Doron Rabinovici hat ein Faible für Paradoxa: "Für uns heutzutage ist Heimat der Ort, an dem einem am fremdesten zumute ist."
Doron Rabinovici weiß, wovon er spricht. 1961 in Tel Aviv geboren, seit seinem vierten Lebensjahr in Wien wohnhaft, fühlt sich der Schriftsteller weder in Österreich noch in Israel so richtig zu Hause. Er sei von Ambivalenzen und Zerrissenheiten durchdrungen, behauptet der Schriftsteller von sich selbst. Das gilt auch und erst recht für Fragen der Politik - und Rabinovici ist ein politischer Mensch durch und durch. Schon vor einem Vierteljahrhundert, damals 25, zählte der Autor zu den umtriebigsten Anti-Waldheim-Aktivisten in Österreich. Und im Februar 2000 - nach dem Amtsantritt der umstrittenen Schüssel-Haider-Koalition - war Rabinovici einer der Organisatoren des Massenprotests gegen "Schwarz-Blau", der am 13. Februar des Jahres 2000 300.000 Menschen zu einer Großdemo auf den Wiener Heldenplatz brachte.
In Österreich, erzählt der Schriftsteller, sei er immer wieder gezwungen, die israelische Politik Punkten zu verteidigen. Sobald er aber eine El-Al-Maschine besteige, um nach Israel zu fliegen, gehe eine faszinierende Veränderung mit ihm vor.
"Wenn ich aussteige am Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv, dann radikalisiere ich mich stündlich. Es ist so, dass das, was ich dort sage, plötzlich etwas anderes bedeutet. Und umgekehrt. Man könnte ja glauben: Wahrheit bleibt Wahrheit. Aber nein, in Wirklichkeit leben wir in einer Welt, wo der eine Satz hier das Gegenteil von dem bedeuten kann, was er woanders heißt."
Soll heißen: In Österreich und Deutschland ist Rabinovici damit beschäftigt, die israelische Politik in kritischer Solidarität zu verteidigen, während er sich in Israel selbst gar nicht genug über Netanjahu und Figuren wie den Rechtspopulisten Avigdor Liebermann aufregen kann. Wahrheit, oder das, was man jeweils für Wahrheit hält, ist immer kontext-abhängig. Das muss auch die Hauptfigur in Rabinovicis Roman "Andernorts" erkennen. Ethan Rosen heißt der Mann - unverkennbar ein Alter Ego des Autors. Dr. Rosen ist Kulturwissenschafter an der Universität Wien, er lebt abwechselnd in Österreich und Israel, und als Angehöriger des intellektuellen Jet-Sets hat er in transnationalen Zeiten wie diesen so etwas wie eine "globalisierte Identität". Rabinovici schreibt über seinen Protagonisten:
Rosen war dafür bekannt, Deutsch, Hebräisch, Englisch und Französisch geschliffen zu formulieren. Nicht wenige waren beeindruckt, dass er Italienisch und Spanisch las und Arabisch verstand. Manche munkelten, seine Thesen und Theorien seien in Wirklichkeit nichts als Übersetzungen der vielen Gedanken, die er da oder dort aufschnappte. Er betreibe Import-Export-Geschäfte mit akademischen Ideen. Er profitiere davon, zwischen den Kontinenten und Kontinuitäten, zwischen den Regionen und Religionen umherzugeistern. Aber es war kein freundliches Interesse für die Welt, das ihn trieb. Seine Eingebungen und Ahnungen wurden von Angst gespeist. Ethans Misstrauen galt den Zivilisationen und Ideologien. Er schrieb an den Bruchlinien entlang.
"Es gibt solche Gestalten. Das ist ein Mensch, der überall auf der Welt zu Hause ist und nirgends daheim. Er kann unzählige Sprachen, er ist ein Kulturwissenschafter, der ganz unterschiedliche Kulturen kennt. Er ist in verschiedenen Ländern - nicht nur in Israel und Österreich - wissenschaftlich unterwegs, und er gerät überall, wo er ist, sogleich in Dissens zur Gesellschaft."
Dem zwanghaften Dissidenten Ethan Rosen stellt Rabinovici einen Antipoden gegenüber: den Wiener Judaisten Rudi Klausinger, einen grundsympathischen, allseits beliebten Erfolgs-Akademiker, der sich immer unverschämter in Rosens Leben drängt. Klausinger bewirbt sich um dieselbe Professur wie Rosen, er taucht plötzlich am Krankenbett von Rosens nierenkrankem Vater in Tel Aviv auf, und auch in Rosens Geliebte Noa scheint sich der flotte Klausinger zu vergucken.
