Derzeit wird ermittelt, ob die Gewalttat in Idar-Oberstein wegen eines Streits über die Maskenpflicht verübt worden ist. Ein 49-Jähriger hat dort einem 20-jährigen Verkäufer in einer Tankstelle in den Kopf geschossen. Auch jenseits dieses Falles sind viele Personen, die im Dienstleistungsbereich oder im öffentlichen Sektor arbeiten, seit Beginn der Pandemie massiven Anfeindungen im Zusammenhang mit bestehenden Corona-Maßnahmen ausgesetzt. Die Eskalation gipfelte letztes Jahr im Juni in Frankreich darin, dass dort ein Busfahrer nach Übergriffen an seinen Verletzungen gestorben ist. Auch in Deutschland wurde zu der Zeit Personal im öffentlichen Personenverkehr brutal zusammengeschlagen.
Hohe Akzeptanz der Corona-Maßnahmen im Personenverkehr
"Da waren wir alamiert", sagt Volker Nüsse von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Situation habe sich seither aber verbessert. Die Akzeptanz der Corana-Maßnahmen sei bei den Fahrgästen öffentlichen Personenverkehr deutlich gestiegen. Festzustellen sei allerdings, so Nüsse weiter, dass Konflikte vor allem dann auftreten, wenn Bahn- oder Busfahrende alkoholisiert sind. Deshalb häuften sich die Eskaltionen gegen Abend. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sei deshalb der Auffassung, dass die Durchsetzung der Maßnahmen bei der Polizei oder bei geschultem Sicherheitspersonal liegen müsse. "Die Maßgabe aber an die Beschäftigten ist stets, wenn es zu einer Konfliktsituation kommt, dann, bitte, nehmt euch aus dieser Situation raus, das ist nicht eure Aufgabe, hier bis zum letzten die Maskenpflicht durchzusetzen," sagte Volker Nüsse.
Auch die Arbeitgeber teilten diese Auffassung und informierten ihre Beschäftigten, dass es nicht deren Aufgabe sei, diese Konflikte bis zum Letzten zu führen, sondern den Ordnungsdienst oder die Polizei zu rufen. Gleichwohl sei die Maskenpflicht für den ÖPNV wichtig, sowohl für den Gesundheitsschutz der Fahrgäste und als auch der Beschäftigten, betonte Nüsse. Seiner Auffassung nach müssten die Corona-Regeln seitens der Politik strenger kommuniziert werden.
Das Interview in voller Länge
Josephine Schulz: Wie nehmen Sie das wahr? Wie verbreitet sind diese Anfeindungen wegen der Umsetzung von Corona-Regeln gegen Mitarbeiter?
Nüsse: Diese Anfeindungen und Übergriffe, das begleitet uns seit Beginn der Pandemie oder seitdem die entsprechenden Schutzmaßnahmen eingeführt wurden, wobei der Schwerpunkt auf jeden Fall im Sommer des vergangenen Jahres liegt mit der Einführung der Maskenpflicht und auch weiterer Regelungen und dann später einer mehr oder weniger einheitlichen Bußgeldregelung in den Bundesländern. Da kam es zu einer sehr starken Häufung von Übergriffen gegen Personal im öffentlichen Personennahverkehr, insbesondere in Bussen und auch in den Bahnen. Das hat uns von Anfang an sehr stark alarmiert, insbesondere nach einem großen Ereignis, was uns alle aufgerüttelt hat, im Juni, dass ein Kollege in Frankreich nach einem Übergriff an den Verletzungen gestorben ist, und gleichzeitig auch in Deutschland wir es erlebt haben, dass einige Kollegen wirklich brutal zusammengeschlagen wurden.
Vorkomnisse nicht mehr so eskalativ
Schulz: Ich wollte Sie gerade fragen. Was hören Sie da von den Mitarbeitern? Welche Formen nimmt das an? Wird es tatsächlich auch oft gewalttätig?
