Christiane Kaess: Der Machtkampf in der Ukraine dauert an zwischen Regierung und Opposition und genauso das Tauziehen des Westens und Russlands um die Bindung des zerrissenen Landes. Die Ukraine braucht dringend Geld, und so werden die von beiden Seiten angebotenen Finanzhilfen immer wichtiger. Was das Assoziierungsabkommen mit der EU betrifft, war dies der ukrainischen Regierung zu wenig. Sie lehnte es, wie bekannt ist, ab. Russland hat bereits 15 Milliarden zugesagt, allerdings nach einer ersten Auszahlung weitere erst einmal ausgesetzt. Moskau will die Zusammensetzung einer neuen Regierung und deren Kurs abwarten. Die EU und die USA wollen ebenfalls finanziell nachlegen, aber noch ist unklar, wie viel und zu welchen Bedingungen. Auch über Sanktionen wird diskutiert.
Aus Kiew zugeschaltet am Telefon ist uns jetzt die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Guten Morgen!
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen.
"Der Maidan ist nach wie vor der Ort des Protestes"
Kaess: Sie sind seit gestern in der Ukraine. Mit wem konnten Sie bisher sprechen und wie beschreiben Ihre Gesprächspartner denn die Situation im Moment?
Göring-Eckardt: Ich habe gestern Abend mit Oppositionspolitikern aus der Rada, dem Parlament hier, gesprochen. Die machen sich natürlich nach wie vor sehr große Sorgen um die Frage einer friedlichen Lösung. Der Maidan ist nach wie vor der Ort des Protestes, aber nicht nur der Maidan. Wir wissen ja, dass auch an anderen Orten der Ukraine Menschen auf der Straße sind und auch den Protest aufrecht erhalten. Man hat den Eindruck, dass Janukowitsch die Sache aussitzen will, nach dem Motto, wenn die Olympischen Spiele vorbei sind, dann geht alles weiter wie bisher. Man hat den Eindruck, dass sich viele Menschen riesige Sorgen um die Frage machen, ob die Ukraine einerseits sich demokratisiert, absieht von Korruption, absieht von autoritären Machtdemonstrationen und sich andererseits zur EU öffnet. Gerade junge Abgeordnete der Rada in Oppositionsfraktionen haben eine große Hoffnung in Richtung Europa, und die dürfen wir als Europäerinnen und Europäer auch nicht enttäuschen. Da sind wir mit Frau Ashton gestern jedenfalls noch nicht weit genug gekommen.
Kaess: Frau Göring-Eckardt, Sie haben gesagt, Janukowitsch will die Situation aussitzen. Auf der anderen Seite haben wir gerade in dem Beitrag gehört von der Nachbesetzung des Ministerpräsidenten mit dem sogenannten Kompromisskandidaten Arbusow. Wie reagiert die Opposition darauf?
Göring-Eckardt: Zunächst mal geht es ja nicht einfach nur um Personen, sondern es geht darum, ob sich wirklich was ändert, ob es tatsächlich eine Verfassungsänderung gibt, ob es mit dieser Verfassungsänderung dann tatsächlich Neuwahlen gibt. Verfassungsänderung heißt ja in allererster Linie mal, dass der Präsident nicht mehr all die Macht haben und ausüben darf, die er jetzt hat, und es geht darum, gibt es nicht nur faire freie Wahlen, sondern hört auch die Korruption auf. Das ist auch einer der entscheidenden Punkte, wenn die EU Hilfe anbietet. Das kann man nicht so machen, dass dann ein Großteil des Geldes bei den Personen, die sich um Janukowitsch versammeln, auf den Privatkonten versickert. Insofern ist es auch richtig, weiterhin über Sanktionen zu reden und deutlich zu machen, man wird gegebenenfalls auch Konsequenzen ziehen, wenn sich da nichts bewegt.
Kaess: Darüber können wir im einzelnen auch gleich noch sprechen. Aber die Forderung der Verfassungsänderung will die Opposition aufrecht erhalten, wenn ich Sie richtig verstehe. Aber die Beteiligung an der Regierung wurde abgelehnt?
Göring-Eckardt: Die Beteiligung an der Regierung war ja keine echte Beteiligung an Regierung, sondern da ging es darum, dass man einzelne Leute mit Posten versorgt, aber an der Sache selber nichts ändert. Ich finde nach wie vor richtig, dass die Opposition darauf nicht eingegangen ist. Das hätte nicht nur die Protestierenden enttäuscht, sondern das hätte das Land auch nicht weitergebracht, weil die Frage der Öffnung in Richtung Europa, hier sind junge Leute voller Leidenschaft auf der Straße, riskieren sehr viel, es sind Menschen gestorben dafür, dass es diese europäische Öffnung gibt. Es gibt Menschen, die wirklich viel riskieren, auch übrigens Parlamentarier, die inzwischen ihre Kinder oder ihre Familie ins Ausland gebracht haben, weil sie um zumindest ihre Sicherheit hier fürchten.
