Juli Zeh interessiert sich als Autorin, Dramatikerin, Juristin und selbst denkende Mitbürgerin seit Jahren für Themen wie Selbstbestimmung, Überwachung, Kontrolle durch den Staat, Sicherheitskonzepte und Schuld, und ihr neues Stück könnte als böses Menetekel und als Orwellsche Fantasie gelesen werden. Auch Kafka ist nicht weit. Ein Mann findet sich in einem ihm unbekannten Zimmer wieder, unter Leuten, die er nicht kennt und die behaupten, sie seien seine "Familie". Doch offensichtlich stimmt dabei etwas nicht. Schon die Begrüßung ist merkwürdig.
"Ich bin nicht Thomas."
"Auf dem Sofa ist immer Thomas."
Eine Frau, Betty, behauptet, mit ihm verheiratet zu sein, die Älteren sollen Schwiegermutter und deren Ex-Mann sein. Doch alles ist verkehrt. Denn der Vater, Leo, ist eine Frau, die Schwiegermutter Christa ein Mann. Sie haben merkwürdige Schrunden und Wunden, die Tür des Zimmers ist abgeschlossen, niemand kommt hier raus. Ab und zu kommen "Krankenschwestern" vorbei, die aber nicht fürsorglich sind, sondern Antibiotika spritzen oder Desinfektionsmittel versprühen oder die Patienten mit fürchterlichen Schläuchen quasi intubieren, um ihnen Brei zu verabreichen. Ein Albtraum, aus dem der Neuzugang, den sie Thomas nennen, ein erfolgreicher Banker, nicht heraus findet. Ist er in einer Irrenanstalt gelandet oder gefangen von BKA- oder Geheimdienst? Und warum zitiert Betty, die Kassiererin sein soll, Immanuel Kant? Warum soll "Thomas", kaum dass er sich an den Gedanken einer Ehefrau gewöhnt hat, plötzlich Bettys Bruder sein? Und war diese wirklich jahrelang in einem Keller gefangen gehalten?
Juli Zeh hat ein ganzes Geflecht an Gedankenspielen in dieses Stück gelegt, das beim Lesen manchmal wirkt wie eine schlechte Parodie tagesaktueller Themen von der Terrorgefahr über den Fall Kampusch bis zur Sicherungsverwahrung.
"Ich will meine Freiheit!"
"Freiheit heißt jetzt Sicherheit."
In Wirklichkeit aber ist es ein glänzendes Enthüllungsdrama mit halb politischer, halb poetisch-philosophischer Botschaft. Denn tatsächlich ist niemand unschuldig, der in diese Anstalt kommt. Der Staat hat die Entsorgung von Schwerkriminellen hoch ökonomisch geregelt, indem er sie mästen lässt, um sie dann als leckeren Braten auf EU-Festbanketten zu servieren. Das ist sozusagen die zugespitzte Variante jener "Fürsorge-Diktatur", wie Juli Zeh sie im Anschluss an Bernhard Kathans "Modernes Herdenmanagement" vor Augen hat, in der der Mensch durch allerlei kapitalistische Vorsorge-, Sicherheits- und Selektionsmechanismen die eigene Unterwerfung konsumiert - mit Hilfe von Serviceangeboten.
Zimmer "203" leistet Widerstand - nicht durch Flucht oder Revolte, sondern durch das Erzählen von Geschichten. Deren Material liefern Zeitungen, die Wärterinnen oder die eigene Biografie. Als "Thomas" das verstanden hat, hört er auf zu kämpfen und speist sich mit ein in die Familien-Erzählung, die Zimmer "203" etabliert hat und in der alles möglich scheint, auch die Aufarbeitung von Schuld, vor allem die eigene Freiheit. Leo sagt einmal wörtlich: "Solange wir erzählen, sind wir frei!"
Das Stück ist weniger Anklage gegen einen faschistischen Überwachungs- und Entsorgungsapparat als vielmehr tröstliche Aufklärung: Geschichten sind Überlebens-Mittel. Jenseits von Wahrheit oder Lüge, unter den Bedingungen von totaler Kontrolle oder totalem Ausgeliefertsein geben sie, was jeder braucht: Identität.
