Bernd Lechler: "Oh Simone" heißt seit zwei Jahren ein Blog und nun neu auch ein Buch: über das Leben und Lieben und Denken und Schreiben von Simone de Beauvoir, der Schriftstellerin, Philosophin, Feministin und Gefährtin von Jean-Paul Sartre, die nächste Woche übrigens 110 Jahre alt würde. Geschrieben hat das Buch die Journalistin und Autorin Julia Korbik, die Beauvoir ihre "Begleiterin" nennt, seit sie sie mit 18 entdeckt hat, und mit der ich kurz vor dieser Sendung über Simone de Beauvoir und das Buch gesprochen habe. Wissen Sie noch, Frau Korbik, was Sie am Anfang gleich anzog an ihr?
Julia Korbik: Naja, ehrlich gesagt, am Anfang hat mich gar nichts an ihr angezogen. Also ich habe Bilder von ihr im Internet gesehen und dachte, hm, das ist eine sehr streng blickende Frau mit Turban. Und ich habe sie eigentlich nur entdeckt, weil ich ein Referat über Jean-Paul Sartre halten musste in der Schule. Also da war am Anfang gar nicht so eine Faszination, aber irgendwie habe ich mir den Namen dann doch gemerkt und bin dann später im Buchladen auf eines ihrer Bücher gestoßen, auf "Die Mandarins von Paris", und da habe ich mich plötzlich wieder erinnert, ach, es gab ja diese Simone de Beauvoir, und das Buch versprach eben einen Einblick in das Paris der Existenzialisten. Und dann hat es mich gepackt , dann dachte ich, okay, diese Simone de Beauvoir, der werde ich mal eine Chance geben.
"Sie hat Themen angesprochen, die damals Tabu waren"
Lechler: Und jetzt sehen Sie sie bestimmt auch als Feministin in erster Linie. Sie haben 2014 selber ein Buch über Feminismus veröffentlicht, "Stand Up", und schreiben und bloggen auch immer noch regelmäßig zu dem Thema. Was hat denn Simone de Beauvoir, Jahrgang 1908, dazu noch Relevantes zu sagen?
Korbik: Ich habe mich das selber auch gefragt, als ich damals "Das andere Geschlecht" las, - ihr großes, feministisches Hauptwerk von 1949 -, was kann mir dieses Buch eigentlich noch beibringen? Und wenn ich mich heute mit jungen Feministinnen unterhalte, die sagen auch oft, ach, Simone de Beauvoir, ja, das sollte man mal irgendwie gelesen haben, aber ich weiß ja nicht, das ist ja schon so alt. Und ich finde, man kann noch unheimlich viel auch gerade in diesem Buch finden. Ich habe Stellen gefunden, jetzt auch bei meiner Recherche für mein Buch, die wahnsinnig aktuell sind, wo es darum geht, wie Männer eben ihre Macht ausüben, es geht um Privilegien, es geht um Sexismus, es geht um Diskriminierung. Das fand ich alles sehr aktuell und vor allem, was Simone de Beauvoir ja gemacht hat, sie hat ja vieles erst diskursfähig gemacht.
Also sie hat Themen angesprochen, die damals Tabu waren: Schwangerschaftsabbrüche, Verhütung, Prostitution, also wirkliche Skandalthemen. Und dadurch, dass sie sie angesprochen hat, können wir heute darüber sprechen. Und vor allem war sie natürlich eine der Ersten, die das biologische Geschlecht von der sozialen Rolle getrennt hat, also das sind alles Dinge, die Simone de Beauvoir schon damals gemacht hat. Das war damals modern und ich finde, das ist auch heute noch eine gute Grundlage, auf der wir diskutieren können, über Geschlechtergerechtigkeit.
"Am Hashtag MeToo hätte sie sich wahrscheinlich beteiligt"
Lechler: Ja stimmt, und auch der Genderdebatte war sie schon 70 Jahre voraus. Und Sie enden in Ihrem Buch mit einem Zitat von ihr, da sagt sie: "Ich denke, dass Feminismus eine gemeinsame Angelegenheit von Männern und Frauen ist, und dass Männer nur dann in einer gerechteren, besser organisierten Welt leben werden, wenn Frauen einen gerechteren und anständigeren Status haben. Der Erwerb von Gleichheit zwischen den Geschlechtern ist eine Aufgabe von beiden." Das trifft auch mitten in die MeToo-Debatte, über die wir heute ja sowieso schon reden. Haben Sie sich mal überlegt, was Simone dazu sagen würde?
Korbik: Absolut. Und ich kann Ihnen da gar keine gute Antwort drauf geben. Also ich glaube, dass Simone de Beauvoir, naja, wenn sie einen Twitter Account hätte, sich auf jedem Fall dem Hashtag MeToo wahrscheinlich auch beteiligen würde, weil sie natürlich auch in ihrer Karriere, glaube ich, Momente erfahren hat, naja, wo sie als Frau auch schon nicht ganz ernst genommen wurde, wo sie vielleicht auch sogar belästigt wurde. Also es gibt zumindest einen Vorfall, da würden wir heute sagen, das war quasi 'date rape', also diese Art von Vergewaltigung, wo man eigentlich sich auf einem Date befindet, und dann kommt es eben zum Sex und die Frau möchte es gar nicht. Und das ist Simone de Beauvoir auch passiert. Also sie hat durchaus auch Erfahrungen gemacht, die viele Frauen heute auch machen. Und ich glaube, sie hätte auf jeden Fall was dazu zu sagen gehabt, genauso wie zum Thema Trump, genauso wie zu den Womens Marches, ich glaube, da wär sie überall ganz vorne mit dabei gewesen.
