Seit über einem Jahrzehnt wird um sie gestritten – politisch und vor Gerichten in Deutschland und Europa. 2005 auf EU-Ebene, 2007 von der damaligen großen Koalition im Bundestag erstmals beschlossen, 2010 in damaliger Form für grundsätzlich möglich, teilweise jedoch verfassungswidrig befunden wurde sie 2015 in veränderter, abgeschwächter Form erneut, wieder von einer großen Koalition beschlossen. Jeder Verbindungsaufbau jedes Bürgers zum Internet, jeder Telefonstandort bei Verbindungsaufbau müsste von den Anbietern nun verdachtsunabhängig gespeichert werden, dazu bei Telefonaten auch die Verbindungsteilnehmer und weitere Kommunikationsumstände.
Alles zumindest an der Grenze des vom Verfassungsgericht Erlaubten, weshalb mehrere Kläger 2016 erneut in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegten. Überraschend erklärte aber dann der Europäische Gerichtshof im Dezember 2016 die europäische Regelung zur anlasslosen, massenhaften und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit Europarecht – noch bevor die deutsche Neuregelung in der Praxis angewandt wurde.
Bundesverfassungsgericht soll EuGH vorlegen
Seitdem ist sie ein reiner Papiertiger: Die Telekommunikationsanbieter müssen nach Verwaltungsgerichtsbeschlüssen vorerst keine Daten speichern, auch wenn das Gesetz dies eigentlich zur Pflicht macht. Vor Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgericht wird juristisch gestritten. Und die Ermittler? Erst wenige Wochen ist es her, da verwies Bundeskriminalamtspräsident Holger Münch auf mangelnde Ermittlungsansätze für Straftaten über das Internet – und forderte zum wiederholten Male die Vorratsdatenspeicherung. Doch das wird wohl nichts werden – eine endgültige Entscheidung könnte sich nun sogar noch einmal Verzögern, wenn es nach dem Willen der schwarz-roten Bundesregierung geht.
Denn aus Schriftsätzen in den Gerichtsverfahren vor Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht, die dem Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks vorliegen, geht hervor: sie will die deutsche Variante der Vorratsdatenspeicherung vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg prüfen lassen. Die Bundesregierung sieht trotz des EuGH-Urteils vom Dezember 2016 "im vorliegenden Fall kein acte éclairé", keine offensichtliche Rechtslage. Damit begründet die Regierung eine Vorlagepflicht sowohl für die Leipziger Verwaltungs- als auch für die Karlsruher Verfassungsrichter. Für Klarheit müssten dann die Luxemburger EuGH-Richter sorgen, ob auch die deutsche Vorratsdatenspeicherung gegen höherrangiges europäisches Recht verstößt.
FDP-Innenpolitiker: Bundesregierung spielt auf Zeit
Der FDP-Innenpolitiker Manuel Höferlin wirft der Bundesregierung vor, aus politischen Gründen möglichst lange an einem rechtswidrigen und infolgedessen unwirksamen Instrument festzuhalten:
"Die Bundesregierung hat kein Interesse daran, eine Rechtsklärung herbeizuführen. Sie hat eher das Interesse möglichst lange Prozesswege durchlaufen zu lassen. Deswegen vielleicht auch der Versuch, das auf europäischer Ebene nochmal klären zu lassen."
Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, betont derweil, wie wichtig die Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten sei: Die Defizite bei der Strafverfolgung im Bereich Kinderpornographie, auf die Ermittlungsbehörden hinwiesen, zeigten besonders drastisch, dass die sogenannte Vorratsdatenspeicherung für eine effektive Strafverfolgung unverzichtbar sei, so ein Sprecher des Innenministeriums.
Barley hält Vorratsdatenspeicherung für europarechtskonform
Auch Bundesjustizministerin Katarina Barley, SPD, hält weiter an ihr fest: "Die Bundesregierung und damit Ministerin Barley halten das deutsche Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten für verfassungs- und europarechtskonform", so ihr Ministerium gegenüber dem Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks. In Barleys Partei, der SPD, war die Vorratsdatenspeicherung lange hochumstritten – und auch heute gibt es Kritik an ihr, bei Abgeordneten wie bei Jugendorganisationen.
"Die Position der Jusos dazu ist relativ eindeutig: wir lehnen anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab. Punkt."
macht der stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Stephan Schumann die Position deutlich. Es gebe keine Belege für die Notwendigkeit und Wirksamkeit der umstrittenen Maßnahme sondern nur Forderungen aus den Sicherheitsbehörden.
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD gibt es keine eindeutige Passage zur Vorratsdatenspeicherung – dort heißt es nur: "Die Sicherheitsbehörden brauchen gleichwertige Befugnisse im Umgang mit dem Internet wie außerhalb des Internets." Laut Vertragstext ist damit gemeint, dass es keinen Unterschied geben soll ob per Messenger-Diensten oder klassischer SMS kommuniziert wird. Derzeit entspricht das der Realität: für beides findet keine Speicherung statt.