Seit sieben Jahren lebt und arbeitet Thomas Demmelhuber in arabischen Ländern. Phasenweise. Von 2005 bis 2008 nahezu durchgängig in Ägypten. Dann in Kuwait, Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Der Juniorprofessor für Politikwissenschaft befragt die Menschen nach ihrer politischen und ökonomischen Zufriedenheit, aber auch nach ihrer Internetnutzung: War es nun tatsächlich eine "Facebook-Revolution", die den arabischen Frühling in Ägypten auslöste? Sind Twitter, Facebook, Blogs und YouTube gar "Befreiungstechnologien", wie immer wieder kolportiert wurde? Nein, sagt Prof. Thomas Demmelhuber. Das wäre eine zu einseitige Sicht und verkürzt die Wirkungsmöglichkeiten digitaler und vor allem sozialer Medien.
"… denn auf die Frage hin, woher bekamen Sie denn während der 18 Tage des Protestes Ihre Informationen, antworteten 97 Prozent der Befragten "Über das Fernsehen". Nur 15 Prozent über soziale Netzwerke. Also hier sehen Sie natürlich auch eine große Lücke innerhalb dessen, wo hier Informationen weitergegeben werden, wo Informationen hier eben auch kommuniziert werden. Summa summarum, diese ganzen Punkte zusammenführend, glaube ich, dass es A verkürzt war, B einfach nicht das gesamte Bild der politischen Veränderungsdynamik treffend wiedergibt hier, von einer Facebook-Revolution oder wie auch immer zu sprechen."
Dass am Ende Millionen von Menschen zum Tahrir-Platz – dem Platz der Befreiung - im Herzen von Kairo kamen, um gegen das Mubarak-Regime zu demonstrieren, das war nach Ansicht des Politikwissenschaftlers eher anderen Faktoren geschuldet. An erster Stelle nennt Thomas Demmelhuber den hohen Grad von politischer und ökonomischer Unzufriedenheit in der Masse der Bevölkerung. Nicht minder wichtig war die augenscheinliche Duldung der Proteste durch Polizei und Militär. Für viele ein Signal, dort hinzugehen. Facebook und andere Plattformen im Internet spielten nur am Anfang eine Rolle, als junge Laptop-Aktivisten den Protest in Gang brachten. Für Prof. Marianne Kneuer, Leiterin des Bereichs Politikwissenschaften an der Uni Hildesheim, ist das Internet per se weder demokratisch noch kann es Demokratie erzeugen.
"Wir hatten solche Phänomene im Iran. Dort wurden auch soziale Medien benutzt. Ähnlich wie auch in Ägypten und Tunesien, und dennoch ist es nicht zu einer Revolution gekommen. Das zeigt sehr deutlich, dass eben die Medien nicht der Faktor sind, der letztendlich entscheidende Faktor, sondern dass die Medien eine Plattform sind, ein Kanal, auf dem Protest transportiert werden kann, auch mit dem man Protest besser, schneller, effektiver organisieren kann. Aber die Medien sind nicht der Auslöser von Revolutionen, und sie können auch nicht Demokratie erzeugen."
"Virtuelle Plattformen wirken sozial und politisch eher "atomisierend", urteilt die Politologin: Jeder Akteur sitzt quasi allein vor seinem Rechner. Politische Bewegungen gewinnen aber nur dann an Einfluss, wenn sich Menschen real formieren – zum Beispiel als religiös motivierte Glaubensgemeinschaft nach dem Freitagsgebet vor der Moschee. Nicht rein zufällig haben solche Gruppierungen heute mehr Einfluss in Ägypten als die virtuell operierende Laptop-Generation, die den Protest anfangs anstieß."
"Nach einer Revolution brauchen wir im Prinzip einen Neuaufbau einer Gesellschaft. Kräfte müssen sich bündeln, es müssen sich Parteien bilden, es müssen sich Interessengruppen bilden. Dazu bedarf es eben dieser Bündelungsprozesse. Wenn wir aber eine Gesellschaft haben, die hochmobilisiert ist durch diese Phase des Umbruchs und der Revolution, und eine Gesellschaft haben, die eben durch diese Form der Kommunikation über soziale Medien eher atomisiert ist, dann – so ist zumindest unsere Hypothese – bedeutet das für die Zeit nach der Revolution, dass es möglicherweise schwierig werden wird, diese Bündelungsprozesse stattfinden zu lassen."
