Die Jemeniten sind fromme Leute. Sie nehmen ihren Glauben und ihre religiösen Traditionen sehr ernst. Beinah 100 Prozent der knapp 20 Millionen Einwohner sind Muslime – etwa zur Hälfte schiitische Za’iditen und sunnitische Schafi’iten. Der Jemen gilt als das Armenhaus der arabischen Halbinsel. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei knapp 800 Euro, rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze von zwei Euro am Tag.
Bettlerinnen vor dem Bab al-Jemen, dem Tor zur Altstadt von Sana’a. Mit dem Singen frommen Hymnen versuchen drei schwarz eingehüllte Frauen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie waren verheiratet, sie wurden verstoßen. Ihre Eltern können ihnen nur bedingt helfen, deshalb sind sie auf milde Gaben angewiesen, um ihre Kinder durchzubringen.
Es steht in diesen Tagen nicht zum Besten um die Wirtschaft im Jemen. Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus wirft seine Schatten auf dieses Wüsten- und Gebirgsland im äußersten Südwesten der arabischen Halbinsel. Ausländische Investoren und Touristen meiden den Jemen, der in westlichen Medien gerne neben Afghanistan, dem Sudan und Somalia als eine der wichtigen Basen und Rückzugsgebiete für das Terrornetzwerk al-Qa’ida gehandelt wird. Es gibt al-Qa’ida-Anhänger im Jemen, sagt Dr. Faris al-Saqqaf vom Zentrum für Zukunftsstudien in Sana’a, aber niemand weiß, wie viele.
Al-Qa’ida existiert hier im Jemen nicht als eine echte Organisation, es gibt hier einzelne Mitglieder, die mit Osama bin Laden auf die eine oder andere Weise in Kontakt stehen. Gleichwohl bietet der Jemen das passende Umfeld für al-Qa’ida: die unkontrollierbaren Stämme, die geographische Beschaffenheit mit Bergen, Schluchten und schwer zugänglichen Tälern. Es ist eine sehr konservative Gesellschaft hier, in der wahrscheinlich viele mit al-Qa’ida sympathisieren.
In den 80er Jahren folgen zwischen 10.000 und 25.000 Jemeniten dem Aufruf zum Jihad. Sie gehen nach Afghanistan, um dort an der Seite der afghanischen Mudschahidin gegen die sowjetischen Eindringlinge zu kämpfen. Für sie ist der Jihad ein Gott gefälliger Abwehrkrieg zur Verteidigung des Islams. Die USA ermutigen damals junge Araber, in den Krieg nach Afghanistan zu ziehen; auf Wunsch Washingtons finanziert Saudi Arabien die religiös motivierten Kämpfer; auf Wunsch Washingtons versorgt Pakistan sie mit Waffen und Logistik. Dann kommt im Februar ’89 der Abzug der Roten Armee. Die vielen Hunderttausend Mudschahidin in Afghanistan haben ihre Schuldigkeit getan. Der Kalte Krieg ist entschieden. Der Westen braucht sie nicht mehr, er lässt sie fallen und er überlässt Afghanistan seinem Schicksal und den Radikalen.
Das ist der Anfang von al-Qa’ida. Viele arabische Kämpfer stranden in Afghanistan. In ihren Heimatländern werden sie als Gefahr und als mutmaßliche Extremisten angesehen. Sie bleiben am Hindukusch, sie gründen Familien, sie führen ein ihrer Meinung nach Gott gefälliges Leben. Der Sieg über die Rote Armee hat sie darin bestärkt, dass Gott mit ihnen ist. Nun entwickeln sie einen gefährlichen Hass auf den Westen – vor allem auf die USA. Der bisherige Höhepunkt ihres extremestischen Feldzugs gegen die Vereinigten Staaten war der Anschlag vom 11. September, an dem auch Jemeniten beteiligt waren.
Keiner der bekannten al-Qa’ida-Führer hat im Jemen Zuflucht gefunden. Es gibt auch keine zuverlässigen Informationen über aus Afghanistan zurückgekehrte Extremisten. Wenn jemenitische al-Qa’ida-Mitglieder mit ihren Familien nach Jemen zurückgekehrt sein sollten, dann haben sie das unbemerkt getan.
Der Islam prägt den Alltag, den Tagesablauf, das öffentliche und gesellschaftliche Leben im Jemen. Fast alle Frauen tragen einen Gesichtsschleier und eine Abaya, die sie von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff hüllt. Hinter dem Schleier verbirgt sich indessen häufig eine ungeahnte Offenheit, die jemenitische Männer aus Furcht vor Spitzeln und Agenten nicht auszusprechen wagen.