Vielen Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt
Lechler: Warum hat sie bei aller Kühnheit und feministischen Haltung ihre Beziehungen zu Frauen wohl ihr Leben lang geheimgehalten?
Korbik: Ich glaube, das hat sie letztendlich auch ein bisschen bereut. Also es gibt ein interessantes Interview mit Alice Schwarzer, wo Alice Schwarzer sie eben auch ganz offen fragt - also gerade im Hinblick auf die Frauenbewegung und auf sie selber - 'was hätten Sie, Simone de Beauvoir, denn anders gemacht?' Und dann sagt Simone de Beauvoir, naja, ich hätte offener über meine Sexualität gesprochen, weil ich jetzt erst begriffen habe, durch die Frauenbewegungen in den 70er Jahren, dass das natürlich irgendwie einerseits Privatsache ist, andererseits, dass es eben auch wichtig ist, dass man das thematisiert. Aber was wir natürlich auch nicht vergessen dürfen ist, dass damals das natürlich noch ganz andere Zeiten waren. Also ich glaube, das Tabu war auch ziemlich groß, und Simone de Beauvoir war ja auch so schon vielen Angriffen ausgesetzt, vielen Anfeindungen. Sie wurde ja auch wirklich gehasst, das darf man auch nicht vergessen. Ich kann es ein bisschen nachvollziehen, dass sie da nicht offen drüber sprechen wollte.
"Sie konnte eine schwierige Persönlichkeit sein"
Lechler: Hatte sie denn auch Eigenschaften oder auch Ansichten, mit denen Sie, als Verehrerin, sich schwertun?
Korbik: Ja, absolut. Ich bin natürlich Verehrerin, aber ich sehe sie natürlich durchaus kritisch. Ich glaube, sie konnte eine schwierige Persönlichkeit sein. Und gerade zum Beispiel, wenn es um die Zeit im Zweiten Weltkrieg geht, im besetzten Paris, da war sie zum Beispiel einer jüdischen Freundin, die auch ihre Geliebte war, der gegenüber war sie extrem furchtbar, weil natürlich diese jüdische Freundin zurecht Angst um ihr Leben hatte und nicht wusste was passiert, und Simone de Beauvoir sie immer so ein bisschen als hysterisch und übertrieben dargestellt hat, wo man das natürlich heute liest und denkt, was ist denn da in sie gefahren, also das ist ja furchtbar.
Wir haben noch länger mit Julia Korbik gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Und ich glaube sie hat viele Sachen gemacht, wo sie auch sehr ruppig war. Also sie hatte ja auch so eine sehr eigene Art würde ich sagen. Und das hat mir auch mal eine Frau erzählt, die sie damals kannte in Paris, die damals selber eine junge Frau war, die meinte, ja, Simone de Beauvoir - wenn man nicht genau so schnell gesprochen hat wie sie und Sachen nicht genau so schnell begriffen hat wie sie, dann war man raus, also dann hat sie einen nicht mehr beachtet. Einige Ding, die sie gemacht hat, würde ich jetzt auch so nicht unterschreiben, aber das gehört natürlich auch dazu, sie war halt nicht perfekt.
"Ihre Gedanken sind heute noch wahnsinnig aktuell"
Lechler: Der Untertitel Ihres Buches ist "Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten". Warum also?
Korbik: Weil Simone de Beauvoir eine tolle Frau war. Weil sie Gedanken aufgeschrieben hat, die heute auch noch wahnsinnig aktuell sind. Weil sie philosophische Ideen erdacht hat und vor allem auch philosophische Ideen erdacht hat, die uns heute noch weiterhelfen können. Also sie hat schon damals danach gefragt, wie kann ich ein authentisches Leben führen? Was ist für mich wichtig im Leben? Und ich glaube, das sind Fragen, die sich auch heute noch viele Menschen stellen. Und vor allem hat sie auch einfach wahnsinnig schöne Bücher geschrieben. Und ich glaube, wir können noch wahnsinnig viel von ihr lernen, ob jetzt als Feministinnen, Philosophinnen, Schriftstellerinnen, oder generell als Mensch.
Lechler: Einstiegslektüre, nachdem wir Ihr Buch gelesen haben?
Korbik: Also ich mag ja besonders gerne "Sie kam und blieb", das Simone de Beauvoirs erster Roman, und ich glaube, der eignet sich auch ganz gut. Außerdem empfehle ich immer ganz gerne "Die Memoiren einer Tochter aus gutem Hause", das ist der erste Band ihrer Memoiren.
Lechler: "Oh, Simone! - Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten", ist als Rowohlt-Taschenbuch erschienen. Julia Korbik – danke für das Corsogespräch.
Korbik: Gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Julia Korbik: "Oh, Simone! - Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten"
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2017. 320 Seiten, 12,99 Euro.
Rowohlt-Verlag, Reinbek 2017. 320 Seiten, 12,99 Euro.