Identitäts-Konfusionen und Doppelgänger-Motive aller Art - diese Sujets spielen schon in Rabinovicis früheren Büchern eine zentrale Rolle. Woher kommt des Autors Vorliebe für Protagonisten mit schwankender Identität?
"Ich glaube, es hat sicher etwas zu tun mit meinem Dasein als Melange, als Mischmasch verschiedener Länder. Aber es ist doch auch ein Thema unserer Zeit. Es ist ein Thema, das uns beschäftigt und auch beschäftigen muss: Die Frage, was uns ausmacht und wie vielfältig wir sind. Und die verschiedenen falschen und verrückten Antworten, die es auf diese Frage gibt."
Stichwort: verrückte Antworten. Rabinovicis Roman, so ernsthaft seine Thematik auch ist, dieser Roman ist gespickt mit philosophischen Slapstick-Einlagen von Woody-Allenscher Dimension. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit Rabbi Berkowitsch. Des Rabbis kabbalistische Studien haben ergeben, so will Rabinovici uns weismachen, dass der Messias im Jahr 1942 in einem galizischen Schtetl bereits gezeugt worden war. Allerdings wurde der vom jüdischen Volk so heiß ersehnte Erlöser - im Leib seiner schwangeren Mutter - von der SS ermordet. Und jetzt träumt Rabbi Berkowisch, selbst ein Shoa-Überlebender aus dem polnischen Schtetl, davon, den Messias mit den avanciertesten Methoden moderner Gentechnik zu "rekonstruieren", auf dass endlich Friede einkehre im Heiligen Land. Im Gespräch mit Ethan Rosen läßt Rabinovici den Rabbi erklären:
Es steht alles geschrieben... Der Text ist da. Die Paraphe Gottes liegt vor uns. Wir wissen viel über jenen Embryo, der getötet wurde. Jetzt geht es darum, die allernächsten Verwandten zu finden, die überlebt haben. Wir können dann mittels gentechnischer Verfahren und mit Unterstützung unserer talmudischen und kabbalistischen Lehren, vor allem aber mit Hilfe des Allmächtigen, das Experiment wagen. "Rabbi, sind Sie total meschugge?" sagte Ethan. "Sie wollen den Messias klonen? Wie Dolly, das Schaf?"
Der Messias aus der Retorte - durchgeknallter geht's wohl nicht mehr. Rabbi Berkowitsch und seine Jünger haben sich jedenfalls auf die Suche gemacht nach den nächsten überlebenden Verwandten des Erlösers, und die Spur führt - erraten: ausgerechnet zu Ethan Rosen. Ob der gefeierte Kulturwissenschafter sich eventuell zu einer Samenspende bereit erkläre, will der bizarre Rabbi wissen.
"Es ist etwas, das wir ja heute die ganze Zeit erleben. Es gibt so einen Rabbiner nicht, aber es gibt eine Menge geistige Würdenträger, die herumlaufen und die ältesten atavistischsten Überzeugungen mit den modernsten Methoden uns anhängen wollen. Wir sind ja umzingelt von Leuten, die die skurrilsten Verschwörungs-Theorien und die merkwürdigsten neuen Auslegungen uns präsentieren. Gestern bin ich angesprochen worden von zwei Mormoninnen aus Salt Lake City. Es vergeht eigentlich kein Tag, ohne dass wir uns damit konfrontieren müssen."
Dabei steht Doron Rabinovici der Figur des von ihm ersonnenen Rabbis durchaus ambivalent gegenüber.
"Er ist hochgradig meschugge. Abgesehen davon ist es aber so, dass er auch etwas sagt, das stimmt: nämlich dass viele Hoffnungen und viel Licht durch das, das da im letzten Jahrhundert passiert ist, ausgelöscht wurden. Und das sagt nicht nur mein Rabbiner, das sagen auch viele ernsthafte Leute."
Doron Rabinovicis Roman handelt bitterernste Fragen mit einem kräftigen Schuss überdrehten Humors ab. Das liest sich flott und unterhaltsam und macht - so wohlkonstruiert der Roman auch sein mag - einen wohltuend unangestrengten Eindruck.
Eine der zentralen Fragen, die Rabinovici aufwirft, ist die nach der Heimat. "Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben", hat Jean Amery einmal formuliert. Doron Rabinovicis tragikomische Protagonisten haben das nicht: Heimat. Ihre Heimat ist immer: "Andernorts".