Nach dem 11.September – ich schwöre bei Gott - sind die meisten neugeborenen Jungen Osama genannt worden. Osama! Ich bin eine gebildete Frau, ich liebe Osama und wenn ich heiraten und einen Jungen zur Welt bringen sollte, dann wird der Osama heißen. Ich hab’ den Namen schon immer gemocht, aber nach Osama bin Laden mag ich ihn noch mehr.
Meiner Meinung nach sind das Extremisten. Bei Osama bin Laden ist das eine Art islamischer Fanatismus. Mit Islam hat das nichts zu tun.
Jemeniten mögen keine Unterdrückung. Die USA werden von allen Leuten gehaßt. Die Vereinigten Staaten tyrannisieren die ganze Welt. Deshalb haben sie Osama nach dem 11. September geliebt. Er hat etwas ausgedrückt, was viele Menschen innerlich umtreibt.
Der Jemen ist voller politischer Besonderheiten und Widersprüche. Das Land bezieht etwa 200 Millionen Euro Wirtschafts- und Entwicklungshilfe aus westlichen Ländern. Zahlungskräftigstes Geberland sind die USA. In den Vereinigten Staaten leben und arbeiten Hunderttausende Jemeniten. Sie haben die begehrte Greencard bekommen, viele sind amerikanische Staatsbürger. Ihre Überweisungen bringen beinah so viel harte Dollar ins Land wie der Export von Erdöl. Trotzdem, meint Dr. Faris Saqqaf, sieht die Mehrheit der Jemeniten in den USA zuförderst eine Bedrohung.
Wenn im Jemen eine Umfrage durchgeführt würde, dann würden wahrscheinlich 90 Prozent sagen, dass sie Osama bin Laden für einen Helden halten, für einen Mann der gegen Fremdherrschaft in muslimischen und arabischen Ländern kämpft.
Mehr als 150 mutmaßliche Anhänger oder Sympathisanten bin Ladens sind in den vergangenen Monaten verhaftet worden. Der Jemen steht unter Beobachtung. Jahrelang haben die USA die Führung in Sana’a zur Einhaltung der Menschenrechte aufgefordert. Seit dem 11. September 2001 ist das anders. Für Washington, so der Menschenrechtler Khalid al-Ansi, zählt nur noch der Krieg gegen den internationalen Terrorismus.
Es gibt Leute, die seit sieben oder neun Monaten ohne Anklage einsitzen. Sie sitzen in Einzelhaft ohne überhaupt offiziell befragt oder beschuldigt worden zu sein. Bei den Inhaftierten nach dem 11. September ist alles in der Schwebe. Nach unseren Informationen haben die Behörden Schwierigkeiten, überhaupt eine Anklage zu formulieren, weil sie keine Beweise haben.
Aber wer fragt in Kriegszeiten schon nach Beweisen, wer fragt nach Staatsanwälten, Strafverteidigern oder Richtern? Anfang November vergangenen Jahres wird Ali al-Harithi zusammen mit fünf Begleitern von einer Hellfire-Rakete im fahrenden Auto zerfetzt. Für den amerikanischen Geheimdienst CIA steht fest, dass es sich bei al-Harithi um den Drahtzieher des Anschlags auf das Kriegsschiff USS-Cole im Oktober 2000 gehandelt hat. Damals sind im Hafen von Aden 17 amerikanische Seeleute bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen. Seitdem drängt Washington Sana’a zu schärferem Vorgehen gegen mutmaßliche Extremisten.
Die Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Jemen ist vollständig und unerschütterlich, sagt Abdel-Karim al-Iryani, bis vor kurzem noch Regierungschef in Sana’a.
Gegen einige der Inhaftierten wird es ein Verfahren geben, andere, gegen die offenbar nichts vorliegt, werden frei gelassen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Jemen und den USA zur Vermeidung von Terroraktionen ist vollkommen.
Die USA verstärken den Druck. Mehrere Dutzend – manche sagen mehrere Hundert – CIA-Agenten, FBI-Beamte sowie Militärberater helfen den jemenitischen Sicherheitskräften auf die Sprünge. Sollte das nicht reichen, dann stehen in Djibouti jenseits der Meerenge zwischen der arabischen Halbinsel und dem Horn von Afrika 800 gut ausgerüstete US-Soldaten zur Terroristenjagd im Jemen bereit.
