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Übergriffe in Köln
"Wir waren da, wir haben es nicht gesehen"

Die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln hat nach Angaben der Polizeigewerkschaft GdP auch die Polizisten selbst schockiert. "Die Frauen sind zum Feiern gekommen und fahren traumatisiert nach Hause und wir konnten nicht helfen", so der NRW-Chef der Gewerkschaft, Arnold Plickert, im DLF. Den Schwarzen Peter der Polizei zuzuschieben, sei aber zu einfach.

Arnold Plickert im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Arnold Plickert, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen.
    GdP-Landeschef Plickert: Polizisten reagierten mit Betroffenheit auf Übergriffe in Köln. (picture alliance/dpa - Caroline Seidel)
    Dass die Polizisten am Kölner Hauptbahnhof nichts von den Übergriffen mitbekommen haben, hat laut Plickert mehrere Ursachen: "Der Pulk hat die Situation schwierig gemacht." Die Frauen seien völlig eingeschlossen worden, außerdem sei es dunkel gewesen. "Wir konnten nicht sehen, was passiert ist", so Plickert.
    "Genug Einsatzkräfte für ein normales Silvester"
    Die ersten Meldungen seien auch relativ spät bei der Polizei eingegangen, nämlich gegen 1 Uhr nachts. "Ich denke, die Frauen waren so schockiert, dass sie erstmal gedacht haben: Ich muss hier weg". Ähnlich wie bei der Hogesa-Demo im Herbst 2014 habe man vorher keine Erkenntnisse gehabt, dass eine so große Anzahl gewaltbereiter Männer nach Köln komme. Für ein normales Silvesterevent seien genug Einsatzkräfte vor Ort gewesen.
    Große Gruppen an Karneval auflösen
    Plickert fordert den Einsatz von Bodycams für die Polizisten: "Dann hätten wir auf der unteren Ebene Aufnahmen gehabt". Für den Einsatz an Karneval müsse man sich eine Strategie zurechtlegen und zum Beispiel große Gruppen, die durch die Stadt ziehen, schnell auflösen.
    Betroffenheit bei den Polizisten
    Plickert sagte im DLF, er habe nach dem Einsatz mit der Hundertschaft gesprochen. Dabei hätten sich Polizisten sehr betroffen geäußert. "Wir waren da, wir haben es nicht gesehen."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich Arnold Plickert, er ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Herr Plickert!
    Arnold Plickert: Schönen guten Tag, Herr Heckmann!
    Heckmann: Heiko Maas, der Justizminister, spricht von einer neuen Dimension der organisierten Kriminalität – sehen Sie das auch so?
    Plickert: Ja, das würde ich zu 100 Prozent unterstützen. Wir kennen ja diese Szenarien mit dem Antanzen aus den Großstädten, wo insbesondere am Wochenende, in der Nacht von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag diese Gruppen auch versuchen, Diebstähle zu begehen. Das ist aber eine Größenordnung, da sind fünf, sechs, sieben, die agieren. Jetzt hatten wir in Köln Größenordnungen von 100 bis 150. Man muss sich auch das optisch vorstellen, wo diese Größenordnungen auf Frauen zugehen, die komplett einschließen. Das war das Problem auch für uns, dass man überhaupt nicht sehen konnte, was passiert. Dann werden die ausgeraubt und werden sexuell attackiert. Und das ist ein ungeheuerlicher Vorgang.
    Heckmann: Welche Hinweise haben Sie denn darauf, dass es sich dabei wirklich um eine konzertierte, eine organisierte Aktion handelte?
    Plickert: Dass die sich dort organisiert getroffen haben, da gibt es im Moment keine Hinweise. Ich glaube, das ist auch ein Punkt, den muss die eingerichtete Sonderkommission in den Blick nehmen. Nämlich die Frage, gibt es Hinweise, vielleicht in sozialen Medien. Wir haben ja teilweise auch Festgenommene befragt: Gibt es Hinweise, dass vielleicht über Telefon Kontakt aufgenommen wurde und dass man sich am Silvesterabend konzentriert in Köln verabredet hat? Wenn ich mir das Bild vorstelle noch mal, das ich gerade geschildert habe, wenn sich eine Gruppe von hundert zusammenfindet und dann konzentriert sich bewusst Frauen aussucht und attackiert, dann ist das für mich ein organisiertes Vorgehen, dann ist das abgesprochen. Und dann muss man dies als solches auch bewerten.
    Heckmann: Und diese sexuellen Übergriffe, möglicherweise eine neue Masche, um eben solche Diebstähle zu ermöglichen?
    Plickert: Da ist man natürlich jetzt auch, hängt man sehr in der Luft: Ist das eine Masche, um den Diebstahl zu begehen? Oder ist es eine neue Qualität von Delikten, dass man nämlich eben diese Sexualdelikte auch begeht? Und das macht einen sehr bedenklich, auch uns als Polizisten. Ich habe mit Leuten der Hundertschaft gesprochen, die da eingesetzt waren. Die sind schon schwer betroffen, dass sie sagen, wir waren da, wir haben es nicht gesehen. Die Frauen sind zum Feiern gekommen, wollten fröhlich sein. Und fahren traumatisiert nach Hause. Und wir konnten nicht helfen. Das ist für uns auch schon eine Belastung.
