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Übergriffe in Köln
"Es ist unangemessen, Frauen Verhaltensvorschläge zu machen"

Die Politik hat dafür zu sorgen, dass sexuelle Übergriffe ernst genommen und verfolgt werden, fordert die Journalistin und Politologin Antje Schupp im Deutschlandfunk. Die deutschen Innenstädte seien zwar nicht No-go-areas für Frauen, aber sie seien auch keine sicheren Gegenden. Man müsse überall mit sexualisierter Gewalt rechnen – im öffentlichen aber auch im privaten Raum.

Antje Schrupp im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Ein Trainer und eine Spielerin beim Fußballtraining
    Verhaltensvorschläge: Sollen Frauen auf Abstand gehen? (afp / Patrik Stollarz)
    Sandra Schulz: In den kommenden Minuten wollen wir auf einen Punkt schauen, der natürlich in der Diskussion auch eine wichtige Rolle spielt: Die Opfer waren offenbar ganz überwiegend Frauen. Es geht unter anderem um Sexualdelikte, und von einer Vergewaltigung geht die Polizei derzeit aus. Darüber habe ich vor der Sendung mit der Journalistin und Politologin Antje Schrupp gesprochen und gefragt, was die Übergriffe von Köln für Frauen jetzt heißen.
    Antje Schrupp: Die heißen jetzt nichts anderes als früher, dass öffentliche Ansammlungen von Menschen, vor allen Dingen, wenn Alkohol im Spiel ist und Männer dabei sind, kein sicherer Ort sind in Deutschland, und auch anderswo nicht.
    "Man muss überall mit sexualisierter Gewalt rechnen"
    Schulz: Also deutsche Innenstädte No-go-areas für Frauen?
    Schrupp: No-go-area nicht, wir können da überall hingehen, aber sie sind keine sicheren Gegenden für Frauen. Das heißt ja nicht, dass wir wegbleiben können oder sollten. Aber man muss eben überall mit sexualisierter Gewalt rechnen, übrigens ja auch, wenn man nicht rausgeht, weil wir ja alle wissen, dass die Mehrzahl sexueller Übergriffe innerhalb von Privaträumen stattfindet, innerhalb von Familien. Also egal, ob wir rausgehen oder zu Hause bleiben, es ist immer gefährlich.
    Schulz: Das heißt aber, diese Übergriffe, wie sie jetzt aus Köln gemeldet werden, die sind aus Ihrer Sicht, anders als die Einschätzungen, die wir ja aus der Bundespolitik gehört haben, die sind für Sie keine neue Dimension?
    Schrupp: Ich weiß ja gar nicht genau, was passiert ist. Ich habe versucht, heute herauszufinden, wie viele von den 90 bisher gemeldeten Strafanzeigen überhaupt sexuelle Übergriffe beinhalten. Die erste Nachricht war von den ersten 60, von denen bis gestern die Rede war, waren ein Viertel, also 15 Sexualdelikte. Von den jetzt 30 dazugekommenen war es mir nicht möglich, herauszufinden, auch durch Anfragen über Twitter an die Polizei in Köln. Das heißt, wir müssen von 15 bis vielleicht 30, 40 Sexualdelikten ausgehen, und das ist auch das, was innerhalb von einer Woche auf dem Oktoberfest locker passiert. Von daher ist mir bisher noch nicht einleuchtend, warum es in dieser Hinsicht eine neue Dimension sein soll. In Bezug auf organisierte Taschendiebstahlsachen ist es vielleicht eine neue Dimension, weil da ja offensichtlich das tatsächlich ein verabredetes Vorgehen war, also wo die Menschenansammlungen in Köln genutzt wurden, um möglichst viele Handys, Geldbörsen und so weiter zu klauen.
    Schulz: Das heißt, Ihnen ist das auch alles ein bisschen zu viel Aufregung?
    Schrupp: Man kann sich über sexuelle Gewalt nie genügend aufregen. Ich finde das gut, dass sich jetzt aufgeregt wird. Man sollte sich halt bei allen Anlässen und immer darüber aufregen, und vor allen Dingen sollte man sich bemühen, auch die wirklichen Ursachen zu ergründen und jetzt nicht pauschal zu sagen, irgendwie, Männer, die nordafrikanisch aussehen, machen so was halt.
    "... wir müssen dafür sorgen, dass der öffentliche Raum und der private Raum sicher sind für Frauen"
    Schulz: Jetzt reagiert die Stadt Köln ja mit einem neuen Sicherheitskonzept, und offensichtlich gibt es auch einen Katalog von Verhaltensvorschlägen, ich will nicht sagen Verhaltensregeln, aber es ist genau das, was Frauen eigentlich nicht wollen, nämlich Verhaltensregeln oder Verhaltensvorschläge bekommen.
    Schrupp: Ja, das ist natürlich Blödsinn, die eine Armlänge, die wir jetzt Abstand halten sollen vor fremd aussehenden Männern, die ist ja auch schon der Witz auf Twitter. Das ist ja wirklich an Blödsinn fast nicht mehr zu überbieten. Natürlich ist das ganz unangemessen, Frauen Verhaltensvorschläge zu machen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass der öffentliche Raum und der private Raum sicher sind für Frauen. Das bedeutet, dass auch zum Beispiel, wenn sie etwas bemerken, wenn sie um Hilfe rufen, wenn sie sich wehren, dass sie dann auch unterstützt werden. Ich kann mir zum Beispiel auch noch nicht erklären, wieso die Kölner Polizei herausgegeben hätte, es sei eine ruhige Nacht gewesen, in der nichts passiert sei. Wenn tatsächlich da marodierende Männer Frauen übergriffig angegriffen hätten, dann kann ich mir nicht erklären, wieso die Polizei davon nichts mitbekommen hatte. Das sind so viele Unklarheiten, dass man eigentlich von außen das momentan noch nicht abschließend beurteilen kann.
