Stromausfall in Tschernobyl
Die größere Gefahr geht von den noch aktiven Atomkraftwerken aus

Der Stromausfall in Tschernobyl wird wohl keine dramatischen Folgen haben, denn alle Reaktoren dort sind seit über 20 Jahren außer Betrieb. Stromausfälle an einem der vier aktiven Kraftwerke in der Ukraine könnten hingegen schwerwiegenden Konsequenzen haben.

    Eine Luftaufnahme aus dem Februar 2022 von der Schutzhülle am ehemaligen Atomkraftwert in Tschernobyl.
    Seit dem 09.03.22 kommt kein Strom mehr im AKW Tschernobyl an (imago images/ITAR-TASS)
    Von Tschernobyl wurde am 9.3.2022 eine Hochspannungsleitung nach Kiew beschädigt. Weil die Kämpfe in der Region andauern, konnte die Verbindung bisher nicht repariert werden. Seitdem ist das ehemalige Kernkraftwerk ohne Stromversorgung. Der Außenminister der Ukraine schrieb auf Twitter, dass die Dieselgeneratoren den Stromausfall nur 48 Stunden ausgleichen können. Danach stünden Strahlungslecks unmittelbar bevor. Am 10.3.2022 meldete außerdem die Internationale Atomenergiebehörde IAEA, dass sie die Verbindung zum größten europäischen Atomkraftwerk in der Ukraine verloren hat.

    Welche Folgen könnte der Stromausfall in Tschernobyl haben?

    Wirklich schwerwiegend dürften die Folgen nicht sein. Zum einen gibt es den havarierten Reaktorblock vier, wo es im April 1986 zum GAU gekommen war. Das radioaktive Material, das sich dort noch befindet (etwa 2.500 Tonnen), liegt dort als erstarrte Schmelze, vermischt mit Beton und Resten der Steuerstäbe. Das alles ist begraben unter einer massiven Beton-Hülle, des sogenannten Sarkophags. Hier führt der Stromausfall nicht zu Problemen.
    Ohne Strom funktioniert aber die Belüftung der zweiten Hülle um diesen Sarkophag, des so genannten New Safe Confinements, nicht. Und da könnte es auf lange Sicht Probleme geben mit Staub und mit Feuchtigkeit und dann eben auch mit Korrosion.

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    Die anderen drei Reaktorblöcke sind schon lange nicht mehr in Betrieb. Der letzte von ihnen wurde im Jahr 2000 abgeschaltet, und die Brennelemente hängen jetzt alle in einem so genannten Nasslager. Das ist ein großes Wasserbecken, in dem das Wasser zum Kühlen umgewälzt wird. Weil ohne Strom die Pumpen nicht laufen, ist aktuell die Notstromversorgung angesprungen; das sind Dieselaggregate mit Treibstoff für 48 Stunden. Wenn nach Ablauf dieser Zeit kein neuer Dieseltreibstoff nachgeliefert wird, kann das Wasser in den Kühlbecken nicht mehr umgewälzt werden.
    Da die Brennelemente in diesem Wasserbecken schon seit mindestens 22 Jahren dort lagern, geben Sie aber kaum noch Wärme ab (die sogenannte Nachzerfallswärme). Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat mitgeteilt, dass die Becken auch ohne eine aktive Kühlung genug Wärme aufnehmen können, sodass keine akute Gefahr droht. Sollte dieser Zustand allerdings wochenlang anhalten, würde das Wasser allmählich verdampfen. Und weil das Wasser auch radioaktive Strahlung abschirmt, würden dann die Menschen, die vor Ort in diesem Lager arbeiten, erhöhten Dosen von Radioaktivität ausgesetzt sein.

    Wie steht es um die aktiven Atomkraftwerke in der Ukraine?