    Heckmann: Sie haben mit Kolleginnen und Kollegen, die da eingesetzt gewesen sein, gesprochen, habe ich mir schon fast gedacht. Was sagen die denn? Sagen die, wir als Polizei haben da auch ein Stück weit die Kontrolle verloren?
    Plickert: Es war ja gerade nett in Ihrer Anmoderation, dass der Herr des Städtetages so den schwarzen Peter schön mal schnell in Richtung Polizei geschoben hat. So macht man es sich, glaube ich, ein bisschen einfach. Wir haben schon Kräfte vor Ort gehabt, im Prinzip 150 Kräfte aus dem Bereich der Bereitschaftspolizei, die auch für ein normales Silvester-Event ausgereicht haben.
    Heckmann: Aber wie kann es denn sein, dass Sie das nicht bemerken, wenn da Dutzende von solchen Vorfällen gemeldet werden?
    Plickert: Die erste Meldung, daran sieht man ja schon, ist bei der Polizei um circa ein Uhr erst eingegangen. Ich denke, da werden die Frauen so schockiert gewesen sein, dass sie als Erstes gesagt haben, ich muss hier weg, ich muss aus dem Innenstadtbereich raus. Um dann, wenn man wieder klarer war, wenn man wieder einen Gedanken fassen konnte, in einem zweiten Schritt zur Polizei zu gehen. Man muss sich das so vorstellen, wir haben Dunkelheit. Sie haben ja gerade Beweissicherung gesagt. Dunkelheit ist auch immer schlecht für uns mit der Beweissicherung. Deswegen war das wieder ein Beispiel, wo unsere alte Forderung nach Bodycams zum Tragen kommt. Hätten wir Bodycams gehabt, hätten wir auf der unteren Ebene Aufnahmen gehabt. Das ist äußerst schwierig. Dann dieser Pulk von 150 – und das hat die Einsatzsituation sehr schwierig gemacht und macht auch die Kollegen betroffen.
    Heckmann: In Köln jetzt also dieser massive Vorgang, auch in anderen Städten soll es zu ähnlichen Ereignissen gekommen sein, unter anderem in Hamburg?
    Plickert: Ich weiß nur, dass in Stuttgart wohl ein Fall war. Und in Hamburg auf der Reeperbahn hat es wohl fünf oder sechs Fälle gegeben, wo eine ähnliche Vorgehensweise gewählt wurde. Aber nicht in der Anzahl wie in Köln.
    Heckmann: Jetzt haben wir gerade gehört von unserem Korrespondenten, dass die Videoüberwachung wohl verstärkt werden soll, jetzt auch gerade in den Karnevalstagen. Reicht das aus. Oder was muss dazukommen?
    Plickert: Die Polizei wird natürlich diesen Einsatz auch nachbereiten. Ich glaube, wir werden uns für die Karnevalseinsätze eine Strategie zurechtlegen müssen. Zum einen haben wir natürlich jetzt im Karneval wesentlich mehr Kräfte vor Ort. Wir haben 18 Hundertschaften, wir können noch mal sechs Hundertschaften aus Kräften aus den Behörden zusammenziehen. Die werden alle im Lande gebraucht, weil wir natürlich eine Vielzahl von Karnevalseinsätzen haben. Aber wir haben jetzt auch erkannt, dass es große Gruppen gibt, die durch die Stadt ziehen. Das wäre aus meiner Sicht schon mal der erste Ansatz: Wenn an Karneval solche Gruppen gesehen werden, müssen die als Erstes sofort gesprengt werden, die müssen auseinandergebracht werden, dass es also kleinere Gruppen gibt. Und wenn sie dem nicht folgen, müssen sie einen Platzverweis bekommen. Und zur Not müssen die in Gewahrsam genommen werden.
    Heckmann: Herr Plickert, im vergangenen Jahr hatten wir bereits diese Demonstration der Hogesa, der sogenannten, der Hooligans gegen Salafisten. Das war eine Demonstration, die völlig aus dem Ruder gelaufen ist, bereits damals. Jetzt erneut diese Situation am Kölner Hauptbahnhof. Muss man sagen, dass die Sicherheitsbehörden in Köln zu lasch vorgehen? Haben wir hier mitten in Nordrhein-Westfalen No-go-Areas?
    Plickert: Zum einen, wenn man jetzt vergleicht, die erste Hogesa-Demo mit den Vorkommnissen in der Silvesternacht, haben beide Einsätze eines gemeinsam: Uns lagen keine Erkenntnisse vor, dass so eine große Anzahl von gewaltbereiten Männern nach Köln kommt. Wenn wir das vorher gewusst hätten, dann hätten wir auch mehr Kräfte eingesetzt. Das hat man bei der zweiten Hogesa-Demo gesehen. Da hatten wir gut 3.000 Kräfte in Köln. Und es ist so gut wie nichts passiert. Der Sachverhalt, der sich in der Silvesternacht in Köln ereignet hat, ist in keiner Beziehung zu No-go-Areas zu sehen. No-go-Areas sind solche Bereiche, wo die Bürgerinnen und Bürger sich abends generell nicht mehr reintrauen, weil sie verunsichert sind, weil sie verängstigt sind. Deswegen passt der Begriff No-go-Area in keiner Weise zu den Vorkommnissen zur Silvesternacht.
    Heckmann: Arnold Plickert war das, Vorsitzender der GdP in Nordrhein-Westfalen. Danke Ihnen für dieses Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.