Die aktuellen Entwicklungen in Ägypten bestätigen die Hypothese, denn tatsächlich spielen die Facebook-Aktivisten der ersten Stunde im heutigen Machtgefüge kaum noch eine Rolle. Das Ruder haben andere übernommen: Mit Präsident Mohammed Mursi sitzen vor allem die Moslembrüder an den Schaltstellen der Macht. Für die Protestler auf dem Tahrir-Platz sieht Prof. Demmelhuber nur wenig Chancen, dass sie ihre Vorstellungen politisch umsetzen können:
"Die Muslimbrüder sind quer durch die ägyptische Gesellschaft, quer durch alle sozialen Schichten bestens verankert. Sie schauen auf eine lange Geschichte zurück. Sie gibt es seit 1928. Und sie konnten aufgrund ihres hohen Institutionalisierungsgrades erfolgreich schneller dieses machtpolitische Vakuum bedienen. Genau diesen Prozess haben die Protagonisten der ersten Stunde verschlafen: nach dem artikulierten Protest auf der Straße auch einen Institutionalisierungsprozess zu lancieren. Sie glaubten, dass sie über die Artikulation und Kommunikation ihrer Interessen – ihres Protestes auf der Straße – auch genügend Einfluss nehmen können auf Art und Weise der politischen Veränderung."
Nach Ansicht von Thomas Demmelhuber sei es obendrein sehr unwahrscheinlich, dass die Facebook-Aktivisten der ersten Stunde noch einmal Millionen von Menschen auf die Straße holen können, um gegen Präsident Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder zu demonstrieren. Viele Ägypter – so die Begründung - wollen politische Stabilität, damit es nun auch ökonomisch wieder vorangeht. Auch die Militärs werden sich nicht noch einmal auf die Seite der Opposition begeben, nachdem ihnen Präsident Mohammed Mursi eine umfängliche Machtfülle garantiert hat: Das alles seien schlechte Bedingungen für eine erneute und erfolgreiche Revolte. Vielmehr könne die säkular eingestellte Opposition in Ägypten nur noch verlieren, so der Politologe, auch beim bevorstehenden Referendum über die Verfassung.
"Wenn sie partizipieren, wenn sie teilnehmen an dem geplanten Referendum am 15. Dezember und mit "Nein" stimmen, geben sie dieser Verfassung natürlich einen kompetitiven Wert und den Anstrich demokratischer Legitimität. Wenn sie diese Abstimmung, dieses Referendum, boykottieren, steht von vornherein fest, wer die Mehrheit bekommt, sodass die Lage momentan also sehr auswegslos erscheint. Und diese tiefen Trennlinien, die quer durch die ägyptische Gesellschaft verlaufen, mitnichten in irgendeiner Art und Weise kitten könnten."
"… denn auf die Frage hin, woher bekamen Sie denn während der 18 Tage des Protestes Ihre Informationen, antworteten 97 Prozent der Befragten "Über das Fernsehen". Nur 15 Prozent über soziale Netzwerke. Also hier sehen Sie natürlich auch eine große Lücke innerhalb dessen, wo hier Informationen weitergegeben werden, wo Informationen hier eben auch kommuniziert werden. Summa summarum, diese ganzen Punkte zusammenführend, glaube ich, dass es A verkürzt war, B einfach nicht das gesamte Bild der politischen Veränderungsdynamik treffend wiedergibt hier, von einer Facebook-Revolution oder wie auch immer zu sprechen."
Dass am Ende Millionen von Menschen zum Tahrir-Platz – dem Platz der Befreiung - im Herzen von Kairo kamen, um gegen das Mubarak-Regime zu demonstrieren, das war nach Ansicht des Politikwissenschaftlers eher anderen Faktoren geschuldet. An erster Stelle nennt Thomas Demmelhuber den hohen Grad von politischer und ökonomischer Unzufriedenheit in der Masse der Bevölkerung. Nicht minder wichtig war die augenscheinliche Duldung der Proteste durch Polizei und Militär. Für viele ein Signal, dort hinzugehen. Facebook und andere Plattformen im Internet spielten nur am Anfang eine Rolle, als junge Laptop-Aktivisten den Protest in Gang brachten. Für Prof. Marianne Kneuer, Leiterin des Bereichs Politikwissenschaften an der Uni Hildesheim, ist das Internet per se weder demokratisch noch kann es Demokratie erzeugen.
