„Sie leben das ganze Jahr über in den Fjorden dort und vermischen sich nicht mit den anderen Eisbären. Sie unterscheiden sich genetisch von ihnen und verhalten sich auch etwas anders, sodass wir sie als neue Population einstufen.“ Das erklärt Fernando Ugarte vom staatlichen Umweltforschungsinstitut Grönlands. Damit leben also nicht 19 Eisbärenpopulationen rund um die Arktis, sondern 20 – und zwei davon allein in Ostgrönland.
Nur selten kommt ein fremdes Tier dazu
Seit mindestens 200 Jahren entwickeln sich die südostgrönländischen Eisbären in dem rund 400 Quadratkilometer großen Gebiet weitgehend getrennt von den anderen. Nur hin und wieder scheint ein Tier von außen in die Gemeinschaft zu kommen. DNA-Analysen belegen, dass derzeit ein Gruppenmitglied aus Nordostgrönland stammt und eines aus Alaska. Es sei jedoch nicht so sehr der genetische Abstand, der diese Eisbären so besonders mache, sondern ihr Verhalten:
„Diese Eisbären in Südostgrönland leben in Fjorden, die nur vier Monate im Jahr zufrieren. In diesen vier Monaten sind sie wie ganz normale Eisbären. Sie bewegen sich über das Meereis und fangen Robben, die aus Atemlöchern auftauchen. Anstatt täglich Dutzende Kilometer über das Meereis zu laufen, bewegen sie sich dabei nur über die Berge hinweg von einem Fjord in den nächsten. Wenn das Meereis schmilzt, wissen wir nicht genau, was sie dann tun, aber sie verbringen tatsächlich den Rest des Jahres in den Fjorden.“
Jagd statt Fasten in der eisfreien Zeit
„Normale“ Eisbären ziehen sich in der eisfreien Zeit an Land zurück und fasten oder sie folgen dem Meereis nach Norden. Die südostgrönländischen Eisbären hingegen haben sich an das Leben in den Fjorden angepasst. In die hinein münden große Gletscher, von deren Fronten immer wieder Eis abbricht. Diese Mischung aus großen und kleinen Eisbergen und Eisschollen bildet anscheinend das sommerliche Jagdrevier der Tiere. Sie verlassen ihren Lebensraum nicht:
„Die Küste entlang, außerhalb der Fjorde, fließt eine sehr schnelle Nord-Süd-Strömung. Im Winter treibt das Meereis dort sehr schnell nach Süden. Die südostgrönländischen Eisbären haben gelernt, dass diese Strömung sie wegträgt. Deshalb bleiben sie in den Fjorden, und die wenigen, die weggetragen wurden, schwammen schnell zurück in ihr Heimatgebiet.“
Weniger Nachkommen als andere Eisbären
Auch das ist ein ungewöhnliches Verhalten. Die Tiere haben offenbar eine Nische gefunden, in der sie rund ums Jahr leben. Doch das hat seinen Preis: „Sie vermehren sich nicht so schnell wie die anderen, sie haben also weniger Nachkommen. Allerdings wissen wir nicht, ob das daran liegt, dass sie weniger Nahrung haben und ein härteres Leben führen. Oder daran, dass es schwieriger ist, einen Partner zu finden. Die männlichen Eisbären müssen die Berge hinauf- und hinunterklettern, um ein Weibchen zu finden, während die normalen Eisbären dafür einfach übers Eis laufen.“
Nur wenige Hundert Tiere leben in der Region, vermuten die Forscher. Doch die Population scheint stabil zu sein. Weil die Eisbedingungen dort den Verhältnissen gleichen, mit denen am Ende des Jahrhunderts wohl die meisten Eisbären konfrontiert sein werden, bedeutet die Population für die Forscher einen Hoffnungsschimmer.
Nicht alle Lebensräume bieten solche Chancen
„Diese Studie zeigt: Wo von einer Eiskappe aus Gletscher im Meer enden, könnten die Eisbären länger überleben als erwartet. Aber das gilt nur für Grönland, für Svalbard und den nördliche Teil Kanadas. Es gilt nicht für all ihre Lebensräume. Die meisten Eisbären werden Probleme bekommen.“
Derzeit gibt es bereits erste Anzeichen dafür, dass die Eisbären von Südostgrönland sozusagen der Zeit voraus sind. Die Population auf Svalbard ist durch das Verschwinden des Meereises zunehmend isoliert – und das gilt auch für die Baffin Bay in Westgrönland. Isolierte Populationen sind verletzlicher, sodass die Resilienz Grenzen haben dürfte.