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Ukraine-Affäre
Kritik an Präsident Selenskyj nach Telefonat mit Trump

Hat sich der ukrainische Präsident Selenskyj von US-Präsident Trump erpressen lassen? Das Protokoll eines Telefongesprächs der beiden Staatsoberhäupter schlägt in Kiew hohe Wellen. Die Sorge ist, dass sich die Beziehungen zu den USA, aber auch zu Deutschland verschlechtern können.

Von Florian Kellermann |
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einer Rede des EU-Gipfels in der Ukraine
Der ukrainische Präsident Selenskyj. (imago / ZUMA Press / Sergei Chuzavkovx)
Das Telefongespräch, das so viel Aufsehen erregt, könnte nicht nur Donald Trump schaden. Auch für seinen Gesprächspartner, den ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sind einige Passagen unangenehm.
Vor allem der Teil, in dem es um den Sohn von Joe Biden geht, von Trumps politischem Widersacher aus der Demokratischen Partei.
Trump forderte kaum verklausuliert, dass die Ukraine gegen Hunter Biden ermitteln solle. Der war früher für einen ukrainischen Gas-Konzern tätig. Einen Konzern, dessen Eigentümer zwischenzeitlich in den Verdacht geraten war, Steuern hinterzogen zu haben.
"Selenskyj hat einen Fehler gemacht"
Selenskyj ging in dem Telefongespräch auf Trumps Forderung ein: Der neue Generalstaatsanwalt werde den besagten Konzern noch einmal unter die Lupe nehmen, gab er zu verstehen. Ein Fehler, meint der Kiewer Politologe Wolodymyr Fesenko:
"Das dürfte die Beziehungen von Selenskyj zu einigen wichtigen Politikern in den USA belasten - zu Politikern der Demokratischen Partei. Das ist nicht gut für ihn. Allerdings weise ich darauf hin, dass es nach dem Telefongespräch keine weiteren Ermittlungen in der Sache Biden gegeben hat."
Nahezu alle ukrainischen Experten raten Selenskyj dringend, gute Beziehungen sowohl zu den Republikanern als auch zu den Demokraten zu pflegen. Denn Politiker aus beiden Parteien entscheiden darüber, wie stark die USA die Ukraine unterstützen.
Kritik an Bundeskanzlerin Merkel
Eine weitere kritische Passage des Telefongesprächs: Selenskyj sparte nicht mit Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die setze die EU-Sanktionen gegen Russland nicht energisch genug durch und unterstütze die Ukraine insgesamt viel zu wenig. Wolodymyr Fesenko:
"Beleidigungen sind da nicht gefallen, aber die Kritik wurde deutlich. Das könnte auch Selenskyjs Beziehungen zu Merkel ein wenig eintrüben."
Beobachter in der Ukraine geben allerdings zu bedenken, dass das Gespräch für Selenskyj alles andere als einfach gewesen sei. Wolodymyr Dubowyk, Politologe an der Universität Odessa:
"Trump ist ohnehin schon ein schwieriger Gesprächspartner. Und dann hat er auch einen ungeheuren Druck auf Selenskyj ausgeübt in der Sache Biden. Er hat wohl gedacht, dass er hier diesen neuen, unerfahrenen ukrainischen Präsidenten überrumpeln kann."
Trumps Lager hat Druck über Monate aufgebaut
Diesen Druck baute das Lager von Trump schon im Mai auf, nachdem Selenskyj die Präsidentenwahl gewonnen hatte. Trumps Anwalt Rudy Giuliani wurde in der Sache Joe Biden als erster aktiv. Im Juni traf er sich in Paris mit einem Vertreter der ukrainischen Staatsanwaltschaft.
Giuliani kritisierte auch offen Personen in Selenskyjs Lager, von denen er vermutete, dass sie gegen Trump eingestellt seien. So auch den ehemaligen Abgeordneten Serhij Leschtschenko:
"Ich habe Selenskyj daraufhin gebeten, mich nicht für einen Posten in der Präsidialverwaltung einzuplanen. Schließlich können wir uns keinen Streit mit dem US-Präsidenten leisten, wo wir doch auf Militärhilfe aus den USA angewiesen sind."
Dennoch hielt Trump eine Militärhilfe von knapp 400 Millionen US-Dollar über mehrere Monate zurück. Trump zufolge habe er das nicht gemacht, um Selenskyj zu erpressen. Für ukrainische Beobachter ist dennoch klar, dass sich Kiew auch dadurch unter Druck gesetzt fühlte.
Internationale Aufmerksamkeit gewonnen
Die Ukraine wird nun weltweit mit einem Skandal in Verbindung gebracht. Trotzdem hofft das Lager von Selenskyj auch auf einen positiven Effekt. Serhij Leschtschenko:
"Vielleicht werden manche jetzt auch auf unsere Erfolge aufmerksam. Wir haben jetzt eine neue Regierung und ein neues Parlament, die echte Reformen wollen. Wir haben friedlich einen kompletten Machtwechsel vollzogen. Die Ukraine ist schließlich viel mehr als das Land, das Trump ein Impeachment-Verfahren eingebracht hat."