Jasper Barenberg: Seit fast einem Jahr kämpft Edeka darum, den angeschlagenen Rivalen Kaiser’s Tengelmann übernehmen zu dürfen. Das Kartellamt war allerdings strikt gegen die Fusion der beiden Supermarktketten. Doch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jetzt mit einer sogenannten Ministererlaubnis über das Veto des Kartellamts hinweggesetzt. Bis zu sieben Jahre Arbeitsplatzsicherheit, Mitbestimmung und Tarifbindung für Mitarbeiter, für den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister sind diese Auflagen genug gute Gründe, das umstrittene Geschäft doch zu genehmigen. Das sieht der Vorsitzende der beratenden Monopolkommission allerdings ganz anders. Aus Protest gegen diese Entscheidung ist der Bonner Handelsrechtler Daniel Zimmer von seinem Posten zurückgetreten. Wie andere Kritiker befürchtet er Nachteile für den Wettbewerb, aber auch für die Beschäftigten und am Ende für uns Verbraucher.
Über diese Entscheidung und die Folgen können wir in den nächsten Minuten mit Arno Peukes sprechen, dem Handelsexperten bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Schönen guten Morgen, Herr Peukes.
Arno Peukes: Guten Morgen!
Barenberg: Befürworten Sie die Entscheidung von Sigmar Gabriel?
Peukes: Na ja. Mit der Entscheidung von Herrn Gabriel ist ja zum ersten Mal der Fortbestand von Tarifverträgen und Mitbestimmungsstrukturen zum wesentlichen Merkmal einer Übernahme gemacht worden. Von daher: Das gibt den Kolleginnen und Kollegen Sicherheit. Das begrüßen wir natürlich.
Barenberg: Gehören denn solche Dinge wie Arbeitsbedingungen, Tarifbestimmungen, Mitbestimmungsrechte, gehört das in eine solche Beratung über ein solches Kartellverfahren?
Tarifansprüche müssen gesichert werden
Peukes: Na ja, aus unserer Sicht auf jeden Fall. Weil wenn Sie mal andere Beispiele sich angucken, stellen Sie fest: Unternehmen werden gekauft, werden zerschlagen und die Beschäftigten verlieren ihre Mitbestimmungsstrukturen und verlieren vor allen Dingen ihre Tarifansprüche und damit wesentliche Einkommensbestandteile.
Barenberg: Ich war immer der Meinung, dass Arbeitsbedingungen, Entlohnung und solche Dinge in Tarifgespräche gehören.
Peukes: Na ja, das ist ja auch jetzt so. Es gibt die Bedingungen, die der Minister genannt hat. Die Bedingungen müssen jetzt in Tarifverträgen zwischen der Edeka und zwischen Verdi und der NGG umgesetzt werden. Von daher bleibt das natürlich Teil der Tarifverhandlungen.
Barenberg: Und für Sie reicht es aus die Arbeitsplatzgarantie für einige Jahre aus, um all die Bedenken, was das Wettbewerbsthema angeht, in den Wind zu schlagen?
Peukes: Das reicht für uns natürlich nicht aus. Aber ich finde, man muss zwei Sachen voneinander trennen. Das eine ist: Wir haben den Verkauf von Kaiser’s Tengelmann. Wir haben viele Kolleginnen und Kollegen, die davon betroffen sind. Die haben natürlich jetzt kurzfristig ein starkes Interesse an der Sicherung ihrer Arbeitsbedingungen und vor allen Dingen an Sicherung ihrer Einkommensbedingungen. Das ist das eine. Das ist mit dem Ministererlass jetzt positiv auf die Wege gebracht. Das, worauf Sie hinausspielen, ist die Frage des Konzentrationsprozesses im Einzelhandel insgesamt. Das ist natürlich ein Thema. Ich bin froh, dass das mal so deutlich in der Öffentlichkeit ist, wie es sonst nie ist. Das ist natürlich ein Thema, dem wir uns widmen müssen. Das wird ein Thema sein, was auch in den nächsten Jahren noch rasant an Fahrt aufnimmt.
Barenberg: Und das der Minister jetzt mit seiner Entscheidung ja noch befördert. Er wird ja die Marktmacht, die Edeka jetzt schon hat, noch weiter stärken damit.
Peukes: Ehrlich gesagt, das sehe ich nicht ganz so. Weil man muss gucken, wer hatte alles Interesse an Kaiser’s Tengelmann. Dann stellt man fest, das sind natürlich keine kleinen Unternehmen, sondern das waren alles die großen Unternehmen, die in den letzten Jahren aber den Konzentrationsprozess, den Sie kritisieren und den wir auch kritisieren, ja geprägt haben. Von daher: Das Thema ist unabhängig davon, ob Kaiser’s Tengelmann an Edeka oder wen anders verkauft wird.
Verkaufsflächenabbau wird zum Thema
Barenberg: Da sehen Sie keinen Unterschied? Es macht keinen Unterschied, wer jetzt zum Zuge kommt? Die Folgen werden die gleichen sein?
Peukes: Was wir im Einzelhandel ja feststellen, ist eine unglaubliche Ausweitung der Verkaufsflächen. Die Konkurrenz entsteht ja dadurch, dass man versucht, möglichst viele Verkaufsflächen in direkter Nachbarschaft herzustellen, um so Druck untereinander zu machen. Wenn wir mal gucken, wie der demographische Wandel ist, dann stellen wir fest, dass in den nächsten Jahren der Bevölkerungsrückgang voranschreiten wird. Wir werden feststellen, dass in den regionalen Bezirken immer weniger Leute wohnen. Von daher wird das Thema Verkaufsflächenabbau und damit auch Arbeitsstellenabbau unabhängig davon, wer heute Kaiser’s Tengelmann kauft, eines der bestimmenden sein.