Nüsse: Ja. Diese Situationen sind schon von Anfang an sehr konfliktgeladen. Die Fahrgäste oder Maskenverweigerer steigen ja in dem Fall schon in den Bus und es ist vielleicht nicht das erste Mal, dass sie diese Auseinandersetzung haben, sondern sie haben das an vielen Stellen und da gibt es, glaube ich, eine niedrige Schwelle hin zur Eskalation. Sie erreichen mich heute auf einer Tagung mit Beschäftigten aus verschiedenen ÖPNV-Betrieben und wir haben vorhin noch mal aus Anlass dieses Ereignisses am Wochenende eine Runde dazu gemacht und stellen fest, dass sich die Situation da schon geändert hat im Vergleich zum letzten Jahr.
Schulz: Im positiven Sinne verändert hat?
Nüsse: Im positiven Sinne verändert. Es gibt weiterhin Vorkommnisse, aber die sind nicht mehr so schwer eskalativ und auch nicht mehr so häufig.
Mehr Alkohol, mehr Konflikte
Schulz: Jetzt sind ja Menschen im Dienstleistungsbereich allgemein, aber auch im öffentlichen Nahverkehr immer an vorderster Front, was möglicherweise den Frust von Menschen angeht. Kann man dieses Aggressionspotenzial dann wirklich ganz klar mit der Corona-Pandemie in Verbindung
bringen?
bringen?
Nüsse: Unsere Wahrnehmung ist auch in den Betrieben, dass feststellbar ist, dass diese Konflikte vor allem auftreten, wenn Alkohol im Spiel ist. In den Abendstunden ist das häufig eher der Fall. Da ist auf jeden Fall eine Verschärfung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie festzustellen. Das ist, glaube ich, nicht von der Hand zu weisen. Aber es ist auch festzustellen, dass über die verschiedenen Wellen, die wir ja alle durchgemacht haben, auch die Akzeptanz für die Maßnahmen in der Bevölkerung gestiegen ist. Das ist zumindest das, was die Kollegen aus den Betrieben berichten. Viele Verkehrsbetriebe sprechen von fast hundertprozentiger Einhaltung der Maskenpflicht. Diese Sicht haben wir nicht, aber es gibt schon eine hohe Akzeptanz und auch eine Bereitschaft der Menschen, der Fahrgäste, diese Schutzmaßnahmen mitzutragen – wahrscheinlich auch zum Eigenschutz. Dann bleibt vielleicht noch ein harter Kern übrig, bei dem es dann auch schnell eskalieren kann.
Busfahrer können Maßnahmen nicht durchsetzen
Schulz: Auch wenn Sie sagen, das ist jetzt besser geworden, trotzdem die Frage: Wie gehen denn die Mitarbeiter damit um? Was hören Sie? Hat das dann auch teilweise psychische Auswirkungen, dass die Mitarbeiter aus Angst sich vielleicht krankschreiben lassen, nicht mehr zur Arbeit kommen wollen?
Nüsse: Der Umgang damit war tatsächlich auch Streitpunkt im Verlauf der Pandemie. Zu Beginn, als die Maskenpflicht eingeführt wurde, war nicht klar, wer jetzt eigentlich dafür zuständig ist, diese durchzusetzen, und es gab da durchaus Bestrebungen, das dem Fahrpersonal, den Busfahrern oder den Zugbegleitern zu überlassen, diese Infektionsschutzmaßnahme höchster Güte dann vor Ort durchzusetzen. Da haben wir aber Stellung dagegen bezogen, denn es kann nicht sein, nehmen wir jetzt mal den Busfahrer, dass er noch während seiner Tätigkeit darauf achten muss, dass die Masken getragen werden. Er müsste ja den Bus anhalten und das ist nicht zumutbar. Außerdem ist der Busfahrer an seinem Arbeitsplatz hinterm Steuer auch potenziellen Angriffen ziemlich schutzlos ausgesetzt.
Schulz: Die Frage ist, wer soll es dann machen? Man kann wahrscheinlich nicht in jeden U-Bahn-Waggon, in jeden Bus einen Polizisten oder eine Polizistin stellen.