    Schulz: Ja, die Äußerung speziell ist inzwischen ja auch als Fehleinschätzung zurückgenommen worden. Aber wenn wir jetzt noch mal bei diesen Verhaltensregeln, bei diesen Verhaltensvorschlägen bleiben – wenn Sie sagen, das sei ein absoluter Witz, was da jetzt gesagt wird, dann ist das für mich ein gewisser Widerspruch dazu, dass Sie eben aber sagen, Sicherheit für Frauen gibt es aber nicht. Wieso sollen Frauen dann nicht auf Nummer sicher gehen.
    Schrupp: Ja, natürlich sollen Frauen auf Nummer sicher gehen, und jede Frau hat auch wahrscheinlich Strategien, wie sie damit umgeht. Die einen machen Taekwondo, um sich im Zweifelsfall wehren zu können, die anderen meiden vielleicht tatsächlich bestimmte Orte. Aber diese Entscheidung muss man den einzelnen Frauen selbst überlassen, wie sie sich verhalten angesichts dieser Tatsache, dass es eben keine sicheren Räume gibt. Da hat die Politik sich nicht einzumischen. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass sexuelle Übergriffe ernst genommen werden und dass sie verfolgt werden und dass Frauen, die so was anzeigen, dass denen geglaubt wird. Aber es ist auch nicht nur eine Aufgabe der Politik, sondern es ist auch eine Aufgabe der Menschen allgemein. Greift man ein, wenn man so was beobachtet? Lässt man irgendwie anzügliche Witze zu? Es ist ein ganzes Klima, das dazu führt, dass Männer sich dazu berechtigt fühlen, Frauen anzugreifen.
    Schulz: Jetzt gibt es eine Diskussion darüber, weil Sie gerade die anzüglichen Witze ansprechen, wo denn eigentlich der Aufschrei bleibe. Das fragt zum Beispiel auf Twitter der CDU-Politiker Jens Spahn. Er sagt, jetzt herrsche, nach diesem Vorfall, betretenes Schweigen. Wie sehen Sie das?
    Schrupp: Was ich heute aus dem Internet mitbekommen habe, ist kein betretenes Schweigen, sondern alle diskutieren ja über diese Fälle, und Feministinnen diskutieren das auch und sehr unterschiedlich, und es ist eben nicht klar, wie man das beurteilen soll. Es gibt niemand, die sagt, ach, das ist doch nicht so schlimm gewesen. Diejenigen, die sagen, sexuelle Belästigung ist doch in manchen Fällen nicht so schlimm, das sind Leute wie Herr Spahn.
    "...wir können nicht eine frauenfeindliche Untergrundkultur haben und uns gleichzeitig wundern, wenn so was auch ausbricht und bis hin zu Vergewaltigungen führt"
    Schulz: Das habe ich von Herrn Spahn noch nicht gehört.
    Schrupp: Nein. Ja, gut, aber er hat doch den Aufschrei kritisiert. Und Aufschrei zu kritisieren, bedeutet ja, dass man eine Grenze zieht zwischen sexueller Belästigung, die nicht so schlimm ist, weil es ist nur ein Witz oder nur eine anzügliche Bemerkung über einen Busen und solche, die schlimm ist. Und die Frage ist, wer ist berechtigt, diese Grenze zu ziehen, und ist es sinnvoll, sie zu ziehen? Ich bin der Meinung, es ist natürlich wichtig, zu unterscheiden zwischen einer Vergewaltigung und einem dummen Witz, aber das Klima, die gesellschaftliche Atmosphäre, die Männer dazu berechtigt, das zu machen, oder die ihnen das ermöglicht, das ungefragt zu machen, die ist ein fließender Übergang von dem einen zum anderen. Und wir können nicht eine frauenfeindliche Untergrundkultur haben und uns gleichzeitig dann wundern, wenn so was auch ausbricht und bis hin zu Vergewaltigungen führt. Sondern das ist meiner Ansicht nach ein Klima und ein Frauenbild und ein Verantwortungsbewusstsein der gesamten Gesellschaft, die dieses ganze Gesamtpaket im Blick haben muss.
    Schulz: Also die deutsche Gesellschaft ist frauenfeindlicher, wenn ich Sie richtig verstehe, als Gesellschaften Nordafrikas?
    Schrupp: Nein, natürlich nicht. Ich finde auch, das bringt nichts so wirklich, das zu vergleichen. Sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum kommt wahrscheinlich in Nordafrika häufiger vor als hier bei uns, vielleicht kommt es ja auch nur in anderer Form vor und wir nehmen sie anders wahr. Aber es bringt ja überhaupt nichts, das miteinander zu vergleichen, weil es gibt eben nicht akzeptablere und inakzeptablere sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung, sondern das ist in jedem Fall schlimm.
    Schulz: Die Journalistin Antje Schrupp heute Abend hier im Deutschlandfunk
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.