Doron Rabinovici: "Andernorts". Suhrkamp-Verlag, Berlin, 286 Seiten, EUR 19,90
Doron Rabinovici weiß, wovon er spricht. 1961 in Tel Aviv geboren, seit seinem vierten Lebensjahr in Wien wohnhaft, fühlt sich der Schriftsteller weder in Österreich noch in Israel so richtig zu Hause. Er sei von Ambivalenzen und Zerrissenheiten durchdrungen, behauptet der Schriftsteller von sich selbst. Das gilt auch und erst recht für Fragen der Politik - und Rabinovici ist ein politischer Mensch durch und durch. Schon vor einem Vierteljahrhundert, damals 25, zählte der Autor zu den umtriebigsten Anti-Waldheim-Aktivisten in Österreich. Und im Februar 2000 - nach dem Amtsantritt der umstrittenen Schüssel-Haider-Koalition - war Rabinovici einer der Organisatoren des Massenprotests gegen "Schwarz-Blau", der am 13. Februar des Jahres 2000 300.000 Menschen zu einer Großdemo auf den Wiener Heldenplatz brachte.
In Österreich, erzählt der Schriftsteller, sei er immer wieder gezwungen, die israelische Politik Punkten zu verteidigen. Sobald er aber eine El-Al-Maschine besteige, um nach Israel zu fliegen, gehe eine faszinierende Veränderung mit ihm vor.
"Wenn ich aussteige am Flughafen Ben Gurion nahe Tel Aviv, dann radikalisiere ich mich stündlich. Es ist so, dass das, was ich dort sage, plötzlich etwas anderes bedeutet. Und umgekehrt. Man könnte ja glauben: Wahrheit bleibt Wahrheit. Aber nein, in Wirklichkeit leben wir in einer Welt, wo der eine Satz hier das Gegenteil von dem bedeuten kann, was er woanders heißt."
Soll heißen: In Österreich und Deutschland ist Rabinovici damit beschäftigt, die israelische Politik in kritischer Solidarität zu verteidigen, während er sich in Israel selbst gar nicht genug über Netanjahu und Figuren wie den Rechtspopulisten Avigdor Liebermann aufregen kann. Wahrheit, oder das, was man jeweils für Wahrheit hält, ist immer kontext-abhängig. Das muss auch die Hauptfigur in Rabinovicis Roman "Andernorts" erkennen. Ethan Rosen heißt der Mann - unverkennbar ein Alter Ego des Autors. Dr. Rosen ist Kulturwissenschafter an der Universität Wien, er lebt abwechselnd in Österreich und Israel, und als Angehöriger des intellektuellen Jet-Sets hat er in transnationalen Zeiten wie diesen so etwas wie eine "globalisierte Identität". Rabinovici schreibt über seinen Protagonisten:
Rosen war dafür bekannt, Deutsch, Hebräisch, Englisch und Französisch geschliffen zu formulieren. Nicht wenige waren beeindruckt, dass er Italienisch und Spanisch las und Arabisch verstand. Manche munkelten, seine Thesen und Theorien seien in Wirklichkeit nichts als Übersetzungen der vielen Gedanken, die er da oder dort aufschnappte. Er betreibe Import-Export-Geschäfte mit akademischen Ideen. Er profitiere davon, zwischen den Kontinenten und Kontinuitäten, zwischen den Regionen und Religionen umherzugeistern. Aber es war kein freundliches Interesse für die Welt, das ihn trieb. Seine Eingebungen und Ahnungen wurden von Angst gespeist. Ethans Misstrauen galt den Zivilisationen und Ideologien. Er schrieb an den Bruchlinien entlang.
"Es gibt solche Gestalten. Das ist ein Mensch, der überall auf der Welt zu Hause ist und nirgends daheim. Er kann unzählige Sprachen, er ist ein Kulturwissenschafter, der ganz unterschiedliche Kulturen kennt. Er ist in verschiedenen Ländern - nicht nur in Israel und Österreich - wissenschaftlich unterwegs, und er gerät überall, wo er ist, sogleich in Dissens zur Gesellschaft."
Dem zwanghaften Dissidenten Ethan Rosen stellt Rabinovici einen Antipoden gegenüber: den Wiener Judaisten Rudi Klausinger, einen grundsympathischen, allseits beliebten Erfolgs-Akademiker, der sich immer unverschämter in Rosens Leben drängt. Klausinger bewirbt sich um dieselbe Professur wie Rosen, er taucht plötzlich am Krankenbett von Rosens nierenkrankem Vater in Tel Aviv auf, und auch in Rosens Geliebte Noa scheint sich der flotte Klausinger zu vergucken.