Das jemenitische Volk gliedert sich in viele Hundert Stämme. Manche Stämme bestehen nur aus einigen Hundert Mitgliedern, andere zählen Zehntausende Angehörige. Die Regierung in Sana’a ist nicht stark genug, um das rund 550.000 km² große Land wirklich kontrollieren zu können. Immer wieder kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Stämmen, die sich der Politik der Zentralmacht widersetzen. Immer wieder kommt es auch zu tödlichen Konflikten zwischen verschiedenen Stämmen.
Es geht um Wasser. Es geht darum, wer aus einer gemeinsam genutzten Quelle, wie viel Wasser auf seine Felder leiten darf. Der Streit eskaliert, Beleidigungen werden gewechselt, Fäuste fliegen. Dann ein Schuss. Mohammed Hanadi sinkt tödlich getroffen zu Boden. Omar el-Faris rennt zurück zu seinem Dorf. Der 38jährige weiß, was kommt. Denn der Getötete gehört zum Stamm der Haraz, und er gehört zu den Kholan.
Wir haben ganz unterschiedliche Waffen benutzt, leichte Waffen, schwere Waffen. Das ging los mit Maschinengewehren. Am Ende haben sie dann Kanonen Landminen, Dynamit, Panzerfäuste und Bomben eingesetzt.
Als der Krieg der beiden Dörfer im Frühjahr ’97 ausbricht, studiert Taher an der Universität von Sana’a. Sofort kehrt der damals 19jährige mit drei Vettern in sein Dorf zwei Autostunden von der Hauptstadt entfernt in den schwer zugänglichen Bergen Nordjemens zurück. Die Haraz sind sich einig: nur der Tod des Mörders kann Wiedergutmachung bringen.
In den Bergen gibt es Grenzpunkte, da ist ihre Grenze, hier ist unsere Grenze. Wir kämpfen zwischen den Bergen, wir kämpfen nicht in den Dörfern. Aber irgendwann haben wir doch unsere Dörfer geräumt, wir haben Frauen und Kinder nach Sana’a oder in andere Dörfer geschickt. Nur die Männer sind zurückgeblieben, um zu kämpfen.
Drei Jahre dauert dieser Krieg. Die Kholan sind in der schlechteren Position, denn ihr Dorf liegt gut 400 Meter tiefer als jenes der Haraz. Tahers Leute feuern von oben mit der dorfeigenen 180mm-Kanone und sie beschießen das gegnerische Dorf mit Panzerfäusten, Mörsern und Maschinengewehren.
Es ist verboten, Frauen und Kinder zu töten. Wir kämpfen auch nicht außerhalb des eingegrenzten Kriegsgebiets. Wenn wir beispielsweise solche Leute in Sana’a oder andernorts treffen, dann herrscht Friede zwischen uns.
Souq al-Talh, ein Marktflecken im Norden Jemens. Wer will, der kann hier alle Sorten von Waffen kaufen. 170 Euro kostet eine gebrauchte Uzi-Maschinenpistole; 400 Euro kostet eine neue russische Kalaschnikow; Granatwerfer sind ab 500 Euro zu haben; Granaten kosten 4 Euro das Stück und Panzerminen 20. Panzerfäuste werden feilgeboten, amerikanische und deutsche Sturmgewehre, Pistolen, Revolver, Mörser. Wer Artillerie braucht, oder Flugabwehrgeschütze – hier in der Nähe der saudischen Grenze kann er sie bestellen.
Nach Schätzungen des jemenitischen Innenministeriums kursieren in dem südarabischen Land an die 60 Millionen Waffen. Im Schnitt besitzt somit jeder – vom Wickelkind bis zum Greis – drei Waffen.
Der Jemen ist eine streng patriarchale Gesellschaft. Männer bestimmen das Straßenbild, beherrschen die Politik, prägen das öffentliche Leben. Frauen – so das im Westen vorherrschende Bild - führen im Jemen ein Leben im Verborgenen, verschleiert, unterdrückt, eingesperrt und rechtlos. Zweimal, so heißt es, verlässt eine anständige jemenitische Frau das Haus: wenn sie verheiratet und wenn sie begraben wird.
Aber das Bild wandelt sich. Mehr und mehr Frauen im Jemen studieren, haben gut bezahlte Jobs, fahren Autos, verreisen, wählen selbst ihre Ehemänner aus.
