Der Druck auf die ukrainische Regierung ist ungebrochen. Demonstranten besetzten heute ein Gebäude des Landwirtschaftsministeriums in Kiew. Die Regierungsgegner konnten ohne Widerstand in die Büros eindringen. Aktivisten verstärkten die Barrikaden im Zentrum. Sie errichteten auch neue Posten, etwa an der stark genutzten Metrostation Kreschtschatik. Ein Krisengespräch zwischen Oppositionellen und Präsident Viktor Janukowitsch hatte gestern Abend keinen Durchbruch ergeben.
Auch in mehreren Städten im Westen des Landes belagerten Oppositionelle die Büros der dortigen Gouverneure. Schon gestern hatten sich die Unruhen auf die Provinz ausgeweitet. Hunderte Regierungsgegner stürmten in Lwiw (Lemberg) das Büro des Gouverneurs und zwangen ihn, seine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. Später zog er seine Demission zurück. Auch in der Stadt Riwne drangen Demonstranten in den Gouverneurssitz ein und skandierten: "Nieder mit der Bande."
Berlin und Paris bestellen Botschafter ein
EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle will heute in die Ex-Sowjetrepublik reisen, um dort zu vermitteln. Die Bundesregierung bestellte den ukrainischen Botschafter in Berlin, Pavlo Klimkin, ein. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) habe diesen Termin im Auswärtigen Amt für den Nachmittag angesetzt, um die Haltung der Bundesregierung deutlich zu machen, sagte ein Ministeriumssprecher. Es dürfe keine Gewaltanwendung geben, und die Gesetze zur Einschränkung der Demonstrationsfreiheit müssten überprüft werden.
Auch in Paris wurde der ukrainische Botschafter einbestellt. Der französische Außenminister Laurent Fabius sagte einem französischen Fernsehsender, man sei beunruhigt und verurteile die Unterdrückung der Proteste. "Es gab den Befehl, auf die Menge zu schießen, was natürlich inakzeptabel ist." Klimkin, der Botschafter der Ukraine in Deutschland, wies diese Vermutung ausdrücklich zurück. Die Sicherheitskräfte hätten nur Gummigeschosse eingesetzt, versicherte Klimkin im Deutschlandfunk.
Opposition uneinig?
Nach dem gestrigen Treffen mit der Opposition hatte Janukowitsch einen Rücktritt erneut ausgeschlossen. Zugleich kündigte er die Freilassung festgenommener Demonstranten an. Für kommende Woche setzte Janukowitsch eine Sondersitzung des Parlaments an.
Korrespondent Hermann Krause berichtete, die Stimmung auf dem Unabhängigkeitsplatz sei in Anschluss an das ergebnislose Treffen aggressiv und ratlos gewesen. Die drei führenden Oppositionspolitiker führen einen unterschiedlichen Kurs. Klitschko habe noch versucht, mäßigend auf die Menge einzuwirken. Der eher nationalistisch einzuordnende Regierungsgegner Oleh Tjahnybok habe die Menge dagegen auf weitere Auseinandersetzungen eingeschworen. "Entweder setzen wir den Kampf fort oder unsere Brüder bleiben im Gefängnis", sagte Tjahnybok. Der dritte Oppositionspolitiker, Arseni Jazenjuk, forderte offen eine Erweiterung des Protestortes rund um den Maidan.
Für massive Empörung sorgt auch ein Video, das einen nackten und von Polizisten misshandelten Demonstranten zeigt. Die Behörden bestätigten die Echtheit des Clips und kündigten eine Untersuchung an. In dem gut einminütigen Video ist zu sehen, wie Uniformierte bei Eiseskälte mit einem offenbar zuvor verprügelten nackten Mann posieren. Zudem schlägt und tritt ein Maskierter den Aktivisten.