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Überschüsse der EU-Agrarpolitik
Friedhof der Milchpulversäcke

Der Fall der Milchquote sorgt für einen Überschuss von Milch auf dem Markt. Um den weiteren Preisverfall zu stoppen, wird sie aufgekauft und als Milchpulver eingelagert. Längst quillen die Lager innerhalb der EU über, die Säcke liegen auf Halde.

Von Anna Seibt |
    In den Lagerhallen der Firma Vincent Logistics stapeln sich die Milchpulver-Säcke
    12.600 Tonnen Milchpulver, verpackt in Säcken à 1,5 Kilogramm, lagern in den Hallen (Deutschlandradio / Anna Seibt)
    Auf dem Hof von Vincent Logistics herrscht Stille. Nur das stetige Rauschen der nahen Autobahn ist zu hören. Auf dem Parkplatz zwischen den grauen, fensterlosen Lagerhallen stapeln sich Hunderte leere gelbe Bierkästen, die darauf warten, weitertransportiert zu werden. Die Geschäftsführerin Caroline Vergotte überquert mit langen, energischen Schritten den asphaltierten Platz. Sie ist auf der Suche nach ihren Mitarbeitern.
    "So, dann nehme ich Sie mit ins Lager jetzt."
    Hunderter gelber Bierkästen auf dem Parkplatz des belgischen Logistikunternehmens Vincen Logistics
    Draußen stapeln sich leere Bierkisten, drinnen in den Hallen Tonnen von Milchpulver (Deutschlandradio / Anna Seibt)
    Vergotte, lange, blonde Haare, enge, schwarze Jeans und Absatzschuhe, hat sich eine neongelbe Arbeitsjacke über das Büro-Outfit gezogen. Es raschelt bei jeder Bewegung.
    "Le staff sont tous dans la pause du midi?"
    "Oui."
    Milchpulver lagert zwischen Elektrogeräte und Baumaterial
    Vergotte leitet das belgische Logistik-Unternehmen zusammen mit ihrem Ehemann Jean Vincent. Vincent Logistics wurde 1999 in der Nähe von Lüttich gegründet. Auf insgesamt 68.000 Quadratmetern lagern hier Elektrogeräte, Baumaterial, Solarpaneele – und eben Milchpulver. 12.600 Tonnen, verpackt in Säcken à 1,5 Kilogramm. Das sind gerade mal drei Prozent der insgesamt knapp 400.000 Tonnen Milchpulver, die die EU, seit 2016 gekauft hat, um den Milchpreis trotz Überproduktion zu stabilisieren.
    "Die Lagerhaltung hat im letzten Jahr 2017 immerhin 9,7 Millionen Euro gekostet. Und zusätzlich wird das Pulver noch jeden Tag weniger wert."
    Für Romuald Schaber ist das ein Skandal. Er ist der Präsident des European Milk Board, des Dachverbands der europäischen Milchbauern.
    "Also, man muss schon schauen, dass das Pulver wieder aus dem Lager rauskommt, bevor es wertlos ist. Aber zu vernünftigen, zu marktfähigen Preisen und nicht so wie bei den letzten Ausschreibungen, dass sie dann für 1.100 Euro die Tonne regelrecht verschleudert haben."
    EU-Politiker suchen Ausweg aus Misere
    Während Europas Politiker weiter nach Wegen aus der Milchpulver-Misere suchen, gibt sich Caroline Vergotte gelassen. Sie steht zwischen den gestapelten Säcken und schaut sich um. Rein lagertechnisch sei Milchpulver auch nicht anspruchsvoller als andere Güter, meint sie:
    "Die Lagerhallen müssen natürlich sauber sein, müssen gut gepflegt sein, es gibt da gewisse Vorschriften, die wir einhalten müssen, aber das ist alles kein Problem. Die Temperaturüberwachung, die Feuchtigkeitsüberwachung sind dabei sehr wichtig. Aber das machen wir in allen Lagerhallen für alle Kunden, also nicht nur spezifisch auf dieses Milchpulver bezogen."