Langsam aber sicher dringen die Frauen in eine seit Generationen von Männern gehaltene Bastion vor: Qat. Drei von fünf Frauen, so schätzt Ahmed Jaber Afif von der Nationalen Gesellschaft zur Bekämpfung der Qat-Sucht, kauen mittlerweile die sanfte Droge.
Es wurde als unschicklich angesehen, wenn Frauen Qat kauten. Jetzt kauen sie wie die Männer, rauchen wie sie Zigaretten und Wasserpfeife. Auch in den Stämmen wurde früher kein Qat gekaut – jetzt tun sie’s.
Täglich geben die Jemeniten mehr als eine Milliarde Rial für Qat aus, das sind umgerechnet rund 6,5 Millionen Euro. Arabia felix – glückliches Arabien. Das ist lange vorbei. Der Jemen hat gewaltige Umweltprobleme. Am gravierendsten ist der Wassermangel. Große Teile des 20-Millionen-Volkes sitzen bald auf dem Trockenen. Vor allem in der Hauptstadt Sana’a spitzt sich die Lage dramatisch zu.
Souk al-Milh, der Eingang zur malerischen Altstadt von Sana’a. In den Hochhäusern aus Basalt und Kalkstein gibt es noch Ziehbrunnen. Aber diese liefern schon lange kein Wasser mehr. Bis zu 800 Meter sind die Brunnen im Becken von Sana’a tief. Hochleistungspumpen fördern das fossile Wasser zu Tage. In wenigen Jahren ist Schluss, sagt eine Studie der Weltbank. Sana’a verbraucht fünfmal mehr Wasser als die Natur nachliefert. Die Einwohnerzahl der jemenitischen Hauptstadt ist in den vergangenen vier Jahrzehnten förmlich explodiert. Als der Imam als Staatsoberhaupt 1962 abgesetzt wird, wohnen knapp 70.000 Menschen in Sana’a. Heute sind es rund zwei Millionen. Die Regierung in Sana’a sinnt darüber nach, wie sie das Wasserproblem in den Griff bekommen kann. 40 Prozent des Trinkwassers, so schätzt die Weltbank, gehen wegen des maroden Leitungssystems verloren. Hier könnte durch bessere Wartung Wasser und damit Zeit gewonnen werden – aber der mit rund fünf Milliarden Euro beim Ausland in der Kreide stehende Jemen ist nicht flüssig, hat kein Geld. Langfristig soll entsalztes Wasser aus dem Roten Meer die Hauptstadt vor dem Verdursten bewahren. Doch dazu müsste eine 260 km lange Pipeline das Lebenselixier über zwei mächtige Gebirgszüge auf 2300 Meter Höhe schaffen. Die Kosten von vielen Hundert Millionen Euro wird das bitterarme Land alleine kaum schultern können.
Dem Jemen stehen unruhige Zeiten ins Haus. Die innen- wie auch die außenpolitischen Probleme spitzen sich zu. Die gewaltige Militärpräsens der USA im Nahen Osten stößt im Jemen auf breite Ablehnung.
Die ganze arabische Welt möchte vor allem eine Frage beantwortet haben: Was haben die Irakis getan, was rechtfertigt einen Angriff? Warum? Natürlich wegen des Öls. Ich glaube, das ist der einzige Grund. Ich glaube nicht, dass dort versteckte Waffen sind.
Sana’a fünf Uhr in der Früh. Die Rufe zum Morgengebet holen die Menschen aus dem Schlaf. Die Jemeniten sind fromme Leute. Sie nehmen ihren Glauben, ihre religiösen Traditionen und ihre politischen Grundsätze sehr ernst. Aber die Jemeniten sind auch Pragmatiker. Al-Hikma minal Yemen – die Weisheit kommt aus dem Jemen, hat vor beinah 1400 Jahren der Prophet Mohammed über die südlichen Nachbarn gesagt. Vor 12 Jahren hat Präsident Ali Abdallah Salih den Spruch des Propheten missachtet. Im UN-Sicherheitsrat hat der Jemen mit nein stimmen lassen, als es um die Frage eines Krieges gegen den Irak ging. Es war das teuerste Nein in Jemens moderner Geschichte: Die USA haben sofort alle Wirtschafts- und Finanzhilfe gestrichen und auf Jahre ausgesetzt, Saudi Arabien hat damals rund 2 Millionen jemenitische Gastarbeiter ausgewiesen. Saleh ist heute klüger. Sein Volk protestiert, die politische Führung aber hält sich dieses Mal an die Weisheit: Schweigen ist Gold. Denn der Jemen soll nicht noch mehr ins Fadenkreuz von Pentagon und CIA geraten.