"Wir hatten solche Phänomene im Iran. Dort wurden auch soziale Medien benutzt. Ähnlich wie auch in Ägypten und Tunesien, und dennoch ist es nicht zu einer Revolution gekommen. Das zeigt sehr deutlich, dass eben die Medien nicht der Faktor sind, der letztendlich entscheidende Faktor, sondern dass die Medien eine Plattform sind, ein Kanal, auf dem Protest transportiert werden kann, auch mit dem man Protest besser, schneller, effektiver organisieren kann. Aber die Medien sind nicht der Auslöser von Revolutionen, und sie können auch nicht Demokratie erzeugen."
"Virtuelle Plattformen wirken sozial und politisch eher "atomisierend", urteilt die Politologin: Jeder Akteur sitzt quasi allein vor seinem Rechner. Politische Bewegungen gewinnen aber nur dann an Einfluss, wenn sich Menschen real formieren – zum Beispiel als religiös motivierte Glaubensgemeinschaft nach dem Freitagsgebet vor der Moschee. Nicht rein zufällig haben solche Gruppierungen heute mehr Einfluss in Ägypten als die virtuell operierende Laptop-Generation, die den Protest anfangs anstieß."
"Nach einer Revolution brauchen wir im Prinzip einen Neuaufbau einer Gesellschaft. Kräfte müssen sich bündeln, es müssen sich Parteien bilden, es müssen sich Interessengruppen bilden. Dazu bedarf es eben dieser Bündelungsprozesse. Wenn wir aber eine Gesellschaft haben, die hochmobilisiert ist durch diese Phase des Umbruchs und der Revolution, und eine Gesellschaft haben, die eben durch diese Form der Kommunikation über soziale Medien eher atomisiert ist, dann – so ist zumindest unsere Hypothese – bedeutet das für die Zeit nach der Revolution, dass es möglicherweise schwierig werden wird, diese Bündelungsprozesse stattfinden zu lassen."
Die aktuellen Entwicklungen in Ägypten bestätigen die Hypothese, denn tatsächlich spielen die Facebook-Aktivisten der ersten Stunde im heutigen Machtgefüge kaum noch eine Rolle. Das Ruder haben andere übernommen: Mit Präsident Mohammed Mursi sitzen vor allem die Moslembrüder an den Schaltstellen der Macht. Für die Protestler auf dem Tahrir-Platz sieht Prof. Demmelhuber nur wenig Chancen, dass sie ihre Vorstellungen politisch umsetzen können:
"Die Muslimbrüder sind quer durch die ägyptische Gesellschaft, quer durch alle sozialen Schichten bestens verankert. Sie schauen auf eine lange Geschichte zurück. Sie gibt es seit 1928. Und sie konnten aufgrund ihres hohen Institutionalisierungsgrades erfolgreich schneller dieses machtpolitische Vakuum bedienen. Genau diesen Prozess haben die Protagonisten der ersten Stunde verschlafen: nach dem artikulierten Protest auf der Straße auch einen Institutionalisierungsprozess zu lancieren. Sie glaubten, dass sie über die Artikulation und Kommunikation ihrer Interessen – ihres Protestes auf der Straße – auch genügend Einfluss nehmen können auf Art und Weise der politischen Veränderung."
Nach Ansicht von Thomas Demmelhuber sei es obendrein sehr unwahrscheinlich, dass die Facebook-Aktivisten der ersten Stunde noch einmal Millionen von Menschen auf die Straße holen können, um gegen Präsident Mohammed Mursi und seine Muslimbrüder zu demonstrieren. Viele Ägypter – so die Begründung - wollen politische Stabilität, damit es nun auch ökonomisch wieder vorangeht. Auch die Militärs werden sich nicht noch einmal auf die Seite der Opposition begeben, nachdem ihnen Präsident Mohammed Mursi eine umfängliche Machtfülle garantiert hat: Das alles seien schlechte Bedingungen für eine erneute und erfolgreiche Revolte. Vielmehr könne die säkular eingestellte Opposition in Ägypten nur noch verlieren, so der Politologe, auch beim bevorstehenden Referendum über die Verfassung.
"Wenn sie partizipieren, wenn sie teilnehmen an dem geplanten Referendum am 15. Dezember und mit "Nein" stimmen, geben sie dieser Verfassung natürlich einen kompetitiven Wert und den Anstrich demokratischer Legitimität. Wenn sie diese Abstimmung, dieses Referendum, boykottieren, steht von vornherein fest, wer die Mehrheit bekommt, sodass die Lage momentan also sehr auswegslos erscheint. Und diese tiefen Trennlinien, die quer durch die ägyptische Gesellschaft verlaufen, mitnichten in irgendeiner Art und Weise kitten könnten."