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Übergangsmaßnahmen
Chance oder Warteschleife?

Die Suche nach einer Ausbildungsstelle ist für viele Jugendliche frustrierend. Viele versuchen deshalb durch eine Übergangsmaßnahme im Berufsleben Fuß zu fassen. Im vergangenen Jahr waren dies bundesweit 256.100 Jugendliche. Doch die Meinungen über die Maßnahme gehen auseinander.

Von Stephanie Kowalewski |
    Ein Zettel mit der Aufschrift "Ausbildung" liegt am 16.07.2015 in einem Klassenzimmer auf einem Tisch vor einer Schülerin einer zehnten Klasse des Eugen-Bolz-Gymnasium in Rottenburg (Baden-Württemberg).
    Für längst nicht alle Jugendlichen verläuft der Weg von der Schule in die Ausbildung gradlinig und reibungslos. (picture-alliance/ dpa / Wolfram Kastl)
    Im Computerraum des Jugendförderungswerks der Kreishandwerkerschaft Mönchengladbach feilt Lisa Storms gerade mit der Betreuerin Christa Breymann an ihrer Bewerbung.
    "Jetzt schauen wir uns mal das Deckblatt an. Gut, das ist eine Festnetznummer, ich würde hier noch die Mobilnummer ergänzen."
    Die Ausbildungsstelle zur Fachpraktikerin im Bereich Küche in einem Altenheim hat die 18-jährige Hauptschülerin schon so gut wie in der Tasche, freut sie sich. Ausschlaggebend war vor allem das Praktikum, dass ihr das Jugendförderungswerk dort vermittelt hat, sagt sie. Und überhaupt die Hilfe bei so ziemlich allem, was die Jobsuche und den Alltag angeht.
    "Wenn ich das hier nicht hätte, dann hätte ich das mit der Ausbildung gar nicht geschafft und wäre jetzt wahrscheinlich nirgendwo – also zu Hause."
    Christa Breymann nickt. Seit 20 Jahren arbeitet sie nun schon im Übergangssystem. Dazu zählen all jene meist einjährigen Bildungsangebote, in denen Jugendliche nach der Schule bestenfalls so gefördert werden, dass sie danach entweder einen Schulabschluss nachholen oder eine Ausbildung beginnen können. Der Erfolg einer solchen Maßnahme, sagt Christa Breymann, hängt zunehmend mehr von der intensiven persönlichen Betreuung der Jugendlichen ab.
    "Es ist nicht nur die Bewerbungsunterlagen anfertigen, es ist nicht nur die Hilfe bei der Praktikumssuche, es ist nicht nur die praktische Qualifizierung, sondern es ist ganz viel Unterstützung in vielfältigen sozialen und privaten Problemen: Geldsorgen, Wohnungssorgen, Probleme im Elternhaus. Das macht eigentlich 50 Prozent unseres Jobs aus."
    Neigungen, Interessen und Möglichkeiten werden geprüft
    Viel Zeit und Raum nimmt auch die Potenzialanalyse ein – also welche Neigungen, Interessen und Möglichkeiten hat ein Jugendlicher und welcher Beruf passt dementsprechend zu ihm. Das alleine herauszufinden, ist für die meisten Jugendlichen extrem schwer, weiß Sonja Niehaus vom Bildungszentrum Niederrhein in Dormagen.
    "In diesem Übergangsmanagement hat man die Möglichkeit viele verschiedene Wege zu gehen, sich praktisch zu erproben, im Praktikum den Beruf kennenzulernen, um sich dann wirklich sicher zu entscheiden."
    Darauf hofft auch Kevin Dobrowolski. Der 19-jährige mit Realschulabschluss hat schon zwei Ausbildungen in unterschiedlichen Bereichen abgebrochen, weil sie einfach nicht sein Ding waren, sagt er.
    "Tja, deswegen sitze ich auch hier, um halt zu wissen, in welche Richtung ich gehen kann. Und ich hab jetzt schon zwei Richtungen gefunden: einmal den Pflegebereich und einmal den Einzelhandelbereich."
    Jetzt sucht er gemeinsam mit seiner Betreuerin beim Dormagener Weg geeignete Praktikumstellen, übt Vorstellungsgespräche und Einstellungstests. So eine Hilfe hätte er sich schon vor Jahren gewünscht.
    "Hätte ich früher gewusst, dass es hier den Dormagener Weg gibt, dann wäre es glaube ich auch viel leichter gewesen. Ja, das habe ich halt schon vermisst. Jetzt bin ich zum Glück hier und ich hoffe, dass jetzt alles anders wird."
    "Kein Abschluss ohne Anschluss"
    Damit Jugendliche wie er künftig schneller ans Ziel kommen, setzt das Land NRW jetzt auf das einheitliche Übergangssystem "Kein Abschluss ohne Anschluss". Ein prinzipiell richtiger Schritt, findet Bernd Lange, Geschäftsführer des Mönchengladbacher Jugendförderwerks.
    "Also die Idee ist insofern ganz gut, weil der Menge an Einzelmaßnahmen von verschiedenen Finanziers, ob Agentur für Arbeit, oder Land oder Bund, eine Struktur gegeben wird, sodass man eine Übersicht bekommt. Und ich glaube, das ist auch schon viel, viel besser geworden dadurch."
    Manches ist allerdings auch schlechter geworden, sagen er und seine Kollegin Sonja Niehaus vom Dormagener Weg. So sieht das NRW- Übergangssystem unter anderem vor, dass jetzt alle – und nicht wie bisher nur vermeintlich bedürftige Schüler - ab der 8. Klasse eine Beratung zur Berufsorientierung samt Praxisphasen bekommen, doch statt neunTagen Praxis, sind es jetzt nur noch drei Tage.
    "Was sicherlich nicht positiv ist, weil eine Berufserkundung in drei Berufsfeldern an jeweils drei einzelnen Tagen nicht sehr aussagekräftig ist, auch nicht für die jungen Leute, die da sich erkunden wollen./ Es ist ein gutes Programm um einen ersten Zugang zu seinen Fähigkeiten und Potenzialen, die in einem schlummern, zu entdecken. Ich persönlich bedauere leider, dass aufgrund der Masse der Schüler die Qualität leidet."
    Die wird sowieso von vielen Experten kritisiert. Das Übergangssystem sei mehr eine Sackgasse als ein Türöffner, mehr Warteschleife als Chance. Die betroffenen Jugendlichen sehen das meist ganz anders. Auch Aymann El Aboussi. Er machte das Fachabitur, hatte einen Ausbildungsplatz sicher. Dann schmiss er die Schule, wollte direkt in die Lehre - und verlor beides. Ein Jahr lang hat er sich erfolglos um eine Ausbildungsstelle beworben, sagt der 21-Jährige, bevor er zum Jugendförderungswerk kam. Vor allem die wochenlangen Praktika in verschiedenen Betriebe haben ihm geholfen, sagt er, und ihn in seiner Berufswahl bestärkt.
    "Dann hab ich fünf Bewerbungen abgeschickt und wurde dann bei allen wirklich eingeladen. Und hab da auch meinen Test geschrieben, meinen Eignungstest, und drei Zusagen bekommen."
    Im Herbst beginnt er eine Lehre als Elektrotechniker in einem weltweit agierenden Unternehmen. Wie viele Jugendliche die Übergangsmaßnahme so erfolgreich abschließen, weiß keiner. Statistische Zahlen gibt es nicht. Dafür seien die Programme zu unterschiedlich heißt es.