Bettlerinnen vor dem Bab al-Jemen, dem Tor zur Altstadt von Sana’a. Mit dem Singen frommen Hymnen versuchen drei schwarz eingehüllte Frauen ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie waren verheiratet, sie wurden verstoßen. Ihre Eltern können ihnen nur bedingt helfen, deshalb sind sie auf milde Gaben angewiesen, um ihre Kinder durchzubringen.
Es steht in diesen Tagen nicht zum Besten um die Wirtschaft im Jemen. Der Krieg gegen den internationalen Terrorismus wirft seine Schatten auf dieses Wüsten- und Gebirgsland im äußersten Südwesten der arabischen Halbinsel. Ausländische Investoren und Touristen meiden den Jemen, der in westlichen Medien gerne neben Afghanistan, dem Sudan und Somalia als eine der wichtigen Basen und Rückzugsgebiete für das Terrornetzwerk al-Qa’ida gehandelt wird. Es gibt al-Qa’ida-Anhänger im Jemen, sagt Dr. Faris al-Saqqaf vom Zentrum für Zukunftsstudien in Sana’a, aber niemand weiß, wie viele.
Al-Qa’ida existiert hier im Jemen nicht als eine echte Organisation, es gibt hier einzelne Mitglieder, die mit Osama bin Laden auf die eine oder andere Weise in Kontakt stehen. Gleichwohl bietet der Jemen das passende Umfeld für al-Qa’ida: die unkontrollierbaren Stämme, die geographische Beschaffenheit mit Bergen, Schluchten und schwer zugänglichen Tälern. Es ist eine sehr konservative Gesellschaft hier, in der wahrscheinlich viele mit al-Qa’ida sympathisieren.
In den 80er Jahren folgen zwischen 10.000 und 25.000 Jemeniten dem Aufruf zum Jihad. Sie gehen nach Afghanistan, um dort an der Seite der afghanischen Mudschahidin gegen die sowjetischen Eindringlinge zu kämpfen. Für sie ist der Jihad ein Gott gefälliger Abwehrkrieg zur Verteidigung des Islams. Die USA ermutigen damals junge Araber, in den Krieg nach Afghanistan zu ziehen; auf Wunsch Washingtons finanziert Saudi Arabien die religiös motivierten Kämpfer; auf Wunsch Washingtons versorgt Pakistan sie mit Waffen und Logistik. Dann kommt im Februar ’89 der Abzug der Roten Armee. Die vielen Hunderttausend Mudschahidin in Afghanistan haben ihre Schuldigkeit getan. Der Kalte Krieg ist entschieden. Der Westen braucht sie nicht mehr, er lässt sie fallen und er überlässt Afghanistan seinem Schicksal und den Radikalen.
Das ist der Anfang von al-Qa’ida. Viele arabische Kämpfer stranden in Afghanistan. In ihren Heimatländern werden sie als Gefahr und als mutmaßliche Extremisten angesehen. Sie bleiben am Hindukusch, sie gründen Familien, sie führen ein ihrer Meinung nach Gott gefälliges Leben. Der Sieg über die Rote Armee hat sie darin bestärkt, dass Gott mit ihnen ist. Nun entwickeln sie einen gefährlichen Hass auf den Westen – vor allem auf die USA. Der bisherige Höhepunkt ihres extremestischen Feldzugs gegen die Vereinigten Staaten war der Anschlag vom 11. September, an dem auch Jemeniten beteiligt waren.
Keiner der bekannten al-Qa’ida-Führer hat im Jemen Zuflucht gefunden. Es gibt auch keine zuverlässigen Informationen über aus Afghanistan zurückgekehrte Extremisten. Wenn jemenitische al-Qa’ida-Mitglieder mit ihren Familien nach Jemen zurückgekehrt sein sollten, dann haben sie das unbemerkt getan.
Der Islam prägt den Alltag, den Tagesablauf, das öffentliche und gesellschaftliche Leben im Jemen. Fast alle Frauen tragen einen Gesichtsschleier und eine Abaya, die sie von Kopf bis Fuß in schwarzen Stoff hüllt. Hinter dem Schleier verbirgt sich indessen häufig eine ungeahnte Offenheit, die jemenitische Männer aus Furcht vor Spitzeln und Agenten nicht auszusprechen wagen.
