Archiv

Überschreitung der Schadstoff-Grenzwerte
Die Angst der Münchner vor einem Dieselfahrverbot

Die Pendler-Metropole München ist Deutschlands Diesel-Hauptstadt. Kein Wunder, dass Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ziemlich dicke Luft entgegenschlug, als er kürzlich ein Dieselverbot androhte. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer spielt dabei offenbar noch auf Zeit.

Von Michael Watzke |
    Ein Linienbus fährt am 27.06.2017 durch eine Straße in München (Bayern).
    Viele Pendler kommen täglich nach München. (dpa / picture alliance / Fabian Nitschmann)
    Das ist die Familienkutsche von Lehrerin Cornelia Sebald aus München.
    "Das ist ein Volvo V70, unser Familienauto. Das ist ein Diesel und eigentlich wollen wir dieses Auto auch noch viele Jahre benutzen."
    Das ist derzeit höchst ungewiss. Denn der schwarze Kombi, Baujahr 2007, erfüllt nur die Abgas-Norm Euro 4. Bisher reichte das für die grüne Innenstadtplakette, die an der Frontscheibe klebt. Schließlich hat der Diesel einen Rußpartikelfilter und stößt deutlich weniger CO2 aus als ein vergleichbarer Benziner.
    "Wir haben das Auto gerade weil es ein Diesel ist gekauft. Für längere Strecken rentiert sich das eher für uns. Wir fürchten einfach jetzt, dass diese finanzielle Planung für uns schwierig wird, wenn wir ein neues Auto kaufen müssten."
    Diese Sorge treibt gerade viele Münchner um, die sowieso schon über hohe Miet- und Lebenshaltungskosten stöhnen. München, die Pendler-Metropole, ist Deutschlands Diesel-Hauptstadt. Fast 50 Prozent der Neuzulassungen sind Selbstzünder. Bei Dienstwagen sogar 70 Prozent. Kein Wunder, dass Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, ziemlich dicke Luft entgegenschlug, als er kürzlich ein Dieselverbot androhte.
    "Ich versteh auch jeden Dieselfahrer, der sich für zigtausend Euro einen Euro5-Diesel gekauft hat. Und der dann liest, der Oberbürgermeister von München sagt, jetzt darf ich nicht mehr in die Stadt fahren. Kann ich komplett nachvollziehen, aber ich bitte um Nachsicht, ich bin nicht die Ursache, sondern der Überbringer der schlechten Nachricht. Die hat man Gott sei Dank nur im Mittelalter geköpft."
    Verursacher der schlechten Nachricht ist Jürgen Resch – und der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat mit diesem Image auch gar kein Problem. Resch droht der Stadt München und anderen Metropolen mit einer Klage.
    "Wir kämpfen für saubere Luft, andere für schmutzige Diesel. Um Fakten auf den Tisch zu legen: Wir haben in unserem Messinstitut aktuelle Diesel und Benziner gemessen. Der Unterschied im Durchschnitt ist, dass der Diesel 50 mal mehr Stickoxide emittiert."
    Deutschland droht ein Verfahren
    Stickstoff-Dioxide, auch NOx genannt, sind kein neues Phänomen. Aber ihre Brisanz hat sich seit der Diesel-Affäre verstärkt. Eine Studie des bayerischen Landesamtes für Umwelt zeigt, dass die Münchner Stadtluft die NOx-Grenzwerte der Europäischen Union regelmäßig überschreitet - an vielen Mess-Stationen. Deshalb könnte die EU zum Jahresende ein Verfahren gegen Deutschland einleiten - wegen Vertragsverletzung. Bayerns WirtschaftsmMinisterin Ilse Aigner denkt deshalb über neue Verkehrskonzepte nach.
    "Wir sind schon auch selbst in der Verantwortung. Wir müssen beim ÖPNV mehr machen, auch die Umstellung bei den Bussen, die auf Gas umgestellt werden können. Wir können auf die Taxis schauen. Wir dürfen nicht nur auf die schauen, die täglich ein mal reinfahren."
    Cormelia Sebald, die Münchner Lehrerin mit dem Volvo V70, hat sich bei ihrer Werkstatt erkundigt. Könnte sie ihren Euro-4-Diesel Stickoxid-mindernd nachrüsten lassen? Die Antwort von Werkstattleiter Andreas Böttcher ist kurz und schmerzvoll:
    "Geht nicht, ist nicht angedacht. Euro-4-Norm ist nicht vorgesehen. Eine Umrüstung für Euro-6-Fahrzeuge, eventuell Euro-5-Fahrzeuge. Allerdings offiziell gibt es dazu noch keine Stellungnahme."
    Kein Markt für gebrauchte Diesel
    "Natürlich ärgern wir uns. Wir haben das Auto 2007 gekauft, da war noch überhaupt nicht die Rede von einem Dieselfahrverbot in München. Jetzt droht uns ein Riesenloch in der Familienkasse, wenn wir das Auto loswerden müssten."
    Wenn es überhaupt verkäuflich wäre. Der Markt für Dieselfahrzeuge – neu oder gebraucht – ist tot, sagt ein Münchner Autohändler, der seinen Namen nicht nennen möchte.
    "Nachfragen absolut null. Auch wenn es um einen Diesel Euro 6 geht."
    Der Verkäufer deutet auf einen Diesel-SUV im Schaufenster seines Ladens. Seit Monaten ein Ladenhüter.
    Verunsicherung erlebt Andreas Böttcher, der Volvo-Werkstattleiter, derzeit täglich. Volvo verkauft 95 Prozent seiner Flotte als Selbstzünder. Jetzt sind die Diesel-Kunden sauer.
    "Vor Jahren hieß es: Diesel sehr wirtschaftlich, sehr effizient. Momentan wissen die Leute nicht mehr, wo sie stehen. Sie wissen nicht, wem sie glauben sollen."
    Seehofer und die Industrie spielen auf Zeit
    Die Auto-Hersteller können oder wollen derzeit auch keine Antworten geben. Die Industrie aber um jeden Preis verhindern, dass Diesel aus Innenstädten verbannt werden. Bertram Brossardt vom Verband der bayerischen Wirtschaft plädiert für eine mindestens fünfjährige Schonfrist.
    "Wir brauchen den Diesel, der uns auf der CO2-Seite sehr hilft. Wir glauben nach wie vor an seine sehr gute Technologie. Für einen Übergangszeitraum müssen wir die besonderen Belange auch in Einklang bringen mit den in den Städten wohnenden Einwohnern. Auf der anderen Seite mit dem notwendigen Zuliefererverkehr mit dem Handel und Dienstleistungen."
    Heute trifft sich der Bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer mit den Chefs der bayerischen Auto-Hersteller BMW, Audi und MAN. Seehofer spielt auf Zeit. Er will radikale Lösungen verhindern – besonders so kurz vor den Wahlen.
    Cormelia Sebald, die Münchner Familienmutter mit dem Volvo-Diesel, denkt derweil schon über Transport-Alternative nach.
    "Die Stadt München bietet an, die Anschaffung eines E-Lastenfahrrads zu subventionieren. Wir überlegen uns, ein solches Fahrrad anzuschauen, in dem alle drei Kinder Platz hätten.