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Überfall und Angst in "Joburg”

Vladislavics literarische Johannesburg-Hommage besteht aus 138 kurzen oder längeren persönlichen Erinnerungen, Orts- und Sachbeschreibungen, Porträts von befreundeten Künstlern, gewitzten Dieben, arroganten Wachleuten und diskreten oder selbstbewusst fordernden Bettlern.

Von Wolfram Schütte |
    Die südafrikanische Achtmillionenmetropole Johannesburg ist wohl auf einer Landkarte der Weltliteratur nicht zu finden. Auch zählt sie in keiner anderen kulturellen Hinsicht zu den bemerkenswerten Städten der Welt - außer in einer statistischen: Johannesburg ist immer wieder mit dem brasilianischen Rio de Janeiro in die Konkurrenz um die mundial höchste Kriminalitätsrate getreten. "Macht man einem Haus Angst, indem man es mit einer Alarmanlage sichert, dann benimmt es sich ziemlich aggressiv”.

    Mit dieser Stephen King nahen Bemerkung beginnt denn auch der 1957 in Pretoria geborene Schriftsteller & Kunstkritiker Ivan Vladislavic sein ebenso stoisches wie witziges Buch "Johannesburg. Insel aus Zufall”. Es wird auf ihr nicht die einzige Stelle sein, die sich auf Angst, Alarm, Bewachung, Überfall oder Mord in "Joburg” bezieht. Denn das wirtschaftliche Zentrum Südafrikas ist erst recht nach dem Ende des Apartheid-Regimes ein schwelender Brennpunkt auf dem sozialen Konfliktfeld der minoritär weißen und majoritär schwarzen Bevölkerung geworden.

    Kein Wirtschaftszweig ist in Südafrika seit 1999 schneller gewachsen, als der private Sicherheitssektor, der mit seinen 350.000 Beschäftigten fast dreimal so groß ist wie die Zahl der 127.000 Polizisten. Aber jeder muss auch für sich selbst vorsorgen.

    Eine schwedische Journalistin, die den Kollegen besucht, ist ganz versessen darauf, Vladislavics monströses Schlüsselbund zu fotografieren. Es sind 17 Stück, wie der Autor bemerkt, "deren Bärte alle in dieselbe Richtung zeigen. Wie Soldaten beim Appell”, die von ihm zum Schutz von Haustüren (innen & außen) Fenstern, Keller, Garage, Auto, Lenkrad oder Briefkasten aufgerufen werden können. Und dennoch wurde ihm das Auto gestohlen oder einmal, als dem Heimkehrenden ein Wildfremder im Vorgarten versichert, er habe Diebe vertrieben, stand er nur Schmiere, damit sie im Haus fündig werden konnten. Dabei ist bei dem bescheiden lebenden Intellektuellen nichts zu holen - außer vielleicht wertlose Erinnerungsstücke, wie die gesammelten Anstecknadeln seines bei der Bahn beschäftigten Großvaters.

    Vladislavics literarische Johannesburg-Hommage besteht aus 138 kurzen oder längeren persönlichen Erinnerungen, Orts- und Sachbeschreibungen, Porträts von befreundeten Künstlern, gewitzten Dieben, arroganten Wachleuten und diskreten oder selbstbewusst fordernden Bettlern.

    Es sind originelle Reflexionen und melancholische Essays, die der seit Anfang der Siebziger Jahre in Johannesburg lebende Autor über einen Zeitraum von 8 Jahren zu verschiedenen Anlässen, zum Beispiel als Begleittexte zu Architektur- und Fotobüchern, geschrieben und 2006 zu dem vorliegenden Buch versammelt hat. In dessen Index eröffnet der Autor dem Leser eine Vielzahl von unterschiedlichen Lektürepfaden, anhand von Begriffen wie "Alter”, "Bettler und Verkäufer”, "Gärten”, "Körpersprache”, "Sicher und Solide” oder "Wände/Mauern”, sich systematisch durch die kaleidoskopisch ineinander geworfenen Zyklen seiner Bemerkungen zu bewegen.

    Reizvoller aber ist es, sich einfach dem von ihm erstellten farbigen Mosaik seiner bizarren Stadt-Evokationen zu überlassen. Denn sie folgen dem Ratschlag Walter Benjamins, sich in einer Stadt wie in einem Wald zu verirren.

    Manchmal sieht man dabei jedoch "den Wald vor Bäumen” nicht, wenn Vladislavic bestimmte Straßen, Orte oder Stadtviertel erwähnt, die einem Johannesburger geläufige Synonyme für lokale, soziale & ethnische Eigenheiten bedeuten mögen, einem deutschen Leser aber, der nie dort gelebt hat, Hekuba sind und bleiben. Vielleicht ist aber solches Lokalkolorit als Authentizitätsausweis nötig, um die punktuellen Beobachtungen & Betrachtungen, die davon provoziert wurden, für die "Joburgs” zu verorten.

    Die Stoffe, aus denen der Autor sein buntscheckiges literarisches Patchwork zusammensetzt, entstammen sowohl seiner Biografie, als auch dem scharf beobachteten städtischen Alltag, den baulichen Veränderungen und dem harten Lebens- & Überlebenskampf an den sozialen Rändern der südafrikanischen Metropole, an denen sich Vladislavic aufhält. Aus der Fülle seiner persönlichen Fundstücke entwickelt Vladislavic intensive Momentaufnahmen und ergreifende Denkbilder von einer urbanen Gesellschaft im unerklärten Belagerungszustand.

    So unbekannt und fern einem als deutscher Leser Johannesburg gewesen sein mag, so nah und intim rückt einem Ivan Vladislavics literarische Bildersammlung sein "Joburg” vor Augen, das durch ihn nun doch ein kleiner Leuchtfleck auf der Landkarte der Weltliteratur geworden ist.

    Ivan Vladislavic: Johannesburg. Insel aus Zufall. Aus dem Englischen von Thomas Brückner. A1 Verlag, München 2008. 296 Seiten, 19 Euro