort zu sein. Neue und bislang ungewohnte Formen des Zusammenlebens entstehen: beispielsweise in einfachen Stadtwohnungen statt in großen Traditionsbauten auf dem Land. Schließlich sei Beweglichkeit gefragt, sagt der Jesuit Franz Meures und nennt ein Beispiel:
    "Wir haben in Berlin vor zwölf Jahren ein neues, wichtiges Jesuitenhaus eröffnet und haben dazu vier oder fünf Eigentumswohnungen nebeneinander gekauft, vernetzt, und inzwischen ist das geschrumpft. Wir haben eine Eigentumswohnung wieder verkauft. Das heißt: Flexiblere Modelle, wie sich ein modernes Ordenshaus heute führen lässt, aber auch wieder verlassen lässt."
    Kleine Zellen – und gleichzeitig weniger Nachwuchs, der sich außerdem verändert. Kamen die Postulanten, die sich einst für ein Klosterleben interessierten, aus einem mehr oder weniger einheitlichen katholischen Milieu, so ist es heute ausgesprochen vielfältig – erklärt Dominikaner Ulrich Engel:
    "Heute haben wir ein Postulat von Leuten, die aus England kommen, aus Italien, aus dem Iran, aus Deutschland kommen, aus Österreich kommen. Solche Leute kommen zusammen mit ganz unterschiedlichen Vorbildungen. Biografien. Egal ob es Ingenieure sind, ob es Leute sind die ein philosophisches Doktorat in den USA gemacht haben, ob es Leute sind, die in der Schweiz, in England oder in Paris gelebt haben vorher. Da wird es bunter. Es wird pluraler. Es wird anregender in dem Austausch. Aber es heißt eben auch: Es braucht viel mehr Anstrengung, um wirklich Gemeinsamkeiten definieren zu können."
    Gemeinsamkeiten definieren - der Kompass hierfür sei die Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" des Zweiten Vatikanischen Konzils. In ihr wurde vor 50 Jahren das Verhältnis zwischen Kirche und Welt neu aufgezeigt:
    "In diesem Zusammenhang wäre für die Orden eben zu gucken, wo sind Orte, an denen wir so mit Menschen in Kontakt kommen, dass wir auf der einen Seite etwas geben können, gleichzeitig aber in diesem Prozess etwas lernen können, von dem was in dieser Gesellschaft passiert, um mehr über uns zu erfahren."
    "Orden sind produktive Vorbilder für das Sicheinüben der Kirche in neue soziokulturelle Situationen. Sie sind zugleich Korrektive, eine Art 'Schocktherapie des Heiligen Geistes' für die Großkirche. Sie klagen die Radikalität des Evangeliums in einer Kirche ein, die in der Gefahr der Überanpassung steht."
    (Johann Baptist Metz, "Zeit der Orden?")
    Auch die Steyler Missionsschwestern unterziehen sich einer Schocktherapie: Drei Ordenshäuser auf dem Land sollen geschlossen und dafür zwei neue in Großstädten eröffnet werden. Sie wollen sich in Berlin-Kreuzberg und Frankfurt-Sachsenhausen der Arbeit mit Einwanderern widmen. Ordensoberin Anna Maria Kofler nennt dies so: "den Rand zur Mitte machen".
    "Das heißt, wie in Sachsenhausen möchten wir mit unbegleiteten Flüchtlingen arbeiten, wir gehen wirklich auch an den Rand von Sachsenhausen, nicht etwas für die Menschen zu tun, sondern mit denen. Und somit auch den Rand zur Mitte machen, und das hat wiederum auch Auswirkungen aufs Verständnis von Leitung. Wenn ich kreisförmig denke, leite ich anders, wie wenn ich Verständnis von hierarchischem Leiten habe."
    Der Schritt der Steyler Missionsschwestern signalisiert einen Aufbruch – einen Aufbruch, der zeigen will, was die spezielle Aufgabe gerade von Orden heute im Stande ist zu leisten:
    "Dieses über den Status Quo hinausgehende Denken, über das auch sich Hineinzuwagen in Situationen, wie jetzt auch mit den Flüchtlingen, denke ich, dafür können Ordensleute stehen. Weil sie eben eine Bindung haben, die sie jetzt nicht in dieser Form bindet ans Hier und Jetzt - mit Familie, mit Kindern - sondern sie wirklich freilässt. Und in dieser Freiheit können sie Bindungen eingehen mit Menschen, die in Not sind, die auf der Flucht sind, die am Rande der Gesellschaft stehen."
    "Den Rand zur Mitte machen" – was Anna Maria Kofler beschreibt, ist auch für Ulrich Engel ein zentraler theologischer Imperativ. Denn zeitgemäßes Ordensleben, so sagt er, müsse Schwäche als Stärke begreifen:
    "In einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer immanenten kapitalistischen Struktur natürlich immer das Größere, das Schönere, das Teurere als Maßstab annimmt, glaube ich, gibt es so etwas wie eine Aufgabe von Ordensgemeinschaften, eben das Kleine, das Unscheinbare als etwas Erfüllendes zu leben."
    Ob und wie die deutschen Orden ihre derzeitige Krise meistern werden, ist momentan noch ungewiss. Auch wenn es Neuansätze gibt, eine grundlegende Wende steht noch aus. Dennoch sieht Anna Maria Kofler, die Oberin der Steyler Missionsschwestern, die momentane Situation mit Zuversicht:
    "Umbruchzeiten sind Gnadenzeiten – das nimmt nicht den Schmerz."