Identitäts-Konfusionen und Doppelgänger-Motive aller Art - diese Sujets spielen schon in Rabinovicis früheren Büchern eine zentrale Rolle. Woher kommt des Autors Vorliebe für Protagonisten mit schwankender Identität?
"Ich glaube, es hat sicher etwas zu tun mit meinem Dasein als Melange, als Mischmasch verschiedener Länder. Aber es ist doch auch ein Thema unserer Zeit. Es ist ein Thema, das uns beschäftigt und auch beschäftigen muss: Die Frage, was uns ausmacht und wie vielfältig wir sind. Und die verschiedenen falschen und verrückten Antworten, die es auf diese Frage gibt."
Stichwort: verrückte Antworten. Rabinovicis Roman, so ernsthaft seine Thematik auch ist, dieser Roman ist gespickt mit philosophischen Slapstick-Einlagen von Woody-Allenscher Dimension. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit Rabbi Berkowitsch. Des Rabbis kabbalistische Studien haben ergeben, so will Rabinovici uns weismachen, dass der Messias im Jahr 1942 in einem galizischen Schtetl bereits gezeugt worden war. Allerdings wurde der vom jüdischen Volk so heiß ersehnte Erlöser - im Leib seiner schwangeren Mutter - von der SS ermordet. Und jetzt träumt Rabbi Berkowisch, selbst ein Shoa-Überlebender aus dem polnischen Schtetl, davon, den Messias mit den avanciertesten Methoden moderner Gentechnik zu "rekonstruieren", auf dass endlich Friede einkehre im Heiligen Land. Im Gespräch mit Ethan Rosen läßt Rabinovici den Rabbi erklären:
Es steht alles geschrieben... Der Text ist da. Die Paraphe Gottes liegt vor uns. Wir wissen viel über jenen Embryo, der getötet wurde. Jetzt geht es darum, die allernächsten Verwandten zu finden, die überlebt haben. Wir können dann mittels gentechnischer Verfahren und mit Unterstützung unserer talmudischen und kabbalistischen Lehren, vor allem aber mit Hilfe des Allmächtigen, das Experiment wagen. "Rabbi, sind Sie total meschugge?" sagte Ethan. "Sie wollen den Messias klonen? Wie Dolly, das Schaf?"
Der Messias aus der Retorte - durchgeknallter geht's wohl nicht mehr. Rabbi Berkowitsch und seine Jünger haben sich jedenfalls auf die Suche gemacht nach den nächsten überlebenden Verwandten des Erlösers, und die Spur führt - erraten: ausgerechnet zu Ethan Rosen. Ob der gefeierte Kulturwissenschafter sich eventuell zu einer Samenspende bereit erkläre, will der bizarre Rabbi wissen.
"Es ist etwas, das wir ja heute die ganze Zeit erleben. Es gibt so einen Rabbiner nicht, aber es gibt eine Menge geistige Würdenträger, die herumlaufen und die ältesten atavistischsten Überzeugungen mit den modernsten Methoden uns anhängen wollen. Wir sind ja umzingelt von Leuten, die die skurrilsten Verschwörungs-Theorien und die merkwürdigsten neuen Auslegungen uns präsentieren. Gestern bin ich angesprochen worden von zwei Mormoninnen aus Salt Lake City. Es vergeht eigentlich kein Tag, ohne dass wir uns damit konfrontieren müssen."
Dabei steht Doron Rabinovici der Figur des von ihm ersonnenen Rabbis durchaus ambivalent gegenüber.
"Er ist hochgradig meschugge. Abgesehen davon ist es aber so, dass er auch etwas sagt, das stimmt: nämlich dass viele Hoffnungen und viel Licht durch das, das da im letzten Jahrhundert passiert ist, ausgelöscht wurden. Und das sagt nicht nur mein Rabbiner, das sagen auch viele ernsthafte Leute."
Doron Rabinovicis Roman handelt bitterernste Fragen mit einem kräftigen Schuss überdrehten Humors ab. Das liest sich flott und unterhaltsam und macht - so wohlkonstruiert der Roman auch sein mag - einen wohltuend unangestrengten Eindruck.
Eine der zentralen Fragen, die Rabinovici aufwirft, ist die nach der Heimat. "Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben", hat Jean Amery einmal formuliert. Doron Rabinovicis tragikomische Protagonisten haben das nicht: Heimat. Ihre Heimat ist immer: "Andernorts".
Doron Rabinovici: "Andernorts". Suhrkamp-Verlag, Berlin, 286 Seiten, EUR 19,90