    Das ist die Lage schon etwas angespannter. Die Ukraine hat vier Standorte mit insgesamt 15 Reaktorblöcken. Das sind alles Druckwasserreaktoren russischer Bauart. Nur acht von ihnen sind im Moment am Netz, einige wurden wegen Wartungsarbeiten heruntergefahren, andere aus Sicherheitsgründen. Aber weil diese noch vorher aktiv waren, ist die Nachzerfallswärme noch beträchtlich. Das heißt, auch wenn sie heruntergefahren sind, müssen sie weiterhin stark gekühlt werden, was auf die aktiven Werke sowieso zutrifft.
    Die Betreiber der Kraftwerke würden sich "sehr besonnen und auf Sicherheit gerichtet" verhalten, sagte der Kernphysiker Heinz Smital am 4.3.2022 im Deutschlandfunk. Die meisten Reaktoren seien runtergefahren und die noch laufenden Reaktoren sorgten für die Energieversorgung am Kraftwerk, sodass die Kühlung bisher gewährleistet sei.
    Eine Luftaufnahme des Atomkraftwerks vom 8.3.2022. Die Reaktorblöcke sind zu sehen.
    Die Atomenergiebehörde IAEA hat die Verbindung zu den Überwachungssystemen zum größten europäischen Atomkraftwerk in der Ukraine, Saporischschja, verloren. (IMAGO/SNA)
    Sollte der Strom dort dennoch ausfallen, springen zunächst Notstromaggregate an, welche die Kühlsysteme ein paar Tage am Laufen halten. Wenn die Kühlung dann allerdings versagen sollte, "dann geht es fast unweigerlich in Richtung Kernschmelze", sagte Smital. Kurzfristig abzuschalten helfe dann nichts mehr, weil die Kühlung auch danach gewährleistet sein müsse. Ein laufender Reaktor, der keinen Strom mehr bekomme, sei nicht mehr zu retten. Dieses Szenario habe man in Fukushima gesehen. Vom Standort Saporischschja hat die IAEA gemeldet, dass zumindest die Datenleitung zu den Überwachungsgeräten ausgefallen sei – wie auch schon zuvor in Tschernobyl.


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    Wie gefährlich sind Kampfhandlungen für AKW?

    Stromausfälle sind nicht das einzige Risiko für die Reaktoren, denn an Reaktoranlagen hat es bereits auch Kämpfe gegeben. Am 3. März hatten russische Truppen das Kernkraftwerk in Saporischschja beschossen und einen Brand ausgelöst. Dass durch Kampfhandlungen aus Versehen einen Super-GAU ausgelöst werden könnte, hält der Kernphysiker Heinz Smital für unwahrscheinlich. Kernkraftwerke seien robust, eine Katastrophe durch zufällige Treffer daher sehr unwahrscheinlich, sagte er im Dlf. Es gebe immer Notsysteme zur Stromversorgung und Kühlung, falls es an einer Stelle zu einem Ausfall komme.
    Kernphysiker Smital (Greenpeace): Sehr brenzlige Situation, aber Super-GAU unwahrscheinlich (4.3.2022)
    Reaktoren seien zudem beispielsweise gegen Abstürze von Kleinflugzeugen gewappnet, hätten also durchaus eine harte Schale, sagte der Kernphysiker Heinz Smital am 4.3.2022 im Deutschlandfunk. Auf militärischen Beschuss seien sie hingegen grundsätzlich nicht vorbereitet. Bisher sei nicht zu erkennen gewesen, dass das russische Militär einen Super-GAU herbeiführen wollte. Wenn dies als Ziel ausgegeben würde, sei das allerdings leicht erreichbar - und würde zu Freisetzungen radioaktiver Strahlung führen, die "weit über das hinausgehen, was man in Fukushima hatte."

    Könnte Radioaktivität bis nach Deutschland gelangen?

    Bei Tschernobyl handelte es sich um einen anderen Reaktortypen. Dieser hatte in seinem Inneren Graphit, also reinen Kohlenstoff, der nach der Explosion in Brand geraten ist. Dadurch wurden radioaktive Partikel durch heiße Luft hoch in die Atmosphäre getragen. Diese haben sich mit dem Wind nach Westen hin ausgebreitet.
    Sollte es tatsächlich in der Ukraine zu einem Atomunfall an einem Druckwasserreaktor kommen, würde die Radioaktivität wohl nicht so hoch aufsteigen und daher auch stärker im Umland und nicht so weit entfernt problematisch werden. Der Kernphysiker Heinz Smital geht davon aus, dass das Land in einigen hundert lometern Umkreis unbewohnbar werden könnten.
    Wie sich die Radioaktivität genau verteilen würde, hängt allerdings stark vom Wetter ab, insbesondere von der Windrichtung. In nur 17 Prozent der Fälle würde am Standort Saporischschja radioaktive Substanz nach Westen getragen werden. Meistens weht der Wind dort in Richtung Osten, also nach Russland oder Kasachstan.
    (Quellen: Arndt Reuning, Tobias Armbrüster, pto)