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Überkapazitäten am Strommarkt
57 Kraftwerke auf der Stilllegungsliste

Immer mehr Kohle- und Gaskraftwerke machen dicht, weil sie unrentabel geworden sind. Noch gibt es Puffer im Strommarkt. Kurzfristig muss sich niemand wegen der immer länger werdenden Stilllegungsliste Sorgen machen, sagen Politiker. Langfristig dagegen schon. Denn die Liste könnte noch länger werden, meinen die Betreiber.

Von Theo Geers |
    Die Luftaufnahme zeigt das Kohlekraftwerk Mehrum im Landkreis Peine
    Immer mehr Kohlekraftwerke werden stillgelegt. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Die KWSAL wird immer länger. KWSAL steht für eine Wortschöpfung aus bestem Bürokratendeutsch: KWSAL steht für Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste. 57 Kohle- und Gaskraftwerke stehen inzwischen auf dieser Liste, 13 mehr als zu Jahresbeginn. Heißt übersetzt: Weil der Strompreis an der Strombörse in den letzten zwei Jahren von 5 auf knapp über 3 Cent pro Kilowattstunde gesunken ist, melden die Betreiber immer mehr Kraftwerke zur vorläufigen oder auch endgültigen Stilllegung an. Beunruhigend findet das der Bundeswirtschaftsminister nicht, so seine Sprecherin Julia Modes:
    "Die Versorgungssicherheit ist in Deutschland im kommenden Winter selbst in kritischen Situationen gewährleistet, und selbst am Strommarkt haben wir derzeit Überkapazitäten."
    In Zahlen: Zusammen kommen alle deutschen Kraftwerke auf eine Nennleistung von fast 200 Gigawatt, 90 davon stammen aus erneuerbaren Energien, deren Erzeugung schwankt. Doch an normalen Tagen liegt der Verbrauch hierzulande bei 60 GW, an besonders kalten Tagen steigt die Spitzenlast schon mal auf 82 Gigawatt. Noch gibt es also Puffer im Strommarkt. Kurzfristig muss sich niemand wegen der immer länger werdenden Kraftwerksstilllegungsanzeigenliste Sorgen machen. Langfristig dagegen schon. Denn die Liste könnte noch länger werden, so Hildegard Müller, die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbandes BDEW:
    "Wir rechnen damit, dass die wirtschaftliche Situation der Kraftwerke sich weiterhin negativ entwickelt. Die Strompreise sind, wie sie sind, und deswegen haben wir von unseren Unternehmen eher negative Anzeichen."
    Die Lage der Kraftwerksbetreiber spitzt sich immer weiter zu
    Das ist die Sicht der Betreiber konventioneller Kraftwerke. Obwohl immer mehr Ökostrom produziert wird, lassen sie ihre Anlagen dennoch weiter laufen, um wenigstens die laufenden Kosten für Brennstoff und Personal hereinzubekommen. Ökostrom und Kraftwerksstrom zusammen sorgen für einen Börsenpreis von um die drei Cent je Kilowattstunde, wobei steigende Preise nicht in Sicht sind. Der Verbraucher, der inclusive aller Abgaben und Steuern 24 oder sogar 28 Cent zahlt, spürt davon wenig. Aber die Kraftwerksbetreiber treffen drei Cent ins Mark. Denn bei diesem Preis verdienen sie nichts mehr. So Hildegard Müller:
    "Wir haben zahlreiche Kraftwerke, die keine wirtschaftliche Perspektive haben und zur Stilllegung angemeldet werden, wir haben im Neubau dramatische Rückgänge. Über 50 Prozent der Projekte sind mit einem Fragezeichen versehen. Wir haben die schwierige Situation beim Netzausbau - und wir glauben nicht, dass die derzeitigen politischen Antworten diese Situation klären."
    Die Lage der Kraftwerksbetreiber spitzt sich deshalb immer weiter zu. Deswegen legen sie Neubaupläne auf Eis und melden alte Kraftwerke zur Stilllegung an, was 12 Monate im Voraus passieren muss. In dieser Zeit wird geprüft, ob das Kraftwerk für die Sicherheit der Stromversorgung systemrelevant ist. Das ist bei 11 der 57 Stilllegungskandidaten der Fall. Sie alle südlich des Mains, etwa in Heilbronn oder Ingolstadt. Für den Weiterbetreib erhalten ihre Betreiber eine Entschädigung. Doch das reicht ihnen nicht. Abschaltverbote sind für die Kraftwerksbetreiber keine Geschäftsgrundlage.