Barenberg: Das heißt, dieser Schutz der Arbeitsverhältnisse, der jetzt gewährleistet ist mit den Auflagen des Ministers, die nützen den Beschäftigten im Grunde genommen gar nichts?
Peukes: Doch, weil sie nutzen den Beschäftigten heute. Sie nutzen den Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann, die heute dort beschäftigt sind, deren Unternehmen jetzt verkauft wird an die Edeka und die jetzt wissen, dass ihre Einkommenssituation und ihre Mitbestimmungsstruktur erhalten bleibt. Das ist ein Thema. Das zweite Thema ist unabhängig davon. Das ist das, was jetzt durch den Vorsitzenden der Monopolkommission in die Öffentlichkeit getragen wird. Das ist das Thema, wie gehen wir eigentlich um mit der Frage von Konzentrationsprozessen. Und das wäre jetzt mein Thema noch mal: Wie gehen wir damit um, wenn im Rahmen des demographischen Wandels Verkaufsflächen abgebaut werden müssen. Das darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen. Das ist in den letzten Jahren immer zu Lasten der Beschäftigten gegangen, insbesondere in der Frage der Tarifbindung und damit auch in der Frage der Einkommensstruktur. Aber das ist ein wesentliches Thema, was man nicht allein am Thema Kaiser’s Tengelmann festmachen muss, sondern das man gesamtgesellschaftlich im Zusammenhang diskutieren muss.
Barenberg: Aber hier diskutieren wir ja über eine Abwägung zwischen dem Schaden für den Wettbewerb und den Ansprüchen und den Interessen der Beschäftigten, und da sagen die Kritiker, wenn jetzt eine Tengelmann-Filiale und eine Edeka-Filiale auf gegenüberliegenden Straßenseiten liegt, dann wird die Edeka-Filiale zugemacht, und da kann der Minister gar nichts dagegen unternehmen mit dieser Vereinbarung.
Viele Beschäftigungsverhältnisse ohne Anspruch auf Tarifzahlung
Peukes: Erst einmal muss man ja feststellen, dass das Prinzip der Edeka ja dadurch funktioniert, dass sie weitestgehend privatisierte Märkte haben. Das heißt, es wird auch nicht bestimmt durch die Edeka, dass ein Laden geschlossen wird, sondern es wird bestimmt dadurch, dass wir da eigenständige private Kaufleute haben. Das für uns Wesentliche ist, dass wir einfach feststellen, dass gerade durch die privatisierten Lebensmittel-Einzelhandelsläden dort viele Beschäftigungsverhältnisse sind, wo die Kolleginnen und Kollegen keine Ansprüche auf Tarifbezahlung haben. Und wenn Sie wissen, wie die Einkommensstruktur im Einzelhandel ist, dann wissen Sie, dass auch Verkäuferinnen und Kassiererinnen, die tarifgebunden sind, schon nicht übermäßig viel verdienen. Aber wenn ich dann weiß, dass in anderen Läden die Einkommen zehn, 15 Prozent noch niedriger sind, dann ist das für die Kolleginnen und Kollegen eine Existenzfrage.
Barenberg: Zu den Einwänden gehört ja auch, dass es am Ende für uns Verbraucher Nachteile geben wird, weil es weniger Auswahl gibt und dadurch am Ende höhere Preise. Zählt das für Sie nicht?
Peukes: Für mich zählt das alles, aber ich finde es falsch, das Thema alleine am Verkauf von Kaiser’s Tengelmann zu machen. Ich habe das Gefühl, ich habe ja gestern auch das eine oder andere von Politikern gehört, als wenn Menschen zum ersten Mal gehört hätten, dass wir einen Konzentrationsprozess haben und dass wir eine unglaubliche Flucht aus der Tarifbindung im Einzelhandel haben. Das sind alles Themen, die man in der Tat mal diskutieren muss. Nur man kann sie nicht losgelöst oder nur begrenzt auf das Thema Kaiser’s Tengelmann fokussieren.
"Thema Armut und Altersarmut ist gerade eines der bestimmenden Themen"
Barenberg: Aber sollte man nicht an diesem Fall aufgehängt über die konkreten Folgen diskutieren, die das hat, und da gibt es kritische Stimmen, die sagen, im Grunde genommen ist es für die Beschäftigten auf längere Sicht gar nicht sinnvoll und für uns Verbraucher auch nicht, und für die Produzenten im Übrigen, Landwirte, beispielsweise Milchbauern, auch nicht, weil Edeka noch eine stärkere Marktmacht bekommt durch diese Entscheidung.
Peukes: Eine längerfristige Diskussion über die Frage von Konzentrationsprozessen und die Frage von Einkommensbedingungen im Einzelhandel, da ist Verdi der erste Ansprechpartner, weil das ist genau das Thema, was wir schon seit einiger Zeit auch diskutieren oder versuchen, in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Das ist ja das, was ich gerade versucht habe zu sagen. Da geht es darum, unter welchen Bedingungen, unter welchen Einkommensbedingungen arbeiten Menschen. Wenn ich das noch mal sagen darf: Das Thema Armut und Altersarmut ist gerade eines der bestimmenden Themen für die Beschäftigten im Einzelhandel. Von daher: Die Diskussion jederzeit gerne!
Barenberg: Arno Peukes, der Handelsexperte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
Peukes: Gerne! Tschüss!
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