Kommentar zur Ukraine
Die Bürgergeld-Debatte lenkt vom Krieg ab

Zur russischen Strategie des langen Zermürbungskrieges gehört auch die gezielte Ausschöpfung der Gesellschaft. Statt populistische Debatten über Bürgergeld zu führen, sollte die langfristige Hilfe für die Ukraine wieder in den Fokus rücken.

Ein Kommentar von Denis Trubetskoy | 29.06.2024
Eine Frau mit einem Blumenkranz auf dem Kopf hält auf einer pro-ukrainischen Demonstration ein Pappschild mit der Aufschrift: 10 Years of War.
Die Unterstützung der Ukraine sei in diesen Zeiten wichtiger denn je, kommentiert der Journalist Denis Trubetskoy (picture alliance / Caro / Trappe)
Wenn im Ausland darüber diskutiert wird, Geldzahlungen an Ukrainer zu kürzen, wie jüngst im Falle der Bürgergelddebatte in Deutschland, trifft das zu Hause auf unterschiedliche Reaktionen. Denn das Verhältnis zwischen den Ukrainern in sicheren anderen Ländern und den Menschen, die seit mehr als 850 Tagen stets unter russischen Bomben leben, ist oft angespannt und hängt zusätzlich stark von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen ab.
Geflüchtete Mütter mit Kindern erhalten mehr Sympathien als Männer im wehrpflichtigen Alter, die die Ukraine nicht verlassen dürfen. So kann manch eine populistische, kaum umsetzbare Forderung aus dem Ausland bei einigen in der Ukraine sogar kurz für Beifall sorgen, was auch deutsche Politiker bei ihren Aussagen mitbedenken sollten.

Russische Strategie: die gezielte Ausschöpfung der Gesellschaft

Denn zur russischen Strategie des langen Zermürbungskrieges gehört auch die gezielte Ausschöpfung der Gesellschaft. Zusätzliche Spannungen bei in der Praxis unrealistischen Angelegenheiten helfen nicht, die Einigkeit auf Dauer zu erhalten.
Wenn gleichzeitig aber manche nicht-ukrainische Politiker davon reden, dass es in der Westukraine angeblich sichere Gebiete geben soll, in welche arbeitslose Ukrainer abgeschoben werden könnten, trifft das bei so gut wie allen Ukrainern auf wenig Verständnis. Zwar ist es in Lwiw oder Iwano-Frankiwsk zweifellos sicherer als in Charkiw und Saporischschja. Doch was heißt sicher, wenn Russland seit Ende März wieder massiv die ukrainische Energieinfrastruktur im ganzen Land angreift und die Menschen schon jetzt die Hälfte des Tages ohne Strom verbringen müssen? Dabei ist es noch nicht mal Winter, dann sind noch heftigere Probleme zu erwarten.

Ukraine erlebt eine der kompliziertesten Phasen in diesem Krieg

Debatten wie die über das Bürgergeld lenken auch ab von der Kriegssituation. Die Ukraine erlebt ohne Zweifel eine der kompliziertesten Phasen in diesem Krieg - doch die Lage ist alles andere als katastrophal. Russland erzielt zwar keine atemberaubenden Frontdurchbrüche, behält die Initiative an der Front jedoch seit Oktober. Die Mobilisierung betrifft im Abwehrkrieg gegen das größte Land der Welt mit der Zeit natürlicherweise immer mehr Menschen ohne Militärhintergrund.
Auf die unvermeidliche Erhöhung der Stromtarife werden ebenso unvermeidliche Steuererhöhungen folgen. Und die gesamte Strategie lautet: Durchhalten, bis die Munitionsproduktion im Westen hoffentlich Ende des Jahres das Niveau erreicht, um Russlands Vorrücken im nächsten Jahr zumindest zu stoppen.

Richtungsweisende Entscheidung der G7

In Zeiten wie diesen sind Zeichen der langfristigen Unterstützung der Ukraine wichtiger denn je, zumal die Krise im US-Kongress ohnehin viel zu lange gedauert hat. In dieser Hinsicht gab es zuletzt wichtige Erfolge, auch wenn Hilfe an Kiew in einem solchen Krieg wohl nie ausreichend sein wird. Die G7-Entscheidung etwa, die erlauben sollte, russische Zinsen für die Verteidigung der Ukraine einzusetzen, ist richtungsweisend.
Dass statt die USA nun die NATO Waffenhilfe für die Ukraine koordiniert, wird als Vorbereitung für den möglichen Wahlsieg Donald Trumps gesehen - und ist auch ein Schritt in die richtige Richtung. Populistische Debatten über nicht umsetzbare Vorschläge, die zudem den Eindruck erwecken, als ob es in der Ukraine sichere Orte geben würde, bringen dagegen gerade jetzt niemanden weiter: Nicht in Deutschland und auch nicht hier in der Ukraine.