Die Düsseldorfer Uraufführung ist gelungen vor allem auch wegen der Bühne von Alexander Müller-Elmau: Ein überdimensionales Hirschgeweih auf überdimensional vergrößertem Tapetenmuster insinuiert, dass alles auch ein Albtraum sein könnte. Dieser weitere doppelte Boden nimmt dem Stück die Schwere. Die Wärterinnen sehen aus wie Gärtnerinnen an Halloween. Ironische Fingerzeige statt erhobenem Zeigefinger, mit überzeugenden Schauspielern flott inszeniert. Bravo.
"Ich bin nicht Thomas."
"Auf dem Sofa ist immer Thomas."
Eine Frau, Betty, behauptet, mit ihm verheiratet zu sein, die Älteren sollen Schwiegermutter und deren Ex-Mann sein. Doch alles ist verkehrt. Denn der Vater, Leo, ist eine Frau, die Schwiegermutter Christa ein Mann. Sie haben merkwürdige Schrunden und Wunden, die Tür des Zimmers ist abgeschlossen, niemand kommt hier raus. Ab und zu kommen "Krankenschwestern" vorbei, die aber nicht fürsorglich sind, sondern Antibiotika spritzen oder Desinfektionsmittel versprühen oder die Patienten mit fürchterlichen Schläuchen quasi intubieren, um ihnen Brei zu verabreichen. Ein Albtraum, aus dem der Neuzugang, den sie Thomas nennen, ein erfolgreicher Banker, nicht heraus findet. Ist er in einer Irrenanstalt gelandet oder gefangen von BKA- oder Geheimdienst? Und warum zitiert Betty, die Kassiererin sein soll, Immanuel Kant? Warum soll "Thomas", kaum dass er sich an den Gedanken einer Ehefrau gewöhnt hat, plötzlich Bettys Bruder sein? Und war diese wirklich jahrelang in einem Keller gefangen gehalten?
Juli Zeh hat ein ganzes Geflecht an Gedankenspielen in dieses Stück gelegt, das beim Lesen manchmal wirkt wie eine schlechte Parodie tagesaktueller Themen von der Terrorgefahr über den Fall Kampusch bis zur Sicherungsverwahrung.
"Ich will meine Freiheit!"
"Freiheit heißt jetzt Sicherheit."
In Wirklichkeit aber ist es ein glänzendes Enthüllungsdrama mit halb politischer, halb poetisch-philosophischer Botschaft. Denn tatsächlich ist niemand unschuldig, der in diese Anstalt kommt. Der Staat hat die Entsorgung von Schwerkriminellen hoch ökonomisch geregelt, indem er sie mästen lässt, um sie dann als leckeren Braten auf EU-Festbanketten zu servieren. Das ist sozusagen die zugespitzte Variante jener "Fürsorge-Diktatur", wie Juli Zeh sie im Anschluss an Bernhard Kathans "Modernes Herdenmanagement" vor Augen hat, in der der Mensch durch allerlei kapitalistische Vorsorge-, Sicherheits- und Selektionsmechanismen die eigene Unterwerfung konsumiert - mit Hilfe von Serviceangeboten.
Zimmer "203" leistet Widerstand - nicht durch Flucht oder Revolte, sondern durch das Erzählen von Geschichten. Deren Material liefern Zeitungen, die Wärterinnen oder die eigene Biografie. Als "Thomas" das verstanden hat, hört er auf zu kämpfen und speist sich mit ein in die Familien-Erzählung, die Zimmer "203" etabliert hat und in der alles möglich scheint, auch die Aufarbeitung von Schuld, vor allem die eigene Freiheit. Leo sagt einmal wörtlich: "Solange wir erzählen, sind wir frei!"
Das Stück ist weniger Anklage gegen einen faschistischen Überwachungs- und Entsorgungsapparat als vielmehr tröstliche Aufklärung: Geschichten sind Überlebens-Mittel. Jenseits von Wahrheit oder Lüge, unter den Bedingungen von totaler Kontrolle oder totalem Ausgeliefertsein geben sie, was jeder braucht: Identität.
Die Düsseldorfer Uraufführung ist gelungen vor allem auch wegen der Bühne von Alexander Müller-Elmau: Ein überdimensionales Hirschgeweih auf überdimensional vergrößertem Tapetenmuster insinuiert, dass alles auch ein Albtraum sein könnte. Dieser weitere doppelte Boden nimmt dem Stück die Schwere. Die Wärterinnen sehen aus wie Gärtnerinnen an Halloween. Ironische Fingerzeige statt erhobenem Zeigefinger, mit überzeugenden Schauspielern flott inszeniert. Bravo.