Nach dem 11.September – ich schwöre bei Gott - sind die meisten neugeborenen Jungen Osama genannt worden. Osama! Ich bin eine gebildete Frau, ich liebe Osama und wenn ich heiraten und einen Jungen zur Welt bringen sollte, dann wird der Osama heißen. Ich hab’ den Namen schon immer gemocht, aber nach Osama bin Laden mag ich ihn noch mehr.
Meiner Meinung nach sind das Extremisten. Bei Osama bin Laden ist das eine Art islamischer Fanatismus. Mit Islam hat das nichts zu tun.
Jemeniten mögen keine Unterdrückung. Die USA werden von allen Leuten gehaßt. Die Vereinigten Staaten tyrannisieren die ganze Welt. Deshalb haben sie Osama nach dem 11. September geliebt. Er hat etwas ausgedrückt, was viele Menschen innerlich umtreibt.
Der Jemen ist voller politischer Besonderheiten und Widersprüche. Das Land bezieht etwa 200 Millionen Euro Wirtschafts- und Entwicklungshilfe aus westlichen Ländern. Zahlungskräftigstes Geberland sind die USA. In den Vereinigten Staaten leben und arbeiten Hunderttausende Jemeniten. Sie haben die begehrte Greencard bekommen, viele sind amerikanische Staatsbürger. Ihre Überweisungen bringen beinah so viel harte Dollar ins Land wie der Export von Erdöl. Trotzdem, meint Dr. Faris Saqqaf, sieht die Mehrheit der Jemeniten in den USA zuförderst eine Bedrohung.
Wenn im Jemen eine Umfrage durchgeführt würde, dann würden wahrscheinlich 90 Prozent sagen, dass sie Osama bin Laden für einen Helden halten, für einen Mann der gegen Fremdherrschaft in muslimischen und arabischen Ländern kämpft.
Mehr als 150 mutmaßliche Anhänger oder Sympathisanten bin Ladens sind in den vergangenen Monaten verhaftet worden. Der Jemen steht unter Beobachtung. Jahrelang haben die USA die Führung in Sana’a zur Einhaltung der Menschenrechte aufgefordert. Seit dem 11. September 2001 ist das anders. Für Washington, so der Menschenrechtler Khalid al-Ansi, zählt nur noch der Krieg gegen den internationalen Terrorismus.
Es gibt Leute, die seit sieben oder neun Monaten ohne Anklage einsitzen. Sie sitzen in Einzelhaft ohne überhaupt offiziell befragt oder beschuldigt worden zu sein. Bei den Inhaftierten nach dem 11. September ist alles in der Schwebe. Nach unseren Informationen haben die Behörden Schwierigkeiten, überhaupt eine Anklage zu formulieren, weil sie keine Beweise haben.
Aber wer fragt in Kriegszeiten schon nach Beweisen, wer fragt nach Staatsanwälten, Strafverteidigern oder Richtern? Anfang November vergangenen Jahres wird Ali al-Harithi zusammen mit fünf Begleitern von einer Hellfire-Rakete im fahrenden Auto zerfetzt. Für den amerikanischen Geheimdienst CIA steht fest, dass es sich bei al-Harithi um den Drahtzieher des Anschlags auf das Kriegsschiff USS-Cole im Oktober 2000 gehandelt hat. Damals sind im Hafen von Aden 17 amerikanische Seeleute bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen. Seitdem drängt Washington Sana’a zu schärferem Vorgehen gegen mutmaßliche Extremisten.
Die Zusammenarbeit zwischen den USA und dem Jemen ist vollständig und unerschütterlich, sagt Abdel-Karim al-Iryani, bis vor kurzem noch Regierungschef in Sana’a.
Gegen einige der Inhaftierten wird es ein Verfahren geben, andere, gegen die offenbar nichts vorliegt, werden frei gelassen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Jemen und den USA zur Vermeidung von Terroraktionen ist vollkommen.
Die USA verstärken den Druck. Mehrere Dutzend – manche sagen mehrere Hundert – CIA-Agenten, FBI-Beamte sowie Militärberater helfen den jemenitischen Sicherheitskräften auf die Sprünge. Sollte das nicht reichen, dann stehen in Djibouti jenseits der Meerenge zwischen der arabischen Halbinsel und dem Horn von Afrika 800 gut ausgerüstete US-Soldaten zur Terroristenjagd im Jemen bereit.
