Vor einem Restaurant und Teehaus in Yining werden Lammspieße gegrillt. Der tote Leib des Tieres hängt an einem Haken im Kühlschrank vor der Eingangstür. Daneben knistern die offenen Flammen auf dem Holzkohlegrill. Mit einem angeketteten Messer schneidet ein uigurischer Mann das Lammfleisch ab und wirft die Stücke auf den Grill.
"Am Eingang jeder Gasse eine Polizeistation"
Yining ist eine Stadt im Nordwesten der Provinz Xinjiang. Offiziell heißt es "Autonome Uigurische Region Xinjiang". Das muslimische Turkvolk der Uiguren stellt hier etwa die Hälfte der Einwohner, rund zehn Millionen Menschen. Die 17-jährige Akilah ist Uigurin, sie jobbt in dem Restaurant als Kellnerin. Vieles habe sich in Yining zuletzt verändert, erzählt Akilah:
"In jeder Gasse gibt es jetzt am Eingang eine Polizeistation. Jeden Montag haben wir Fahnenappell. Dort sind wir immer etwa 500 Leute. Alle aus der Nachbarschaft müssen dort hin."
Kontrollen, ob zu Hause chinesisch gesprochen wird
Patriotismus-Nachhilfe für die Uiguren. Die Benutzung muslimischer Symbole wie Stern oder Halbmond sind den Uiguren dagegen von der Kommunistischen Partei verboten. Ebenso wie Eltern ihren Kindern keine muslimischen Namen mehr geben dürfen. Um die Uiguren zu kontrollieren, gibt es in Xinjiang ein System von Zwangspaten. Meist Staatsbeamte, die in die Familien hineingehen und z.B. darauf achten, dass chinesisch gesprochen wird. Auch zuhause bei Akilah:
"Sie übernachten bei uns und schauen, was wir den ganzen Tag machen und welche Probleme wir haben. Früher hat das niemanden interessiert. Die Beamten sind meistens Han-Chinesen. Sie kommen alleine oder zu zweit und müssen drei Tage im Monat bei uns übernachten. Einmal kamen zwei Männer, einmal ein Mann und eine Frau. Der Mann schläft dann bei meinem Vater, die Frau bei meiner Mutter."
Peking fürchtet Unruhen und Terroranschläge
In den vergangenen Jahren kam es in der Provinz Xinjiang wiederholt zu Unruhen und terroristischen Anschlägen. Der chinesische Staat macht dafür extremistische Uigurische Gruppen verantwortlich und führt einen rigorosen Anti-Terror-Kampf. Und er greift dabei immer radikaler in die Lebensgestaltung der muslimischen Uiguren ein.
Am Straßenrand in der Uigurischen Altstadt schnitzt und schlägt ein Mann Eissplitter von einem großen Eisblock. Das Eis wird dann in einer Schale mit Joghurt und Zucker verrührt und ergibt Pao Bing – ein traditioneller Straßensnack. Die Menschen sitzen auf kleinen Hockern, unterhalten sich und essen den Joghurt. Im Baum hängt ein Radio.
Moscheeverbot für zahlreiche Personengruppen
Nur wenige Meter weiter vom Eis-Joghurt-Stand steht die 260 Jahre alte Shaanxi-Moschee. Sie ist bewacht und von Zäunen umgeben. Über zweieinhalb Jahrhunderte war dieser Ort ein Mittelpunkt des religiösen Lebens in Yining, die Moschee ist Heimat der muslimischen Hui-Minderheit. Jetzt regelt ein großes, goldfarbenes Hinweisschild am Tor, wer hier alles nicht erwünscht ist. Darauf steht:
"Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Jugendverbandes Chinas; Staatsbedienstete und pensionierte Beamte; Lehrer, Schüler, Studenten und Minderjährige; dürfen die Moschee nicht betreten."
Über Religion zu reden, ist gefährlich
Im Hof der Moschee ist die chinesische Flagge gehisst. Durch den Zaun sieht man große rote Plakate mit kommunistischen und ideologischen Parolen. Am Eingang hängen 360-Grad-Kameras, mit denen die Regierung genau kontrollieren kann, wer die Moschee betritt. Es gibt kaum noch Aspekte des religiösen Lebens in Xinjiang, die von den Behörden als legitim angesehen werden. Sogar der Besitz eines Korans ist verboten.
Ein Mann, der vor Shaanxi-Moschee steht und offenbar dazu gehört, möchte nicht mit uns reden. Schon gar nicht über Religion oder den Islam. Zu gefährlich, sagt er, zu diesen Themen müssten sie schweigen. Auf dem Kopf trägt er eine muslimische Gebetsmütze. Er lässt uns stehen und kauft Knoblauch bei einem fahrenden Händler.
Der Islam soll aus dem Köpfen, die Partei hinein
Die Regierung hat nicht nur die Religionsfreiheit der Muslime immer weiter eingeschränkt. Sie geht noch einen Schritt weiter: Die Behörden in Xinjiang haben ein Netz an Umerziehungslagern aufgebaut. Wie viele Inhaftierte es in diesen Lagern gibt, ist unklar. Die Schätzungen von westlichen Regierungen, Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlern reichen von 120.000 bis zu weit über eine Million Menschen.
Im Internet kursieren Videos, in denen Inhaftierte der Lager in blauen Einheits-Anzügen auf dem Boden sitzen und patriotische, chinesische Lieder singen müssen. Umerziehung durch politische Schulung und zur Loyalität gegenüber der Volksrepublik China und der Kommunistischen Partei. Der Islam soll raus aus den Köpfen, die Partei soll rein in die Köpfe.
Internierung auf unbestimmte Zeit im "Lernkurs"
"Lernkurse", so ist der unter den Leuten gebräuchliche Begriff für die Lager. Schon einfache religiöse Rituale oder der Kontakt zu Westlern können genügen, um in die Lernkurse geschickt zu werden. Die aber de facto Umerziehungslager sind, in denen die meisten für unbestimmte Zeit festgehalten werden.
Kaum einer in Xinjiang traut sich, offen über die Umerziehungslager zu reden. Ein Uigure und Taxifahrer in Yining spricht wenige Sätze dazu mit uns. Aufnehmen dürfen wir während der Fahrt und nur mit dem Handy.
"Es stimmt, wenn Familienangehörige in die Lernkurse geschickt werden, wissen wir nicht, wo sie sind und wann sie zurückkommen. Niemand sagt es Dir. Auch wenn Du Regierungsbeamte oder Mitarbeiter dieser Einrichtungen kennst, wird niemand es wagen, Dir etwas zu sagen. Sie könnten sonst ihre Arbeit verlieren und selbst in Haft kommen."
Uiguren und Muslime als potenzielle Staatsfeinde behandelt
Die Provinz Xinjiang gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Ob wie hier in einem Teehaus oder auf den Nachtmärkten, vor Restaurants oder Hotels. Überall Metalldetektoren und Überwachungskameras. Auch in Yining gibt es im Abstand von wenigen hundert Metern kleine, bunkerhafte Polizeistationen, deren rote und blaue Lichter dauerhaft blinken. Wer sich mit dem Auto der Stadt nähert, muss durch unzählige Checkpoints.
China vereint in Xinjiang zwei Dinge: den so genannten Kampf gegen den Terrorismus und ein Kontroll- und Umerziehungsregime gegen Uiguren und andere Muslime. Die werden dabei per se als potenzielle Staatsfeinde behandelt.