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Übersetzerin zu Protesten in Belarus
"Alles, was abweicht, muss weg"

Der belarussische Protest hat eine Farbe und ein Geschlecht. Er ist rot-weiß und weiblich. Auch die Übersetzerin Iryna Herasimovich ist mitten im Geschehen. Sie habe natürlich schon an Ausreise gedacht, sagte sie im Dlf, andererseits habe sie die Hoffnung auf Änderung noch nicht aufgegeben.

Iryna Herasimovich im Gespräch mit Michael Köhler |
Drei Performancekünstlerinnen posieren mit einer protestierenden Bürgerin in Minsk. Sie demonstrieren friedlich gegen den belarusischen Präsidenten Lukaschenko. Valery Sharifulin/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0E3700
Performancekünstlerinnen bei den Protesten in Minsk gegen den belarussischen Präsidenten Lukaschenko (imago images / ITAR-TASS / Valery Sharifulin)
Die Bilder protestierender Menschen mit weiß-rot geschminkten Gesichtern und Fahnen der Nationalflagge aus der kurzen Zeit der Unabhängigkeit sind ein friedliches Symbol des Widerstands gegen das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko. Die Farben sind aber überall zu sehen. Jeden Sonntag, wenn es Solidaritätskundgebungen in vielen belarussischen Städten und auch in anderen Ländern gibt. Denn die Machtprobe zwischen Staat und Protestbewegung eskaliert. "Gefährlich ist, dass plötzlich etwas sichtbar geworden ist, was abweicht von der offiziellen Linie oder den offiziellen Farben. Und das bedeutet Vielfalt. Und Vielfalt stellt eine große Gefahr für diese sehr monochrome, sehr monolithe Ordnung dar", sagte die belarussische Übersetzerin Iryna Herasimovich im Dlf. "Alles, was abweicht, muss weg."

"Ja, ich habe Angst"

Literatur oder überhaupt eine Kunst, die im Zeichen der Vielfalt stünde, habe schon immer Zensur in Belarus erfahren. Der Staat versuche gerade noch stärker, seine Macht zu demonstrieren, so Herasimovich, die immer wieder auch an Ausreise denke: "Ja, ich habe Angst. Ich glaube, alle, die der alternativen Kulturszene angehören, haben in diesen Tagen Angst. Unter uns machen wir Witze, die eigentlich gar nicht lustig sind." Sie hoffe immer noch auf Veränderung, aber sie sei bislang auch wegen ihrer Arbeit geblieben: "Für mich ist es extrem wichtig, dass ich mich auch weiterhin in dem Bereich betätigen kann, indem ich jetzt tätig bin. Das heißt, dass ich mich mit Kunst, Theater und Literatur beschäftigen kann."

Mut zum Menschsein durch die Literatur

Das große Problem sehe sie darin, dass Belarus über Jahre abgeschottet gewesen sei. Trotzdem glaube sie an die Kraft der Kunst und der Literatur, gerade die Gedichte von Paul Celan. "Celan macht Mut, weil er zeigt, dass auch in schwersten Situationen Worte etwas können. Ich glaube, das ist sowas tief Menschliches. Und auf dieser sehr tiefen Ebene entsteht dann dieser Mut einfach zum Menschsein."