"Sanktionen müssen als Druckmittel erhalten bleiben"
Kaess: Sanktionen haben Sie angesprochen. Darüber wird seit Tagen diskutiert. Außenminister Steinmeier hat die erst angekündigt, dann aber zurückgerudert. Das EU-Parlament wünscht sie sich. Was halten Sie von diesem Instrument?
Göring-Eckardt: Ich glaube, das Instrument muss als Drohung auf jeden Fall aufrecht erhalten bleiben, und es muss auch hier jedem klar sein, dass dann, wenn man Konten irgendwo anders hat und darauf Staatsgelder oder Hilfsgelder transferiert, dass das nicht geht und dass das nicht weitergeht. Insofern ist die Androhung von Sanktionen absolut richtig. Das muss so bleiben. Aber natürlich kann man auch schon jetzt dort, wo Konten im Ausland sind, dort, wo Gelder verschoben werden, dem nachgehen und danach schauen, wie man das unterbindet. Dazu braucht es nicht Sanktionen, aber die Sanktionen müssen als Druckmittel erhalten bleiben, und genau das hat ja übrigens Frank-Walter Steinmeier auch so formuliert. Trotzdem muss das Fenster für die Gespräche offen sein und ich hoffe sehr, dass das nicht schon an diesem Freitag zugeht, wenn Herr Janukowitsch mit Herrn Putin in Sotschi ist.
"Finanzhilfen sind nicht ein Wetteifern"
Kaess: Ein anderes Instrument sind die diskutierten Finanzhilfen. Ist es klug, dass die EU und die USA hier gegen Russland finanziell wetteifern?
Göring-Eckardt: Na ja, es geht nicht um wetteifern. Aber es geht natürlich darum, dass die Ukraine in einer wirtschaftlich dramatisch schwierigen Situation ist. Und jetzt geht es um die Frage, ob man sich erpresserischen Hilfen aus Russland bedienen muss, oder ob man sich konditionierten Hilfen aus der Europäischen Union bedienen kann. Hier ist völlig klar: Die Finanzhilfen sind nicht ein Wetteifern, sondern sie sind festgebunden an die Zusage, dass es Änderungen gibt in der Verfassung, dass es Änderungen gibt bei der Frage der Korruptionsbekämpfung etc., und insofern sind solche Hilfen wichtig. Man muss sich vorstellen: Es ist so, dass die Kommunen hier, die Regionen zum Teil ein Drittel der Zuweisungen nicht bekommen. Das heißt ganz praktisch, dass die medizinische Versorgung an vielen Stellen nicht mehr funktioniert, dass das Geld für das Bildungssystem fehlt etc. Das ist also auch für den Alltag, der läuft nicht irgendwie nebenbei, sondern das sind sehr, sehr konkrete Fragen, die vor der Regierung hier stehen, und deswegen sind sie auf diese Finanzhilfen auch angewiesen, und die Frage ist, ob man sich weiter von Russland erpressen lässt und sich aufdrücken lässt, unter welchen Bedingungen das passiert.
Geplante Stromtrasse quer durch Deutschland
Kaess: Frau Göring-Eckardt, ich möchte mit Ihnen zum Schluss noch kurz über ein anderes Thema sprechen, das hierzulande mittlerweile eine starke Rolle spielt. Gestern ist der geplante Verlauf der längsten neuen Stromtrasse quer durch Deutschland vorgestellt worden, und prompt kam aus Bayern die Forderung, den Ausbau der Stromtrasse zu stoppen. Ist das ein neues Hindernis für die Energiewende?
Göring-Eckardt: Na ja, das ist jedenfalls ein neues Hindernis durch Horst Seehofer, und was das heißt, ist völlig klar. Das heißt, dass einerseits im Zweifelsfall die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden müssen und dass die Laufzeiten von dreckigen Kohlekraftwerken verlängert werden. Insofern erwarte ich hier, dass die Kanzlerin in Richtung ihres CSU-Kollegen sehr deutlich wird und klar macht, dass das nicht geht. Ich finde richtig, dass man Stromtrassen baut, im Zusammenhang mit den Bürgerinnen und Bürgern, dass man sie daran beteiligt. Die haben oftmals bessere Ideen als viele andere.
Kaess: Aber es gibt eine Reihe von Protestbündnissen, und auf die will Horst Seehofer offenbar eingehen.
Göring-Eckardt: Ich finde es richtig, mit den Protestbündnissen zu reden, aber das kann nicht dazu führen, dass man den Ausbau der Stromtrassen stoppt, sondern das kann nur dazu führen, dass man klar sich wird, auch mit den Protestierenden, wie die Stromtrassen und wo sie genau langgehen können. Zum Teil können sie unter der Erde langgehen und zum Teil muss man sich überlegen, wo der richtige Weg dafür ist, dass nicht Natur und Landschaft zerstört wird. Das finde ich ein richtiges Anliegen. Aber jetzt so zu tun – das hätte man übrigens längst machen können -, als ob man das ausbremsen kann, angesichts der dringlichen Energiewende, das ist absurd.
Kaess: Danke schön! – Das sagt die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bei uns heute Morgen live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
Göring-Eckardt: Auf Wiederhören!
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