Nüsse: Die Durchsetzung muss aber bei der Polizei liegen oder bei geschultem Sicherheitspersonal und da gibt es ganz unterschiedliche Umgehensweisen damit. Wir sehen in einigen Bundesländern, dass dort mehr und kontinuierlich kontrolliert wird; in anderen gibt es vielleicht mal eine Schwerpunktkontrolle, die vor allem über die Medien wirken soll. Das wird tatsächlich sehr unterschiedlich umgesetzt und durchgesetzt. Die Maßgabe aber an die Beschäftigten ist stets, wenn es zu einer Konfliktsituation kommt, dann, bitte, nehmt euch aus dieser Situation raus, das ist nicht eure Aufgabe, hier bis zum letzten die Maskenpflicht durchzusetzen, sondern dann schaltet die entsprechenden Stellen ein, Sicherheitsdienst oder Polizei.
Schulz: Das ist natürlich sehr verständlich. Auf der anderen Seite – so zumindest mein Eindruck aus dem ÖPNV – ist es so, dass dadurch die Maßnahmen in der Regel gar nicht kontrolliert werden. Das ist ja auch ein Problem.
Nüsse: Ja, das ist ein Problem, und das setzt dann bei den Ordnungsbehörden an.
Den Bus zur Not anhalten und die Polizei rufen
Schulz: Was ist denn Ihr Eindruck auf Seiten der Arbeitgeber? Wenn solche Anfeindungen passieren, wie unterstützen oder schützen die Arbeitgeber die Mitarbeiter im ÖPNV?
Nüsse: Ich denke, die Arbeitgeber teilen diese Auffassung und informieren die Beschäftigten auch in der Weise, dass es nicht ihre Aufgabe ist, diese Konflikte bis zum letzten zu führen, sondern den Ordnungsdienst zu rufen, den Sicherheitsdienst zu rufen, die Polizei und den Bus gegebenenfalls anzuhalten und sich aus dieser Situation rauszunehmen. Insofern haben wir da schon eine Unterstützung. Das ist auch von Verkehrsunternehmen zu Verkehrsunternehmen unterschiedlich. Wenn mal jemand die Maske vergessen hat, bei manchen Unternehmen gibt es noch einen Schwung Masken im Bus, die dann ausgeteilt werden können. Das wird unterschiedlich gehandhabt. Aber wir sind schon mal erleichtert darüber, dass es nicht den Druck gibt, dass die Beschäftigten da in der ersten Reihe stehen müssen, um diese Maskenpflicht durchzusetzen. Gleichwohl ist die Maskenpflicht natürlich für den ÖPNV wichtig, für den Gesundheitsschutz der Fahrgäste und auch der Beschäftigten natürlich.
Schulz: Sie sagen jetzt, dass die Mitarbeiter zumindest im ÖPNV dann doch nicht an vorderster Front stehen, um das durchzusetzen. Aber natürlich gibt es diese Anfeindungen trotzdem in anderen Bereichen vielleicht auch noch mal mehr, in der Gastronomie etwa. Was würden Sie denn sagen, wie kann man denn die Mitarbeiter da besser unterstützen und auch schützen?
Nüsse: Ich glaube, das ist eine Frage, darauf kann man auf vielen Ebenen antworten. Mir ist einmal eine Schlagzeile aufgefallen; ich finde, daraus geht schon viel hervor. Es gibt immer diesen Begriff von den Maskenmuffeln und so wurde wirklich über die ganze Zeit der Pandemie diese Maskenverweigerung tituliert. Der Morgenmuffel ist die Vorlage dafür; der will nicht aus dem Bett und noch ein bisschen liegen bleiben und ist dann vielleicht ein bisschen muffelig, aber doch ganz sympathisch. Mit so einer sympathischen Konnotation wird diese Maskenverweigerung betitelt, und ich glaube, das ist zu viel Akzeptanz, die wir diesem Spektrum da entgegenbringen. Ich glaube, es ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte, verknüpft auch mit den Fragen Impfung, Infektionsschutz und wie wir gesellschaftlich mit dieser Pandemie umgehen. Da müssen wir, glaube ich, alle vielleicht ein bisschen klarer kommunizieren, was der beste Weg ist, um aus der Pandemie rauszukommen.
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