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Überleben im Erdorbit

Raumfahrt.- Die ESA-Satelliten namens Rumba, Tango, Salsa und Samba untersuchen seit langem die magnetische Umgebung der Erde. Heute gilt die Mission als äußerst erfolgreich. Dabei hatte sie vom allerersten Moment an mit schweren Schicksalsschlägen zu kämpfen. Dass die vier Raumkörper noch betriebsbereit sind, ist vor allem einen Physiker zu verdanken.

Von Karl Urban |
    Der Jungfernflug der Ariane 5 am 4. Juni 1996. An Bord, ein Satellitenquartett: Vier waschtrommelförmige und drei Meter breite Raumfahrzeuge. Die Cluster-Mission soll erforschen, wie das Magnetfeld der Erde mit dem stürmischen Sonnenwind zusammenspielt. Doch aus der geplanten Sternstunde für Europas Raumfahrt wird eine Katastrophe, als die Rakete 36 Sekunden später explodiert.

    Die ESA muss zusätzlich 200 Millionen Euro investieren, bevor vier Jahre später die Nachbauten des Clusterquartetts startbereit sind: Erst erreichen Rumba und Tango, dann Samba und Salsa den Orbit, an Bord von günstigen Sojus-Raketen. Drei Jahre sollte ihre Mission dauern. Doch Cluster sammelt bis heute und zwölf Jahre nach dem Start noch immer Messdaten. Und das, obwohl die Batterien an Bord schon vor Jahren das Zeitliche segneten.

    "Wir haben eigentlich an Spacecraft 1 gar keine Batterien mehr zu benutzen. Spacecraft 2 hat noch ein ganz bisschen Kapazität. Ursprünglich hatte jeder Satellit 80 Amperestunden. Wir liegen jetzt so bei einer Amperestunde, bei einer oder bei fünf, was eigentlich gar nichts mehr ist."

    Flugleiter Jürgen Volpp redet nicht von Rumba und Salsa und benutzt stattdessen die Startnummern: Er sitzt in seinem winzigen Büro im Europäischen Weltraumkontrollzentrum in Darmstadt. Vor zwölf Jahren kam er hierher, kurz vor dem zweiten Start, als Verantwortlicher für Strom- und Wärmehaushalt von Cluster: Eine Aufgabe so anspruchsvoll wie die Spezialbatterien selbst. Denn sie durften die empfindlichen Messgeräte an Bord nicht stören und hatten dafür ganz eigene Tücken.

    "Und die einzige Möglichkeit damals war, Silber-Cadmium-Batterien zu benutzen. Diese Batterien sind aber eigentlich für einen langen Betrieb nicht geeignet. Denn sie zersetzen sich, weil da ist Kaliumhydroxid drin, also das ist Kaliumlauge, drin. Das zerfrisst mit der Zeit das Cadmium."

    Trotzdem bereiteten die Silber-Cadmium-Batterien erst nach sechs Jahren wirkliche Probleme: nach der doppelten Missionsdauer. Chemische Reaktionen erzeugten geringe Mengen Knallgas – und die Zellen platzen.

    "Sie haben ein bisschen alle den Orbit verändert, was man leicht ausgleichen kann. Aber bei zwei Satelliten wurde der Elektrolyt dann auch noch verspritzt und hat an Steckern einige Telemetriekanäle kurzgeschlossen und die sind dann eigentlich verloren gewesen."

    Eine Situation, auf die Energieexperte Volpp sein Team schon Jahre zuvor vorbereitet hatte: Seit 2006 liefern nur noch die Solarzellen Strom, was funktioniert, so lange die Satelliten auf ihrer ausgedehnten exzentrischen Umlaufbahn in der Sonne fliegen. Manchmal kommen sie aber dicht an der Erde vorbei – und die Sonne wird verdeckt.

    Allein im Dunkeln, wo Treibstoff und Elektronik sehr schnell einfrieren. Und an Bord befindet sich eigentlich nichts, was stromspeichernde Batterien ersetzen könnte. Alles, was Cluster 2006 noch besaß, waren funktionierende Solarzellen, wissenschaftliche Instrumente, halb gefüllte Treibstofftanks – und elektrische Heizelemente, die nur noch bei Sonnenschein funktionierten. Im Satellit selbst konnten die Ingenieure also weiterhin Wärme erzeugen – und mussten das einfach vor dem Schattendurchflug erledigen.

    "Wenn wir die 54 Stunden davor in der Sonne sind, dann haben wir ja genügend Energie. Dann fingen wir an, die Tanks – das sind sechs Tanks – aufzuheizen. Die haben Heizer - und haben dann die Tanks auf 30, 35 Grad aufgeheizt."

    Und die Energie passiv wieder abgegeben, während stundenlanger Flüge durch den Erdschatten. Die Treibstofftanks, eigentlich nur an Bord für Manöver im Erdorbit, dienen seitdem als Wärmespeicher. Und die schon mehrfach totgesagte Mission konnte noch viele wertvolle Daten sammeln.

    Heute, weitere sechs Jahre später, sind aber die Tanks fast leer: Sie enthalten gerade noch sechs Kilogramm Treibstoff – von ursprünglich 600. Und leere Tanks verhindern nicht nur gelegentliche Manöver, sondern verschlechtern auch ihre improvisierte Rolle als Wärmepuffer. Bis 2014 soll Cluster deshalb noch forschen können. Auf zwei weitere Jahre – und damit bis 16 Jahre nach dem Start – hoffen die Techniker in Darmstadt. Bis dahin wollen sie sich auch für die immer schwächer werdenden Solarzellen etwas einfallen lassen.