    Seit knapp zwei Jahren liegt das Pulver nun schon bei Vincent Logistics. Drei Jahre lang ist es haltbar. Bevor es unbrauchbar wird, will die EU einen Verwendungszweck dafür finden. Die Chefin des Logistik-Unternehmens profitiert zwar finanziell vom Milchpulver-Problem der EU. Allzu lange will aber auch sie ihre Lagerhallen nicht blockiert sehen:
    "Wir haben natürlich auch andere Kunden, die wir auch bedienen müssen. Das nimmt schon ziemlich viel Platz in unserem Lager ein. Vor allem weil wir auch Kunden haben, die dann auf einmal hohe Peaks haben, die wir bewältigen müssen, deswegen müssen wir dann auch über einen gewissen Zeitraum diesen Platz freihalten, damit wir diese Peaks dann auch annehmen können."
    In den Regalen in den Lagerhallen der Firma Vincent Logistics stapeln sich die Milchpulver-Säcke
    Seit knapp zwei Jahren liegt das Pulver nun schon bei Vincent Logistics. Drei Jahre lang ist es haltbar (Deutschlandradio / Anna Seibt)
    Milchpulverhalde: schneller Abbau eher unwahrscheinlich
    Güter, die liegen und liegen und liegen – so läuft das Geschäft der Logistikfirma eigentlich nicht. Im Gegenteil: Normalerweise liegt die Herausforderung darin, dass der Bedarf der Kunden schwankt. Vincent Logstics muss schnell auf Kundenwünsche reagieren. Und einiges mehr leisten, als es Europas Milchpulver-Säcke verlangen: Die Waren werden nicht nur gelagert, sondern auch geprüft und weiter transportiert, erklärt die Chefin. Das gehe so weit, dass manche Kunden ihre eigene Ware gar nicht mehr zu Gesicht bekämen:
    "Es kann auch sein, dass der Kunde nur Waren importiert und nicht selbst produziert. Dann kommen die mit dem Container hier an, wir scannen die ein, der Kunde hat Zugriff auf diese Bestände und kann dann so planen, wie der Bestand hier am Lager ist und gibt uns dann die Info, was rausgehen soll, zu welchem Zeitpunkt, und es muss natürlich alles sehr schnell gehen."
    Pulver soll nicht als Nahrungsmittel verkauft werden
    Schnell wird die europäische Milchpulverhalde wohl nicht abgebaut werden, und auch Vincent Logistics hat keine Handhabe, da das Unternehmen einen Vertrag mit offenem Ende abgeschlossen hat. Fest steht, dass das Pulver nicht als Nahrungsmittel verkauft werden soll. Denn beim letzten Versuch, es loszuwerden, wurden nur sehr geringe Preise erzielt. Verfüttern also, verbrennen womöglich? Maria Heubuch, Abgeordnete im EU-Parlament für die Grünen, ist selber Milchbäuerin und unterstützt diese Ideen. Allzu ehrgeizig ist wohl niemand mehr. Hauptsache, die Milchpulver-Halde verschwindet.
    "Futter finde ich ist die nächste Stufe, ist eine sehr vernünftige Idee. Es ist angedacht von der Kommission für Kälber, aber ich glaube, Schweine wäre die Menge, wo man mehr unterbringen könnte. Müsste man peu à peu einfach mit zumischen. Notfalls in Biogasanlagen verbrennen. Das wäre dann natürlich die letzte Option."
    Kein weiterer Anstieg vereinbart
    Zum Wochenbeginn haben die EU-Agrarminister immerhin eines beschlossen: In diesem Jahr soll der Milchpulverberg nicht weiter ansteigen. Auf genau null Tonnen ist die Menge festgesetzt worden, die die EU verpflichtend aufkaufen muss. Das heißt allerdings nicht, dass die EU kein Milchpulver mehr aufkaufen darf, wenn die Bauern Hilfe benötigen.
    Die Mittagspause ist vorbei. Bei Vincent Logistics rollen die Gabelstapler wieder hin und her. Nicht mit Milchpulversäcken. Metall-Teile werden verladen. Es wird noch eine Weile dauern, bis Caroline Vergotte die Lagerhalle wieder zur freien Verfügung hat.