Das jemenitische Volk gliedert sich in viele Hundert Stämme. Manche Stämme bestehen nur aus einigen Hundert Mitgliedern, andere zählen Zehntausende Angehörige. Die Regierung in Sana’a ist nicht stark genug, um das rund 550.000 km² große Land wirklich kontrollieren zu können. Immer wieder kommt es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Stämmen, die sich der Politik der Zentralmacht widersetzen. Immer wieder kommt es auch zu tödlichen Konflikten zwischen verschiedenen Stämmen.
Es geht um Wasser. Es geht darum, wer aus einer gemeinsam genutzten Quelle, wie viel Wasser auf seine Felder leiten darf. Der Streit eskaliert, Beleidigungen werden gewechselt, Fäuste fliegen. Dann ein Schuss. Mohammed Hanadi sinkt tödlich getroffen zu Boden. Omar el-Faris rennt zurück zu seinem Dorf. Der 38jährige weiß, was kommt. Denn der Getötete gehört zum Stamm der Haraz, und er gehört zu den Kholan.
Wir haben ganz unterschiedliche Waffen benutzt, leichte Waffen, schwere Waffen. Das ging los mit Maschinengewehren. Am Ende haben sie dann Kanonen Landminen, Dynamit, Panzerfäuste und Bomben eingesetzt.
Als der Krieg der beiden Dörfer im Frühjahr ’97 ausbricht, studiert Taher an der Universität von Sana’a. Sofort kehrt der damals 19jährige mit drei Vettern in sein Dorf zwei Autostunden von der Hauptstadt entfernt in den schwer zugänglichen Bergen Nordjemens zurück. Die Haraz sind sich einig: nur der Tod des Mörders kann Wiedergutmachung bringen.
In den Bergen gibt es Grenzpunkte, da ist ihre Grenze, hier ist unsere Grenze. Wir kämpfen zwischen den Bergen, wir kämpfen nicht in den Dörfern. Aber irgendwann haben wir doch unsere Dörfer geräumt, wir haben Frauen und Kinder nach Sana’a oder in andere Dörfer geschickt. Nur die Männer sind zurückgeblieben, um zu kämpfen.
Drei Jahre dauert dieser Krieg. Die Kholan sind in der schlechteren Position, denn ihr Dorf liegt gut 400 Meter tiefer als jenes der Haraz. Tahers Leute feuern von oben mit der dorfeigenen 180mm-Kanone und sie beschießen das gegnerische Dorf mit Panzerfäusten, Mörsern und Maschinengewehren.
Es ist verboten, Frauen und Kinder zu töten. Wir kämpfen auch nicht außerhalb des eingegrenzten Kriegsgebiets. Wenn wir beispielsweise solche Leute in Sana’a oder andernorts treffen, dann herrscht Friede zwischen uns.
Souq al-Talh, ein Marktflecken im Norden Jemens. Wer will, der kann hier alle Sorten von Waffen kaufen. 170 Euro kostet eine gebrauchte Uzi-Maschinenpistole; 400 Euro kostet eine neue russische Kalaschnikow; Granatwerfer sind ab 500 Euro zu haben; Granaten kosten 4 Euro das Stück und Panzerminen 20. Panzerfäuste werden feilgeboten, amerikanische und deutsche Sturmgewehre, Pistolen, Revolver, Mörser. Wer Artillerie braucht, oder Flugabwehrgeschütze – hier in der Nähe der saudischen Grenze kann er sie bestellen.
Nach Schätzungen des jemenitischen Innenministeriums kursieren in dem südarabischen Land an die 60 Millionen Waffen. Im Schnitt besitzt somit jeder – vom Wickelkind bis zum Greis – drei Waffen.
Der Jemen ist eine streng patriarchale Gesellschaft. Männer bestimmen das Straßenbild, beherrschen die Politik, prägen das öffentliche Leben. Frauen – so das im Westen vorherrschende Bild - führen im Jemen ein Leben im Verborgenen, verschleiert, unterdrückt, eingesperrt und rechtlos. Zweimal, so heißt es, verlässt eine anständige jemenitische Frau das Haus: wenn sie verheiratet und wenn sie begraben wird.
Aber das Bild wandelt sich. Mehr und mehr Frauen im Jemen studieren, haben gut bezahlte Jobs, fahren Autos, verreisen, wählen selbst ihre Ehemänner aus.
Langsam aber sicher dringen die Frauen in eine seit Generationen von Männern gehaltene Bastion vor: Qat. Drei von fünf Frauen, so schätzt Ahmed Jaber Afif von der Nationalen Gesellschaft zur Bekämpfung der Qat-Sucht, kauen mittlerweile die sanfte Droge.
Es wurde als unschicklich angesehen, wenn Frauen Qat kauten. Jetzt kauen sie wie die Männer, rauchen wie sie Zigaretten und Wasserpfeife. Auch in den Stämmen wurde früher kein Qat gekaut – jetzt tun sie’s.
Täglich geben die Jemeniten mehr als eine Milliarde Rial für Qat aus, das sind umgerechnet rund 6,5 Millionen Euro. Arabia felix – glückliches Arabien. Das ist lange vorbei. Der Jemen hat gewaltige Umweltprobleme. Am gravierendsten ist der Wassermangel. Große Teile des 20-Millionen-Volkes sitzen bald auf dem Trockenen. Vor allem in der Hauptstadt Sana’a spitzt sich die Lage dramatisch zu.
Souk al-Milh, der Eingang zur malerischen Altstadt von Sana’a. In den Hochhäusern aus Basalt und Kalkstein gibt es noch Ziehbrunnen. Aber diese liefern schon lange kein Wasser mehr. Bis zu 800 Meter sind die Brunnen im Becken von Sana’a tief. Hochleistungspumpen fördern das fossile Wasser zu Tage. In wenigen Jahren ist Schluss, sagt eine Studie der Weltbank. Sana’a verbraucht fünfmal mehr Wasser als die Natur nachliefert. Die Einwohnerzahl der jemenitischen Hauptstadt ist in den vergangenen vier Jahrzehnten förmlich explodiert. Als der Imam als Staatsoberhaupt 1962 abgesetzt wird, wohnen knapp 70.000 Menschen in Sana’a. Heute sind es rund zwei Millionen. Die Regierung in Sana’a sinnt darüber nach, wie sie das Wasserproblem in den Griff bekommen kann. 40 Prozent des Trinkwassers, so schätzt die Weltbank, gehen wegen des maroden Leitungssystems verloren. Hier könnte durch bessere Wartung Wasser und damit Zeit gewonnen werden – aber der mit rund fünf Milliarden Euro beim Ausland in der Kreide stehende Jemen ist nicht flüssig, hat kein Geld. Langfristig soll entsalztes Wasser aus dem Roten Meer die Hauptstadt vor dem Verdursten bewahren. Doch dazu müsste eine 260 km lange Pipeline das Lebenselixier über zwei mächtige Gebirgszüge auf 2300 Meter Höhe schaffen. Die Kosten von vielen Hundert Millionen Euro wird das bitterarme Land alleine kaum schultern können.
Dem Jemen stehen unruhige Zeiten ins Haus. Die innen- wie auch die außenpolitischen Probleme spitzen sich zu. Die gewaltige Militärpräsens der USA im Nahen Osten stößt im Jemen auf breite Ablehnung.
Die ganze arabische Welt möchte vor allem eine Frage beantwortet haben: Was haben die Irakis getan, was rechtfertigt einen Angriff? Warum? Natürlich wegen des Öls. Ich glaube, das ist der einzige Grund. Ich glaube nicht, dass dort versteckte Waffen sind.
Sana’a fünf Uhr in der Früh. Die Rufe zum Morgengebet holen die Menschen aus dem Schlaf. Die Jemeniten sind fromme Leute. Sie nehmen ihren Glauben, ihre religiösen Traditionen und ihre politischen Grundsätze sehr ernst. Aber die Jemeniten sind auch Pragmatiker. Al-Hikma minal Yemen – die Weisheit kommt aus dem Jemen, hat vor beinah 1400 Jahren der Prophet Mohammed über die südlichen Nachbarn gesagt. Vor 12 Jahren hat Präsident Ali Abdallah Salih den Spruch des Propheten missachtet. Im UN-Sicherheitsrat hat der Jemen mit nein stimmen lassen, als es um die Frage eines Krieges gegen den Irak ging. Es war das teuerste Nein in Jemens moderner Geschichte: Die USA haben sofort alle Wirtschafts- und Finanzhilfe gestrichen und auf Jahre ausgesetzt, Saudi Arabien hat damals rund 2 Millionen jemenitische Gastarbeiter ausgewiesen. Saleh ist heute klüger. Sein Volk protestiert, die politische Führung aber hält sich dieses Mal an die Weisheit: Schweigen ist Gold. Denn der Jemen soll nicht noch mehr ins Fadenkreuz von Pentagon und CIA geraten.